„Marsch für das Leben“ in Berlin: Nicht so friedlich wie gewollt

Die Anti-Choice-Bewegung gibt sich betont friedliebend. Doch auch in diesem Jahr wurde beim „Marsch für das Leben“ der Holocaust verharmlost.

Teilnehmer:innen der Demonstration „Marsch für das Leben“ gehen unweit des Reichstages. Mit Schildern und Transparenten demonstrierten sie gegen Schwangerschaftsabbrüche

„Marsch für das Leben“, 2021 Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz | Am Samstag demonstrierten Menschen aus ganz Deutschland beim „Marsch für das Leben“ in Berlin. Laut Nachrichtenagentur epd waren 1.000 Menschen bei der Kundgebung, die taz zählte 3.150 Teil­neh­me­r:in­nen bei der Demonstration. Angemeldet waren 9.000 Demonstrierende. Bemerkenswert war dabei der Gegenprotest, der es trotz geringerer Anzahl an Demonstrierenden immer wieder schaffte, die Veranstaltung der Anti Choice-Bewegung zu stören.

Der „Marsch für das Leben“ fand zum 18. Mal statt und setzt sich gegen Schwangerschaftsabbrüche und gegen assistierten Suizid ein. Immer wieder wird betont wie „friedlich“ es zugehe, dabei werden auf dem „Marsch für das Leben“ Rechte geduldet. Dieses Jahr läuft ein Demonstrierender mit, der ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift „Stoppt den Babycaust“. Jemand anderes trägt eine Hose, auf der „the world government“ steht. Die Junge Freiheit schreibt über den „Marsch für das Leben“, dass dieser „bedeutsamer denn je“ sei.

Die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Alexandra Linder, eröffnete um 13 Uhr die Kundgebung auf dem Platz des 18. März am Brandenburger Tor. „Wenn es uns nicht gäbe, gäbe es manche Gesetze nicht. Werbung für Abtreibung ist jetzt erlaubt. Das macht keinen Unterschied“, sagt sie. „Unsere Forderung: flächendeckende Hilfe, statt flächendeckende Abtreibung.“ Unerwähnt lässt sie, dass mit dem Paragraphen 218 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland verboten sind.

Später sprechen auch der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe, der katholische Berliner Erzbischof Heiner Koch, der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und die Hebamme Sarah Göbel, die der Überzeugung ist, dass man nur „die Not der Frauen“ erkennen müsse, dann würde sich in „99 Prozent der Fälle die Frau gegen eine Abtreibung entscheiden“. Auch ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung stellt für sie kein Problem dar: „Ich habe eine Frau erlebt, die vergewaltigt wurde, sie hatte eine Hausgeburt, das war eine Heilung für sie. Nach der Geburt war sie ein komplett anderer Mensch.“ Göbel sagt: „Das ist für mich Feminismus. Dass die Frau stark wird, nicht geschwächt.“ Die Menge applaudiert, aus dem Tiergarten hört man Trillerpfeifen des Gegenprotests.

Auf der anderen Seite des Brandenburger Tores, der Bühne des Gegenprotests, wird das eine Stunde zuvor noch von Dr. Mandy Mangler betont: „Als Gynäkologin werde ich kriminalisiert, wenn ich einen Abbruch durchführe. Die Frau auch. Das geht nicht“, sagt sie. „Frauenkörper, die gehören nicht uns, die sind selbstbestimmt. Wir wollen my body, my choice!“ Mandy Mangler spricht als Teil des Gegenprotests vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. Um 12 Uhr haben sich hier etwa 200 Menschen auf dem Pariser Platz versammelt, darunter Omas gegen Rechts, die Grünen und der Deutsche Gewerkschaftsbund.

Ein anderer Gegenprotest, das queerfeministische Bündnis „What the Fuck“, zog hier um halb zwölf mit ebenfalls 200 Menschen vorbei – das Bündnis selbst spricht auf Instagram von 500 Teilnehmenden. Ihnen gelingt es auch immer wieder in kreativen Formen den „Marsch für das Leben“ zu stören: Beispielsweise um 15 Uhr in einem Café auf der Friedrichstraße. Hier sitzen sie in kleinen Gruppen und mit ausgetrunkenen Kaffeetassen an Tischen, unter der Maske Trillerpfeifen, die die Stille des „Marsch des Lebens“ stören. Zuvor, um etwa halb zwei, schafften es zwei Pro Choice-Aktivist:innen, die „Minute des stillen Gedenkens, auch für die ungeborenen Menschen“ zu stören. Während Teil­neh­me­r:in­nen die Augen schließen, rufen sie: „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat.“

Ein Journalist soll angegriffen worden sein

Auch eine Trommelgruppe steht an der Friedrichstraße und stört die Anti Choice-Bewegung: „My body, my choice“ singen sie zu den Trommeln und „Fundamentalismus, raus aus den Köpfen.“ Die Anti Choice-Bewegung gibt sich zwar betont friedlich – ein Sprechchor, der am Anfang der Demonstration zu hören ist „do no harm“ – doch werden die Teil­neh­me­r:in­nen noch vor der Demonstration dazu aufgefordert, sich ruhig zu verhalten.

Jörg Reichel, Geschäftsführer des Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union von Verdi Berlin-Brandenburg, berichtet auf Twitter, wie um 14:13 Uhr ein Journalist durch einen Teilnehmer des „Marsch des Lebens“ angegriffen worden sein soll. Er soll zu einem Schlag gegenüber einer Kamera ausgeholt haben.

Auch Einzelpersonen stören sich an dem „Marsch für das Leben“, so geht eine ältere Person am Pariser Platz auf die Demonstration zu, streckt die Mittelfinger in die Höhe und ruft „Arschlöcher“, gefolgt von einem etwas kleinlauten „Entschuldigung“ in Richtung Polizei.

Immer wieder betonen die selbsternannten „Lebensschützen“, wie wichtig ihnen Inklusion ist. Wie sehr das auch von den Teil­neh­me­r:in­nen des „Marsch für das Leben“ verinnerlicht wird, zeigt sich gleich zu Anfang der Demonstration, als ein Mann aus dem Hotel Adlon vom Balkon aus „Motherfuckers“ ruft, erwidert ein Demonstrierender: „Benimm dich mal, hat deine Mutter dir beigebracht so zu reden?“ Daraufhin beleidigt er den Hotelbesucher behindertenfeindlich.

Unterdessen behält die Polizei vor allem den queerfeministischen Gegenprotest im Blick: Ein Polizist sagt kurz vor dem Hotel Adlon zu seinen Kollegen: „Da ist der Störer, ihr sollt verhindern, dass da jemand durchbricht“, und zeigt auf den Pariser Platz, wo queerfeministische Ak­ti­vis­t:in­nen zum Gegenprotest versammelt sind. Auf Twitter ist ein Video zu sehen, dass Schmerzgriffe von der Polizei gegenüber Ak­ti­vis­t:in­nen auf der Leipziger Straße zeigen soll.

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