Regierungssturz in Rumänien: Triumph des Neoliberalismus

Per Misstrauensvotum wurde Rumäniens unbeliebte Regierung gestürzt. Sowohl die Besiegten als auch die Sieger schlagen unappetitliche Töne an.

Mann im Kuppelsaal des rumänischen Parlaments hält den Daumen hoch

Erledigt: Ein rumänischer Abgeordneter freut sich über den Sturz der Regierung Foto: dpa

„Guten Tag. Erledigt!“ Mit diesen lakonischen Worten leitete der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis sein vom Zettel abgelesenes Statement ein, in dem er der Opposition gratulierte, die Regierung zu Fall gebracht zu haben.

In Wirklichkeit aber hat sich die pseudosozialdemokratische Regierung aus Bukarest selbst „erledigt“. Sie hat es nicht mehr geschafft, ihre sozialdemokratisch übertünchte, neoliberale Politik überzeugend zu verkaufen. Sieger in diesem seit Monaten tobenden Machtkampf sind die in einem heterogenen Block aufgetretenen Oppositionsparteien, die sich nun selbstbewusst als rechte Heilsbringer darstellen und den Rumänen Rechtsstaatlichkeit, eine unbestechliche Justiz und eine korruptionsfreie Gesellschaft versprechen.

Die nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag zum Rücktritt gezwungene Regierung konterte mit ultrarechten Argumenten, die der ehemalige Außenminister Titus Corlăţean im Parlament den Siegern entgegenschleuderte. In einer mit apokalyptischen Anspielungen gespickten Ansprache warnte der „Sozialdemokrat“ vor einer bevorstehenden Machtübernahme der Neo-Marxisten. Diese, so der frühere Chefdiplomat und EU-Abgeordnete, hätten die Absicht, für schwangere Frauen ohne Einkommen Zwangsabtreibungen einzuführen. Gleichzeitig stünde nun der Legalisierung der Homoehe nichts mehr im Wege.

Homophobie, Frauenhass und Sozialdarwinismus

In Rumänien ist es keinesfalls eine Spezialität der gestürzten Sozialdemokraten, mit klerikal angereicherten, homophoben, frauenfeindlichen Äußerungen oder sozialdarwinistischen Darlegungen Politik zu machen.

Aus dem Lager der Sieger waren vereinzelt Stimmen zu vernehmen, die in ihrem neoliberalen Überschwang von der Abschaffung des staatlich geförderten Schulunterrichts und der landesweiten Einführung von Privatschulen schwadronierten. Andere wiederum forderten die Kürzung der Sozialhilfe für „arbeitsscheue Elemente“. Bekanntlich ist in Rumänien mit dem Euphemismus „arbeitsscheu“ die Roma-Bevölkerung gemeint, die unter der Härte des postkommunistischen Kapitalismus besonders zu leiden hat.

Eins steht jetzt schon fest: Die Verlierer dieses Machtgerangels an der Staatsspitze werden die Unterprivilegierten sein. Jene, die weder eine Toilette noch fließendes Wasser in ihren Wohnungen haben. Und das sind immerhin mehr als 10 Millionen Menschen.

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William Totok, geb. in Groß-Komlosch (Rumänien); Studium der Germanistik und Rumänistik in Temeswar; Gründungsmitglied der „Aktionsgruppe Banat“ (1972–1975); politische Haft wegen „Verbreitung staatsfeindlicher Gedichte“ (1975–1976); lebt seit 1987 als freischaffender Schriftsteller und Publizist in Berlin und schreibt u.a. für die taz. Letzte Veröffentlichungen: „Zwischen Mythos und Verharmlosung. Über die kritische Vergangenheitsbewältigung, Ion Gavrilă Ogoranu und den bewaffneten, antikommunistischen Widerstand in Rumänien“, (Iaşi 2016, zusammen mit Elena-Irina Macovei), „... an den Fahnenstangen fault die Wut. Gedichte, (Ludwigsburg 2016).

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