Aktivistin über Seenotrettung: „Das Treffen war ein Fehlschlag“

Lisa Groß von der NGO Alarm Phone findet das ergebnislose Treffen der EU-Innenminister „tragisch“. Eigentlich brauche es legale Wege nach Europa.

Kinder und Erwachsene verlassen eine Fähre

Migrant*innen verlassen ein Fährschiff aus Lesbos in Piräus Foto: Moutafis/reuters

Frau Groß, Dienstagabend haben die EU-Innenminister über Seenotrettung diskutiert – ohne konkrete Ergebnisse. Überrascht Sie das?

Lisa Groß: Leider nicht. Wir reden seit Jahren darüber, dass das ganze europäische Asylsystem nicht funktioniert und es unsolidarisch ist. Dass sich das jetzt plötzlich um 180 Grad dreht, war nicht zu erwarten. Auch wenn die Diskussionen noch weitergehen – das Treffen in Luxemburg war aus unserer Sicht ein Fehlschlag.

Die EU-Innenminister haben sich auf keinen Verteilmechanismus geeinigt, sie haben keinen Schritt getan, um das Massensterben auf See zu beenden oder die Gängelung von NGOs. Und das, obwohl es wahrlich nicht um eine große Anzahl an Menschen geht – dass da keine Lösung möglich ist, ist wirklich tragisch.

Ungefähr so hat es auch der deutsche Innenminister Horst Seehofer gesagt.

Wir begrüßen Seehofers Vorstoß, weil der bedeuten würde, dass Gerettete viel schneller an Land kommen und nicht zwei oder drei Wochen vor den Küsten Europas ausharren müssten. Es hieße auch, dass Schiffe wie die Sea-Watch und Sea-Eye schneller wieder in ihr Einsatzgebiet zurückkehren können, wo sie dringend gebraucht werden. Aber für uns vom Alarm Phone sähe eine gute Lösung natürlich ganz anders aus.

Wie denn?

Zunächst mal geht es gerade ja nur um die Menschen im zentralen Mittelmeer. Wir müssen aber auch über die 45.000 Menschen sprechen, die dieses Jahr in Griechenland angekommen sind und die durch den EU-Türkei-Deal auf den Inseln festsitzen – das sind geradezu Gefängnis-Inseln. In Moria auf Lesbos sind momentan 13.000 Menschen, obwohl das Lager nur für 3.000 ausgelegt ist. Die EU kooperiert außerdem immer noch mit der sogenannten libyschen Küstenwache. Daran will auch Seehofer nichts ändern.

Sie kennen die Lage im Mittelmeer sehr gut: Seit fünf Jahren nimmt das Alarm Phone Notrufe von dort entgegen. Warum?

Der Anlass für unsere Gründung war das Bootsunglück vor Malta und Lampedusa am 11. Oktober 2013. Damals waren mehr als 450 Menschen in Seenot geraten. Die italienischen und maltesischen Behörden waren informiert, sie haben aber die Zuständigkeit so lange hin und her geschoben, bis es zu spät war. Das Boot sank und mehr als 260 Menschen starben.

Wir bieten Menschen eine Alternative, die sie in Seenot anrufen können. Aber so deprimierend wie zur Zeit fand ich die Lage im Mittelmeer schon lange nicht mehr. Als wir im Oktober 2014 angefangen haben, gab es zum Beispiel noch viel mehr europäische Militärschiffe, die gerettet haben.

Wie viele Menschen rufen an?

In den vergangenen fünf Jahren waren das etwa 2.900 Notrufe. Davon kamen 300 aus dem zentralen Mittelmeer, über das ja derzeit diskutiert wird. 800 kamen aus dem westlichen Mittelmeer, und 1.800 aus der Ägäis. Wir verbreiten die Nummer über das Internet und vor Ort. Viele, die die Reise geschafft haben, geben sie außerdem weiter.

29, ist von WatchTheMed Alarm Phone. Das Projekt betreibt eine Hotline für Migrant*innen in Seenot und wurde 2014 gegründet, nachdem im Vorjahr bei einem Bootsunglück im Mittelmeer 260 Menschen ertrunken waren. Ihre Notfallnummer lautet +334 86 51 71 61

Was machen Sie, wenn ein Notruf eingeht?

Erst mal sammeln wir die wichtigsten Informationen: Wie ist die GPS-Position des Bootes? Wie viele Leute sind an Bord? Wie sind sie telefonisch zu erreichen? Ist es ein Schlauch- oder ein Holzboot? Leckt es schon? Dann rufen wir die zuständige Küstenwache an – im besten Fall ist das eine europäische. Und wir haken nach, bis wir sicher sind, dass die Menschen gerettet sind.

Sie rufen auch die libysche Küstenwache an?

Ja, leider müssen wir auch das machen. Wenn das Boot in libyschem Gewässer ist, haben wir keine andere Möglichkeit: Tod auf See oder zurück nach Libyen. Aber oft geht dort überhaupt niemand ans Telefon, oder niemand, der Englisch spricht. Wir rufen deswegen oft zusätzlich europäische Küstenwachen an, weil die andere Druckmöglichkeiten haben als wir.

Sie haben gesagt, eine echte Lösung sähe für Sie ganz anders aus. Wie?

Eigentlich würden wir uns gerne überflüssig machen. Die einzige echte Lösung gegen das Sterben im Mittelmeer sind sichere und legale Einreisewege. Die Menschen müssen sich in ein Flugzeug setzen oder eine Fähre besteigen können, um nach Europa zu kommen und Asyl zu beantragen. Jeder Mensch hat das Recht auf Bewegungsfreiheit. Nur dann müssten sie sich nicht mehr in klapprige Boote setzen, ohne zu wissen, ob sie jemals lebend ankommen. So wäre übrigens auch das Geschäft der Schlepper von einem auf den anderen Tag erledigt.

Dafür kämen dann aber vielleicht viel mehr Menschen.

Dass dann „alle kommen“ ist nicht nur eine falsche Annahme, sondern auch eine unmenschliche. Wir kennen alle die Situation in Libyen. In offiziellen Papieren des Auswärtigen Amts werden die Lager dort als „KZ-ähnlich“ beschrieben. Da zu sagen, man wolle nicht, dass die Leute kommen, ist schlicht menschenverachtend.

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