Sozialproteste in Ecuador: Das Land ist paralysiert

Demonstranten dringen ins Parlament ein, die Regierung verhängt eine Ausgangssperre. Doch für Mittwoch ist eine weitere Großdemo geplant.

Demonstranten hießen die Flagge Ecuadors auf einer Skulptur

Dienstag in Quito: Mit erhobener Fahne klettern Demonstranten auf eine Skulptur Foto: reuters

LA PAZ taz | Die Situation in Ecuadors Hauptstadt Quito sei chaotisch, meint der Menschenrechtsanwalt Mario Melo. Sein Arbeitsplatz befindet sich unweit des Parlaments, in dessen unmittelbarer Umgebung sich am Dienstag massive Proteste konzentrierten. Demonstranten gelang es, das Parlament zu stürmen und bis in den Plenarsaal vorzudringen.

„Laut dem indigenen Dachverband, der Conaie, sind mittlerweile mindestens 20.000 ihrer Anhänger in der Stadt“, sagt der Jurist, der gute Kontakte in die indigene Organisation hat, „doch es könnten auch deutlich mehr sein. Die Proteste haben die Stadt fast komplett paralysiert.“

Conaie, das Bündnis der indigenen Völker Ecuadors, hat landesweit zu Blockaden, Streiks und Protesten gegen die von der Regierung am 1. Oktober verhängten Benzinpreiserhöhungen aufgerufen, aber es sind längst nicht nur indigene Organisationen, sondern auch Jugendliche aus den ärmeren Stadtteilen der Hauptstadt, die dem Aufruf folgen – neben den Transportunternehmern.

Für Mario Melo ist das keine Überraschung, denn die Benzinpreiserhöhungen treffen die armen Bevölkerungsschichten überproportional heftig. „Die Maßnahmen der Regierung sind unausgewogen. Sie hat die Sozialpolitik immer weiter zurückgefahren, obgleich Präsident Lenín Moreno im Wahlkampf 2017 das Gegenteil versprochen hat. Da hat sich viel Unmut angestaut“.

Umzug nach Guayaquil: ein Zeichen der Schwäche

Der Unmut entlädt sich derzeit im gesamten Land. Mindestens drei Ölfördereinrichtungen wurden angegriffen und in Brand gesetzt, etliche Straßen sind blockiert und das Land ist mehr und mehr paralysiert. Der öffentliche Verkehr in Quito stand weitgehend still, Straßen waren gesperrt.

Gegen den Protest geht Präsident Moreno mit Härte vor. Polizei und Armee versuchen den verhängten Ausnahmezustand durchzusetzen, haben Ausgangsverbote verhängt und wollen um öffentliche Gebäude einen Art Bannmeile durchsetzen. In Quito feuerte die Polizei Tränengas und zwang Demonstranten zum Rückzug vom Parlamentsgebäude. Bei den Protesten gab es nach offiziellen Angaben bislang einen Toten, mehr als 70 Verletzte und rund 570 Festnahmen.

Dem Dialog mit den Demonstranten ist der Präsident mit seinem Abgang nach Guayaquil, wo die konservative Elite des Landes sitzt, am Dienstag aus dem Weg gegangen. Für Mario Melo ist das ein Zeichen der Schwäche, das zur Eskalation beitragen könnte: „Moreno agiert sehr konfus. So wirft er der Conaie zum Beispiel vor, im Interesse von Ex-Präsident Rafael Correa zu agieren. Das ist absurd.“

Correa und Moreno, die einst gemeinsam reagierten, sind sich heute spinnefeind – unter anderem weil Moreno Ecuador eine neoliberale Wirtschaftsstrategie verpasst hat. Dazu gehört die Wiederannäherung an den Internationalen Währungsfonds (IWF), der Ecuador 4,2 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt hat und im Austausch dafür Reformen einfordert – etwa die Streichung der Benzinpreissubventionen in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Das entlastet zwar die Staatskassen, trifft aber die arme Bevölkerung überproportional stark.

Diese hat Moreno bei der Wahl vor zweieinhalb Jahren zum Sieg verholfen und ist nun enttäuscht. Dem landesweiten Streikaufruf der Conaie für den heutigen Mittwoch haben sich viele weitere Organisationen angeschlossen, wodurch die Regierung weiter in die Defensive geraten könnte. Für Mario Melo wäre das keine Überraschung.

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