Museum und Skulpturenpark in Kistefos: Louisiana auf Norwegisch

Norwegen hat einen neue Attraktion: Nur wenige Kilometer von Oslo entfernt hat das neue, spektakuläre Museum Kistefos eröffnet.

Ein weißes Gebäude überspannt einen Fluss

Gewölbt und in sich selbst gedreht überspannt der weiße Riegel den Ranselva Foto: Benjamin A. Ward/Kistefos

Das Objekt, für das die Landeskönigin Sonja eigens anreisen wird, mit ihr der dänische Kronprinz Frederik und die halbe norwegische Regierung mit Ministerpräsidentin Erna Solberg an der Spitze, dieses Objekt ist ein abgelegener Ort. Und er macht zunächst wirklich nicht viel von sich her. Ein grober Blick aus höherer Warte zeigt vor allem eine mehr hügelige als bergige, außerdem sehr grün belaubte und unauffällige Landschaft, sie hat wenig von dem Norwegen der Fjorde, den grotesk schönen Gebirgen und den vielen Fähren und Tunneln, eher gemahnt sie an die Gediegenheit des Harzes bei Göttingen.

Hadeland, so heißt der Distrikt in diesem Teil des ölreichen Landes, das insofern an den fossil-kostbaren Rohstoff unterhalb der atlantischen Meeresböden erinnert, als auch hier, wie überall zwischen Kristiansand und Honningsvåg am Nordkap, die schiere Wohlhabenheit aufscheint, als blättere das Geld von Wänden und Borken, und zwar überall.

Das Ding, um das es nun, an diesem königlichen Tag geht, ist mit größter Dezenz in die Topografie gebastelt worden, es liegt in einer Art Schlucht, die das Flüsslein Ranselva durchzieht, ein energisch fließendes Gewässer, das sich meist ­schmal ins felsige Gelände eingegraben hat und seit fast mittelalterlichen Zeiten mehrfach durch Staustufen gebremst wurde, um an ihnen Energie zu gewinnen. Unter anderem in Kistefos, wo eine alte Papierfabrik steht; mit ihrer Produktion verschmutzte sie den Fluss über die meiste Zeit ihrer Existenz ziemlich übel. Das ist nun vorbei, da die Industrie weg ist – und besserer Stoff die Gegend prägt: Kunst.

Jedenfalls gehörte diese Fabrik einst der Familie Sveaas, ansässig längst in Oslo, der Kopf der nun im Investmentgeschäft tätigen Leute heißt Christen Sveaas – und der hatte vor einigen Jahren mit dem Rückkauf der Papiermühle und ihrer hektargroßen Umgebung samt Ranselva eine Idee: ein Kunstmuseum, ein museales Outdoor-Quartier, gewidmet eben nur dem Schönen und gewiss auch Dekorativen, Kunst so oder so, der norwegischen auch, aber eben nicht nur im regionalen Sinne des Heimatmuseumshaften, wie das in jedem Dorf des Landes inzwischen gängig ist.

Kistefos Das Museum mit Skulpturenpark ist etwa eine Autostunde von der Innenstadt Oslos entfernt. Dieses Jahr ist das Museum noch bis 17. November geöffnet; dann beginnt die Wintersaison; Wiederöffnung am 26. Mai 2020. Anmeldung ist im Sommer wichtig – die Personenzahl, die auf das Gelände darf, ist ­begrenzt. Infos: www.kistefos.no

Jevnaker Rund ums Städtchen Jevnaker gibt es u. a. ein historisches Pilgerzentrum (Infos: www.visitnorway.de) und auch mehrere kleinere Museen (Infos: www.ringerikes.museum.no) sowie die 1989 gegründete Weberei Grinakervev (Infos: www.grinakervev.no).

Ausstellungen Das Henie-Onstad-Kunstzentrum ist eine der wichtigsten Stätten für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, u. a. zur modernen Fotografie. Das Kunstzentrum liegt auf halbem Weg zwischen Kistefos und Oslo am Meer in Høvikodden, Sonja Henies vei 31, Öffnungszeiten: Di.–So., 11–17 Uhr. Infos: www.hok.no

Oslo: Allgemeine Infos gibt es auf den Webseiten des Touristenbüros: www.visitoslo.com

Die Reise wurde von den norwegischen Gastgebern Visit Innlandet (www.visit-innlandet.no) und Visit Norway (www.visitnorway.de/) gesponsert.

Im Gegenteil hier am Ranselva. Vor zehn Jahren begann der Multimillionär, wie er versichert, seinen Traum zu realisieren: Aus Kistefos einen wichtigen Punkt auf der internationalen Kunstkarte zu machen. So wie Louisana nördlich von Kopenhagen, dem wichtigsten Tempel zeitgenössischer Kunst Dänemarks der Nachkriegszeit, ein wie an den Steilhang des Öresunds bei Helsingör geschmustes Gebäudeensemble, das auch 50 Jahre nach seiner Eröffnung ziemlich frisch und unpatiniert aussieht. Das wollte also das Kind aus einer Papiermühlendynastie und heutiger Fondsmanager Sveaas, sozusagen, reenacten: eine Erstaunlichkeit an Künstlerischem, durch die ausgestellten Werke, doch auch mit dem Gebäude selbst.

Den Tourismusverantwortlichen in Hadeland war das nur recht: Man hat für Lillehammer zu werben, der inzwischen etwas angeranzten Stadt der Olympischen Winterspiele von 1994, aber Jevnaker, der Ort, zu dem Kistefos gehört und sie beide eben zu Hadeland, dem übersehenen Hügelland oberhalb Oslos, ist von eher minderem Interesse bei Gästen, die eben Fjorde und Fähren und Tunnel und schicke Berge sehen und erleben wollen: Man fährt, wenn überhaupt, durch.

Ein Juwel

Kistefos ist in dieser Hinsicht nun ein Juwel, die Prominenz zur Eröffnung deutet das an: Weshalb hätte sonst Hobbymalerin Königin Sonja für die Ehrengäste sehr viele Drucke persönlich fertigen und ihnen schenken lassen sollen? Die Dame ist über 80 und hat ja keine Zeit zu verlieren, aber sie sagte gegen das milde Getöse des vorbeirauschenden Ranselva, durchaus mit hochzufriedenen Miene: „Ich bin sehr stolz auf dieses Museum, ich fühle mich auf Anhieb wohl, hier Kunst präsentiert zu wissen.“

Und wie recht sie hat: Das Gebäude, das vor zehn Jahren ausgeplant war und nun eröffnet wurde, nennt sich „The Twist“, ein weißer Riegel, der, während er sich leicht gebogen über den Ranselva wölbt, um 90 Grad gedreht wurde; innen gibt das feine Stück einen perfekten Catwalk für Kunst. Alles in allem, dies vor allem, wirkt der „Twist“ wie ein kühler, erfrischender Kontrapunkt zum alten, historischen Hauptgebäude der Papiermühle: Die tote Hülle der alten Manufaktur in Sichtweite zum prestigeträchtigen Signum der postindustriellen Ära, ausgedrückt in teurer Kultur: Das war der Plan, so geht er nun in Erfüllung.

Eine Skulptur mit weißgepunkteten roten Tentakeln vor einem alten Gebäude

Kontraste: Yayoi Kusamas Skulptur „Shine of Life“ vor der alten Papierfarbik Foto: Einar Aslaksen

Der Mann, den Christen Sveaas als seinen Buddy bezeichnet und der sich dies gern gefallen lässt, ist Bjarke Ingels, Stararchitekt aus Kopenhagen mit Büros an allen Plätzen der Welt, wo auch das Geld zu Hause ist, und verantwortlich für so unterschiedliche Bauwerke wie eine Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen, das Lego-Haus im dänischen Billund, die „Serpentine Gallery“ in London, für die kasachische Nationalbilbiothek in Astana wie auch das New Tamayo Museum in Mexiko-Stadt. Der Mann weiß sich auf globalem Parkett zu bewegen und sieht eben deshalb auch wie ein Künstler aus, eine Spur Hipster, eine Idee von Durchsetzungsfähigkeit und im Lächeln, so scheint es, jede Menge Gestaltungswillen: Christen Sveaas wollte genau ihn, keine Provinzgröße, das Regionale ist ja ohnehin genug in Hadeland;

Mit Ingels’ Gebäude schließt sich sozusagen ein Kreis. Denn faktisch ist es ja ein gegen alle reißenden Fluten gesicherter Weg über den Ranselva, eine Brücke, die aus einem postindustriellen Gelände die Lücke zu einem entzückenden Rundweg schließt, einschließlich am Wegesrand ausgesäten Blumensamen, die zum Opening zurückhaltend, aber sichtbar in Ultracolor vor sich hin blühten: Auch dies natürlich wirkende Blumenwerk ein Produkt menschlicher Arbeit und Umsicht.

Eine Eins-a-Inszenierung der Moderne

Leicht ließen sich die Skulpturen, die auf jedem Meter jenseits des „Twist“ zu begucken sind, als Angeberei abtun: Dass da ein Mann des alten wie neuen Geldes aus der Portokasse sich Kultur kauft und sich mit ihr schmückt. Andererseits muss man das auch erst mal können, all die Oldenburgs, Miyakes, Elmgreen og Dragsets (klar, die dürfen nicht fehlen, sie haben sogar zum hölzern-metallischen „Twist“ etwas beisteuern können), Günthers, Raddums, Elíassons (der schon wieder!), Kapoors, Heins, Hodgkins, Manders, Gerrards, Kabakovs und Creeds – dekorativ ins Gelände platziert, keine Installation sieht aus, als wäre sie achtlos da hingeschoben, wo sie zu stehen kam, selbst dann, wenn es wahnsinnig natürlich aussieht: eine Eins-a-Inszenierung der Moderne, die ihre frühkapitalistischen Eierschalen ausstellt.

Ob das alles schon reicht, um ein norwegisches gegen das dänische Statement namens „Loui­siana“ zu setzen, wenigstens ernst genommen zu werden? Das ist natürlich offen, gewiss ist nur, dass dieses Land eine Attraktion mehr hat, eine beeindruckende obendrein – samt Kinderspielmöglichkeiten in Fülle: Kistefos – ein Mäzenatenparadies auch für angehende Künstler:innen außerdem, dies ja auch.

Aber hat die Gegend etwas davon, das ewig übersehene Hadeland? Darf übersehen werden, dass sich nahe Jevnaker seit 30 Jahren eine Weberei für höchste Qualitätsstandards etabliert hat – an Ort und Stelle wird dort an Webstühlen gearbeitet, per Hand, auch mit ausgemusterten Gerätschaften aus der Schweiz und Deutschland? Hat von dieser in einer Schlucht gelegenen Kunstgalerie das Pilgermuseum etwas, das ja gar nicht beansprucht, irgendwie genauso viel Spirit zu bieten wie der Jakobsweg in Frankreich und Spanien – vielleicht weil er nicht ganz so steinig und ruppig ist?

Alles in allem wirkt der „Twist“ wie ein kühler, erfrischender Kontrapunkt zur alten Papiermühle

Und nützen die erhofften Besucher:innen in Kistefos dem Hadeland Glassverk, einer alten Glasmanufaktur am Rande von Jevnaker mit Ausblick auf den See, wo das Wasser herkommt, das den glühenden Rohstoff abkühlen hilft? Die Fabrik, die umgeben ist von Shops und Outlets, weil es sonst mit dem Umsatz nicht reicht für die gar nicht mehr vielen Arbeitsplätze, die die Fabrik noch hat?

Keine Importware

Die Glasmanufaktur produziert ja noch selbst, lässt nicht günstiger in Tschechien fertigen, wie sie es im småländischen Kosta Boda halten, dem alten Konkurrenten der spätmittelalterlichen Fabrikproduk­tion von Glas. So wird es von den Glasbläsern (eine Glasbläserin gab es mal, aktuell meldet sich keine junge Frau für diesen offenkundig nicht zukunftsfähigen Beruf dort oben) gesagt, und so ist es wohl auch: Selbst in der Produktion in altem Handwerk wird Echtheit meist nur noch simuliert, wenn auch nicht immer.

Womöglich ist diese ganze Gegend in der Not, den alten Wohlstand, der der Natur abgerungen wurde – Wasser, Wind, Erze –, nicht nur retten zu müssen, sondern seine historischen Quellen vorzuzeigen, weil eben eine Glasfabrik (oder eine Weberei) zeigt, dass das gute Alte noch nicht untergegangen ist: Überall in Skandinavien sind ja Heimatmuseen gerade in den letzten 50 Jahren eröffnet worden, teils ehrenamtlich, manchmal mit viel staatlicher Finanzhilfe: Heimat als Ausstellungsgut, das einen verlässt. Christen Sveaas verfügt über die nötigen Mittel, dass er es anders halten konnte.

Er kaufte das ihn wohl sentimental stimmende Gelände seiner Familie zurück – und ließ es mit dem Gold heutiger Tage illustrieren: der Kunst. Dass er dafür einen Künstler wie Martin Creed gewann, Turner-Preisträger, ein wirklich lustiger Vogel, selbst Königin Sonja und Kronprinz Frederik spendeten seinem Gesang am Abend nach der Eröffnung im Festzelt Applaus. Creed – das war die Figur des Gauklers, der Freundliches zu seinen Auftraggebern sagt und doch wie ein Schelm sich ausnimmt: „It’s only for the exhibition!“

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