Rechtsextreme Netzwerke: Augen auf

Ein Verfassungsschützer taucht im Zusammenhang mit zwei rechtsextremen Morden auf. Das ist keine Bagatelle und muss genau untersucht werden.

Blick auf viele Blumen vor einer Mauer mit einer Tür

Der Zugang zur Synagoge in Halle in den Tagen nach dem Anschlag Foto: dpa

Der Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme, der am Tatort chillte, während Halit Yozgat vom NSU ermordet wurde, war auch mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan Ernst „dienstlich befasst“. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) nennt das normal und warnt davor, „Sachverhalte unnötig zu skandalisieren“.

Das ist kein Wunder. Wenn es um Rechtsextremismus geht, ist die Verharmlosung der erste deutsche Impuls. Auch nach dem Angriff in Halle hieß es, dass der Attentäter Stephan B. (nicht zu verwechseln mit Stephan E.) Einzeltäter sei. Bei Rechtsextremisten denkt man also zuerst an vereinzelte Stephans. Bis heute gilt der NSU als Trio.

Laut BKA gibt es zurzeit 43 rechts­ex­tre­me Gefährder*innen in Deutschland. Bei der Zahl weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Lachen, weil so eindeutig klar ist, dass die Zahl nicht stimmen kann und viel höher sein muss. Weinen, weil den Behörden der Ernst der Lage nicht klar zu sein scheint, während Rechtsextreme sich bewaffnen, Angriffe planen, umsetzen und live streamen.

Auch wenn sie ihre Taten einzeln verüben, sind sie Teil einer Gruppe: Die losen Strukturen arbeiten nach dem Prinzip des „führungslosen Widerstands“. Unter anderem schützen sie sich so vor Verfolgung.

Auch unter Journalist*innen herrscht oft eine verharmlosende Haltung. Die „Tagesschau“-Moderatorin Pinar Atalay fragte nur Stunden nach dem Anschlag in Halle den ARD-Terrorismusexperten Georg Mascolo, ob der Döner-Imbiss als Ziel zufällig ausgewählt worden sei. Mascolo nannte es „wahllos“, obwohl der Täter dabei das Wort „Kanake“ in den Mund nahm. Wenn das Motiv rassistisch ist, ist das Ziel gerade nicht wahllos. Atalay ließ Mascolos Aussage bedauerlicherweise unwidersprochen.

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Eigentlich sollte es genau umgekehrt laufen: Sachverhalte müssen skandalisiert werden. Bei rechts­ex­tre­mis­tischen Straftäter*innen ist zunächst mal davon auszugehen, dass sie keine Einzeltäter*innen sind. Wenn ein Name wie Temme erneut im Zusammenhang eines rechtsextremistischen Mords auftaucht, ist es nötig, sehr genau hinzuschauen. Rechtsextreme sind gut vernetzt und organisiert. Sie trainieren, üben mit Waffen, radikalisieren sich gegenseitig, bereiten sich auf ihren Tag X vor.

Und nicht alle Rechtsextreme tragen heutzutage Bomberjacken und Springerstiefel. Sie sitzen in Landesparlamenten, im Bundestag und im EU-Parlament, aber auch in Behörden und Redaktionen. Und genau das muss skandalisiert werden.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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