Neuer tunesischer Präsident: Authentisch, stoisch, Opel-Fahrer

Kaïs Saïed hat voraussichtlich die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Der Verfassungsrechtler war als klarer Außenseiter in den Wahlkampf gegangen.

Der neue tunesische Präsident steht vor einer roten Fahne.

Damit hatte wohl kaum einer gerechnet: Kaïs Saïed gewinnt die Stichwahl in Tunesien haushoch Foto: ap

TUNIS taz | Von den 26 zur Wahl stehenden Kandidaten hätten die Tunesier wohl keinen ungewöhnlicheren auswählen können. Mit 72,4 Prozent setzte sich bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag der pensionierte Verfassungsrechtler Kaïs Saïed gegen den Medienmogul Nabil Karoui durch – und wird voraussichtlich neuer Präsident in Tunesien. Die beiden Umfrageinstitute Sigma und Emrhod sahen Saïed am Montag mit über 70 Prozent der Stimmen klar vorne.

Dabei war der stoische 61-jährige mit den unbewegten Gesichtszügen bisher nur politischen Aktivisten ein Begriff. Bei der ersten TV-Debatte in der arabischen Welt fiel der aus einer Juristenfamilie stammende Saïed mit für viele Tunesier schwer zu verstehendem Hoch­arabisch auf. Seine monotone Sprechweise und sein Plan, gegen Korruption vorzugehen, brachten ihm den Spitznamen „Robocop“ ein.

Dennoch hat der politische Quereinsteiger die gesamte politische Elite Tunesiens mit seiner authentischen Art hinweggefegt. Am Sonntagabend zogen Tausende Tunesier aus allen sozialen Schichten mit revolutionären Parolen friedlich durch Tunis.

In seiner „Erläuterungskampagne“ vor den Wahlen warb Saïed für ein neues Regierungsmodell auf den Fundamenten von lokalem Bürgerengagement und der Dezentralisierung des politischen Systems. Diesmal solle die Revolution innerhalb der bestehenden Gesetze ablaufen, betont Saïed wie immer nüchtern und unaufgeregt.

Mischung aus Unglauben und Euphorie

Nach der Revolution hatte der Rechtsdozent an der vor drei Jahren verabschiedeten Verfassung mitgearbeitet. Seine Universitätsseminare setzte er am Wochenende informell fort. Mit dem Sammeltaxi oder mit seinem Opel fuhr er zu Diskussionsabenden in Kleinstädten, wo sich Politiker eigentlich nie blicken lassen und wo sich nach 2011 nicht viel geändert hat.

Seine ehemaligen Studenten berichten, dass er als Professor gerecht und authentisch gewesen sei, das reicht in dem von Alltagskorruption zerrütteten Tunesien als Projektionsfläche für bessere Zeiten. Noch vor vier Jahren lehnte Saïed eine Präsidentschaftskandidatur wegen seiner Aversion gegen die Machtspiele im Präsidentenpalast ab. Die akute Wirtschaftskrise bewog ihn, so sagte er, dieses Mal anzutreten.

Auf den Straßen von Tunis herrscht eine Mischung aus Unglauben und Euphorie, dass ein anscheinend uneigennütziges Freiwilligenteam in den Präsidentenpalast einzieht. Säkuläre Tunesier sehen die Mischung aus ultralinken und religiösen Aktivisten, die Saïed umgeben, kritisch. Die Strafbarkeit von Homosexualität sowie die Todesstrafe will er beibehalten.

Kaïs Saïed weiß, dass seine „Echab Yourid“-Kampagne („Das Volk will“) erst am Anfang steht. Als der Sieg feststand, setzte er sich für die Medien an seinen leeren Schreibtisch und sagte leise: „Ich spüre eine riesige Verantwortung. Wir dürfen nicht scheitern.“

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