Was hat Bauhaus mit Alltag zu tun?: Bauhaus zum Nachtisch

Auf Bauhaus-Spuren: Von Dessertschalen mit abgerundeten Ecken, die sich gut stapeln lassen und der Friedrich-Ebert-Siedlung am Nachtigalplatz.

Straßenschild an der Ecke Nachtigalplatz und Afrikanische Straße im Wedding

Hier im Wedding kann man flanierend Bauhaus-Erbe begutachten Foto: picture alliance / Monika Skolimowska/dpa

Seit einigen Monaten feiere ich jetzt diesen Geburtstag: 100 Jahre Bauhaus, das große Jubiläum, eine Einladung in die Vergangenheit, um von dort die Zukunft zu denken. Jedes Mal beeindrucken mich meine Begegnungen mit den radikalen Pionieren der Moderne. Was mich aber zunehmend verblüfft ist, wie weit ihre Ideen aus Architektur, Kunst und Design noch heute in meinem Alltag wirken.

Es beginnt während meiner Schulzeit, beim Kompott, das ich damals so gern aß. In der Schulspeisung wurden die eingekochten Pflaumen und Birnen in sogenannten Meladur (Hartplast-)Schälchen serviert, jenen pastellfarbenen Dessertschalen mit abgerundeten Ecken, die sich gut ineinander stapeln und platzsparend verstauen ließen. Bedient hatte sich deren Designer Albert Krause bei funktionalen Bauhaus-Ideen, die später in industrieller Massenproduktion des VEB Plasta Preßwerk im thüringischen Auma hergestellt wurden.

Beim letzten Umzug meiner Schwiegereltern haben wir vier Stühle ohne Hinterbeine geerbt, die federnd nachgeben, also schwingen. Ich sitze oft auf diesen Freischwingern. Sie sind nicht nur formschön – ohne dabei um Aufmerksamkeit zu heischen –, sie sind auch bequem und laden großzügig zum Fläzen oder Geradesitzen ein. Entwickelt wurden die ersten Prototypen der Stühle bereits 1926, weitere elastischere Versionen entwarfen der Bauhaus-Schüler Marcel Breuer, der spätere Erfinder des legendären „Wassily-Chair“, und der letzte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe.

Jener Ludwig Mies van der Rohe konstruierte auch die modernen Wohnblöcke in der Afrikanischen Straße, an denen ich auf dem Weg in den Volkspark Rehberge regelmäßig vorbeijogge. Wie eine Provokation müssen die zwischen 1926 und 1927 errichteten ockerfarbenen Klötze mit ihren glatten Fassaden und scharfkantigen Ecken auf viele BerlinerInnen, die damals in Jugendstilhäuser und Mietskasernen wohnten, gewirkt haben. Mit den Jahren wurde die zweckbetonte Bauweise mit den schmucklosen Fassaden, den Flachdächern und kubischen Formen, die Sonne, Luft und Licht in die großzügig geschnittenen Wohnungen ließen, immer mehr zum Politikum.

Demokratisierung von Architektur

So wie auch die aufgelockerte Zeilenbauweise der Friedrich-Ebert-Siedlung am Nachtigalplatz, nur ein paar Ecken weiter. Ihre Architekten Paul Mebes, Paul Emmerich und später Bruno Taut haben hier die Idee der Demokratisierung von Architektur verbaut. Denn errichtet wurden die Wohnblöcke mit ihren begrünten Höfen ab 1929 im rechten Winkel zur Straße – und damit die soziale Trennung zwischen Vorder- und Hinterhaus, zwischen Straßenseite und Rückfront verworfen. Auch betonte die sich wiederholende Zeilenbauweise Prinzipien von Gleichheit und Kollektivismus.

Derartiger Fortschritt war den Nazis ein Dorn im Auge. Sie ließen 1937 ein wuchtiges Brückenhaus – eine auf Pfeilern getragene Brücke mit Satteldach – vor die angrenzende Friedrich-Ebert-Siedlung bauen. Noch heute versperrt es den Blick auf die moderne Architektur.

Mitte Juni gab es in der Volksbühne Schorsch Kameruns Performance „Das Bauhaus – Ein rettendes Requiem“. Im Mittelpunkt der inszenierten Bauhaus-Totenmesse stand die posthume Vereinnahmung der Bauhaus-Ideen durch den Mainstream und Kommerz. Ihren Gipfel fand diese wohl in der Namensgebung einer großen Baumarktkette, in deren Filiale ich zuletzt viel zu teure Blumenerde und Übertöpfe für meine Terrasse gekauft habe.

Merkwürdigerweise habe ich den Baumarktnamen nie mit dem Dessauer Bauhaus zusammengebracht. Meine Synapsen stellen diese Analogie einfach nicht her. Ähnlich geht es mir übrigens auch mit dem Tag der Deutschen Einheit und dem Fall der Mauer – aber das ist eine andere Geschichte.

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Jahrgang 1980. Seit August 2014 in der taz. Leitet zusammen mit Klaus Hillenbrand das Ressort taz.eins, das die ersten fünf Seiten der Tageszeitung verantwortet. War vorher als Autorin für verschiedene Tageszeitungen und Magazine tätig, entwickelte Konzepte für diverse Publikationen und war Chefredakteurin des unabhängigen Magazins für Alltagskultur "Der Wedding". Schreibt gern über Ostdeutschland, Postkolonialismus und Alltagskultur. Aufgewachsen auf der Insel Rügen.

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