Deutschland beim UN-Klimagipfel: Kein Vorreiter mehr

Merkel wird sich auf dem Gipfel in New York feiern lassen. Immerhin steht Deutschland global beim Klimaschutz weniger schlecht da als andere.

Foto vom Klimakabinett mit der Wärmebildkamera

Hitze sichtbar machen: Bei der Vorstellung des Klimapakets wurde mit Wärmebildkamera fotografiert Foto: dpa

BERLIN taz | Auf diese Clubmitgliedschaft hat Deutschland seit einem halben Jahr gewartet: Am Montag findet in New York der UN-Klimagipfel statt; die Bundesrepublik tritt zeitgleich der „Powering Past Coal Alliance“ bei, erklärte Umweltministerin Schulze (SPD). Wenn Angela Merkel am Abend auf der Generaldebatte der UN-Vollversammlung spricht, trägt das zum Ökoimage Deutschlands bei.

Zu der frei übersetzt Energie-nach-der-Kohle-Allianz gehören etwa 80 Staaten, Unternehmen und Kommunen, die sich weltweit zum Kohleausstieg bis 2030 verpflichtet haben. Bislang wollten die Anti-Kohle-Vorreiter unter Führung von Kanada und Großbritannien die Deutschen nicht dabeihaben, wo das Kohle-Aus erst 2038 kommen soll. Nun wurden diese Regeln geändert. Das zeigt, wie dringend der internationale Klimaschutz Erfolgserlebnisse braucht. Und wie wichtig dabei die Deutschen sind.

Denn trotz eines Klimapakets 2030, das von Umweltverbänden, Oppositionsparteien und vielen Wissenschaftlern als Enttäuschung gesehen wird, ist die Bundesrepublik Deutschland global gesehen immer noch einer der wichtigsten Akteure im Klimaschutz. CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel verpasst zwar ihr Reduktionsziel von 40 Prozent für 2020 gegenüber 1990, aber immerhin kann sie aktuell etwa minus 30 Prozent vorweisen. Damit ist Deutschland kein Vorreiter mehr wie früher – aber bei den Industriestaaten im Mittelfeld.

Laut UN-Zahlen für 2016 gibt es die größten Reduktionen, wo nach dem Ende des Sozialismus die CO2-intensive Wirtschaft zusammengebrochen ist. Die Ukraine, Litauen, Lettland, Rumänien und Weißrussland haben alle um ungefähr 60 Prozent ihre Emissionen reduziert, Russland um 32 Prozent. Westliche Industrieländer wie Australien (plus 32 Prozent), Kanada (plus 19), Neuseeland (plus 23) haben dagegen kräftig zugelegt – ganz zu schweigen von der Türkei mit plus 140 Prozent. Die USA sind seit 1990 praktisch gleich geblieben, Schwellenländer wie China, Indien, Südafrika, Brasilien oder Mexiko haben die Emissionen so kräftig gesteigert, dass heute weltweit 60 Prozent aller Klimagase aus dem „globalen Süden“ kommen.

DDR-Bonus für Deutschland

Unter den Industrieländern, die Klimaschutz ernst nehmen, gelten Großbritannien (minus 40 Prozent), Schweden (minus 26) und Dänemark (minus 30) als Vorreiter – Deutschland kommt nach diesen Zahlen von 2016 auf minus 27 Prozent. Experten ziehen aber 10 Prozentpunkte aus dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft ab.

„Schweden ist ein Vorreiter, weil es bereits von niedrigen Emissionen kam und seit Jahren mit einem verlässlich hohen CO2-Preis arbeitet“, sagt Jan Burck von der Entwicklungsorganisation Germanwatch, die auch den jährlichen „Klimaschutzindex“ entwirft. „Großbritannien hat sich von der Kohle abgewandt und in Gas investiert.“ Außerdem überwacht dort die unabhängige „Klimawandel-Kommission“ genau, ob die Regierung das erlaubte Fünfjahresbudget aus dem „Klimagesetz“ einhält. Im Index von Germanwatch ist Deutschland vom zweiten Platz (2008) auf Rang 27 (2019) abgestürzt. Den gesamten Klimaplan der EU bewertet das Analyseinstitut Climate Action Tracker mit „unzureichend“ für das 2-Grad-Ziel.

Deutschland dominiert mit seiner Wirtschaftskraft und seiner Politik die EU. Dabei liegen die deutschen Emissionen pro Kopf mit 9 Tonnen deutlich über dem EU-Schnitt von 7 Tonnen. Deshalb muss Deutschland bei der Lastenverteilung in der EU auch beim Klimaschutz mehr leisten als andere: Das deutsche Ziel von minus 55 Prozent für 2030 soll das EU-Ziel von minus 40 Prozent in diesem Jahr garantieren.

Wenn die EU nun dieses Ziel auf 50 oder 55 Prozent anhebt, wie es die designierte Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, angekündigt hat, heißt das für Deutschland nach Meinung vieler Experten: Bis 2030 müsste das Land nicht nur 55, sondern 60 bis 70 Prozent Minderung erreichen.

Deutschland hat 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber 2 Prozent aller Emissionen.

Deutschland hat 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber 2 Prozent aller Emissionen. Rechnet man die „historischen“ Emissionen der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt dazu, beträgt der deutsche Anteil etwa 4 Prozent am Klimaproblem. „Wenn wir unsere Verantwortung als großes und reiches Land wahrnehmen, müssten wir null Emissionen eigentlich bereits 2030 erreichen“, sagt Niklas Höhne, Chef des Thinktanks New­Climate.

Seit Langem bringt Deutschland den Klimaschutz weltweit mit finanziellen Hilfen voran. Jährlich fließen nach Zahlen der Regierung etwa 4 Milliarden Euro in Klimaschutzmaßnahmen, Waldprogramme, Entwicklungshilfe, den „Grünen Klimafonds der UNO“ oder Hilfe für arme Staaten bei Aufbau von Forschung und Verwaltung. Deutschland bezahlt auch einen großen Teil der Arbeit des UN-Klimasekretariats in Bonn.

Für den größten Beitrag Deutschlands zum Klimaschutz halten viele Experten die Energiewende: klare Subventionen für Erneuerbare, ein Datum für den Kohleausstieg und 40 Milliarden Euro an Strukturhilfen, um die Kohleregionen zu entschädigen – davon träumen etwa Kohlekumpel in den USA.

Vor allem aber preisen weltweit Experten die deutsche Energiewende, weil sie die Preise für Solar- und Windkraft so weit her­untergebracht hat, dass diese Techniken jetzt in vielen Gegenden wettbewerbsfähig mit der Kohle sind.

Auch deshalb wird Angela Merkel beim Gipfel in New York gefeiert werden. „In der Klimadiplomatie reicht es derzeit aus, irgendetwas zu haben“, sagte Susanne Dröge, Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, „auch wenn das, was man hat, stark verbesserungswürdig ist.“

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