Tourismus in Italien: Die Grand Tour der Massen

Reisen nach Italien waren schon in der Antike in. Heute wird die „Grand Tour“ von Kreuzfahrtschiffen angeboten. Wie hat sich das Reisen verändert?

Karikatur der Mona Lisa

Dieses Werk hängt über einer Sitzbank im toskanischen Montalcino Foto: imago/Michael Eichhammer

Die Italiensehnsucht der Deutschen ist sprichwörtlich und hat eine lange Tradition. Die Schwärmerei begann längst vor den Adria-Urlaubern des Wirtschaftsbooms und der Toskana-Fraktion, die es gern mit Rotwein und linken Liedern hielt. Die Idylle des milden Klimas und der lieblichen Hügel, wo hier und da eine altertümliche Säule dekorativ herumliegt, hatte sich schon in Goethes Epoche in den deutschen Köpfen festgesetzt.

Die klassische Antike war groß in Mode und viele Adelige brachen auf zur Grand Tour nach Italien. Diese dauerte ein paar Monate oder auch Jahre. Die große Tour zu Stätten der Kunst und Kultur, vor allem in Italien, waren ein Muss für betuchte Europäer und das erste Phänomen einer allgemeinen Reisekultur, aus der im 19. Jahrhundert schließlich auch das Wort Tourismus entstand.

Vieles hat sich seitdem geändert, anderes hingegen nicht. Schon zu Zeiten der Grand Tour klafften Erwartung und Wirklichkeit oft auseinander. In Rom trafen romantische Seelen auf antike Ruinen, die als Abtritt dienten, schlammige Straßen und dreckige Laken in den Herbergen – so ein Reisebericht, zitiert in einem der Beiträge des Sammelbands „Dreckige Laken“, herausgegeben von Joseph Imorde und Erik Wegerhoff. Wer nicht über die Ironie eines Heinrich Heine verfügte, der sich mit Karikaturen seiner Mitreisenden und Urlaubsflirts vergnügte, bekam da schnell schlechte Laune.

Als Störfaktor galten neben den lärmenden Stadtbewohnern auch die Reiseführer, wegen ihrer Redseligkeit Ciceroni genannt, die ihre Kunden für teures Geld auf ausgetretene Pfade lotsten. Kurzum, für viele war die Grand Tour ein Reinfall. Nach der Rückkehr nährte man Vorurteile gegenüber den Italienern, aber nur wenige Reiseberichte trauten sich, die Idylle der antiken Sehnsuchtsorte zu entzaubern. Authentische Beobachtungen von Land und Leuten blieben dabei auf der Strecke.

Nach der Rückkehr nährte man Vorurteile gegenüber den Italienern, aber nur wenige Reiseberichte trauten sich, die Idylle der antiken Sehnsuchtsorte zu entzaubern

Der Touristenstrom nach Italien ist seitdem nie versiegt. Heute wird die Grand Tour von Kreuzfahrtschiffen angeboten. Und die landen mit Sicherheit in Venedig. Wer den Blick von einem dieser Wolkenkratzer der Meere auf die Lagunenstadt wirft, dem müsse sie wohl klein und verfallen erscheinen, so der Kunsthistoriker Salvatore Sottis in seiner Streitschrift „Wenn Venedig stirbt“. Das ist seiner Meinung nach eine neue Perspektive des Reisens, die alles verändert. Wer für ein paar Stunden die Lagune besucht, möchte schnelles Essen und schnelle Eindrücke konsumieren. Die Eigenartigkeit der Stadt, ihre einzigartige Architektur, Lage und Geschichte spielen dabei kaum noch eine Rolle.

Joseph Imorde, Erik Wegerhoff (Hg.): „Dreckige Laken. Die Kehrseite der ,Grand Tour‘“. 208 Seiten, 13,90 Euro

Salvatore Settis: „Wenn Venedig stirbt. Streitschrift gegen den Ausverkauf der Städte“. Übersetzt von Victoria Lorini. 160 Seiten, 11,90 Euro

Beide Bücher wurden neu aufgelegt im Verlag Klaus Wagenbach

Der Massentourismus hat Venedig im Griff. Auf jede Person, die hier lebt, kommen jährlich 600 Besucher. Wie kann die Zukunft einer solchen Stadt aussehen? Das fragen sich die Venezianer, aber auch die Bewohner anderer Städte, die von Riesenschiffen und Trolleys überrollt werden. Die Grand Tour der digitalisierten Massen ist heute überall.

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