Proteste in Hongkong: Gewalt als zynisches Kalkül

Bei den Straßenprotesten schießt die Polizei erstmals gezielt auf einen Demonstranten. Ein Eingreifen Pekings hätte einen sehr hohen Preis.

Demonstrant vor brennender Barrikade

Szenen der Zerstörung: Demonstrant vor einer brennenden Barrikade in Hongkong Foto: dpa

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es bei den seit Wochen andauernden Massenprotesten in Hongkong erste Tote gibt. Bis jetzt war dies zum Glück noch nicht der Fall. Doch machten allein an diesem 1. Oktober, Chinas Nationalfeiertag und Hongkongs „Tag der Trauer“, Polizisten bislang fünfmal von der Schusswaffe Gebrauch. Erstmals wurde gezielt auf einen Demonstranten geschossen, der in die Brust getroffen wurde. Bisher hat er überlebt. Umgekehrt prügeln einige Demonstranten mit großer Heftigkeit auf Polizisten ein, die dabei um ihr Leben fürchten dürften. Auch beim Werfen mit Brandsätzen oder dem Anzünden von Gebäudeeingängen und U-Bahnhöfen kann es zu Todesopfern kommen.

Auf beiden Seiten scheint es Personen zu geben, denen dies ins Kalkül passt. Hongkongs Regierung hat von vornherein die hinter den Protesten stehenden politischen und sozialen Probleme hauptsächlich mit polizeilichen Mitteln zu lösen versucht. Eine politische Antwort, die Rücknahme des umstrittenen Auslieferungsgesetzes, kam viel zu spät.

Da hatten Demonstranten längst das Gefühl, dass sie auch dann ignoriert werden, wenn sie mit zwei Millionen Menschen auf die Straße gehen. Mehr Druck könnten sie nur noch ausüben, wenn sie zu Gewalt greifen, ist die fatale Schlussfolgerung. Zuvor hatten manche schon die Erfahrung gemacht, dass sie bei Wahlen nicht zugelassen oder ihnen später ihre Sitze wieder aberkannt wurden. Seitdem tragen Ohnmacht und Verzweiflung zur Gewalt der Demonstranten bei.

Hongkongs Polizei genoss früher hohes Ansehen. Der Ruf ist inzwischen ruiniert. Zum einen, weil sie die Gewalt prochinesischer Schlägertrupps tolerierte. Zum anderen, weil sie selbst immer brutaler agiert. Die Regierung in Peking fordert seit Wochen ein hartes Vorgehen, weil sie die Demonstranten nur als Chaoten sieht. Gibt es Tote, würde dies einen willkommenen Vorwand zum hartem Durchgreifen Chinas liefern. Denn das würde zeigen: Hongkong kann seine Probleme nur mit Pekings Hilfe bewältigen.

Es braucht ehrliche politische Angebote

Doch die Gewalt und mögliche Tote lassen sich nicht mit Demonstrationsverboten verhindern, wie Hongkongs Regierung das bisher versucht. Dies scheint den Widerstand sogar noch anzufachen. Ein gewaltsames Eingreifen Chinas hätte auch für Peking einen sehr hohen Preis. Es braucht ehrliche politische Angebote und eine Art Runden Tisch, der, wie von den Demonstranten seit Wochen gefordert, auch die Gewalt der Polizei (und die der Demonstranten) thematisiert. Das zu verweigern heißt, weiter auf Gewalt zu setzen und Tote billigend in Kauf zu nehmen.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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