Verdi-Bundeskongress in Leipzig: Werneke gibt sich kämpferisch

Der neue Gewerkschaftschef fordert einen „Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft“. Der Plan: eine ökologische Energie-, Verkehrs- und Agrarwende.

Verdi-Vorsitzender Frank Werneke

Verdi-Chef Frank Werneke will eine „ökologische Transformation, bei der es sozial gerecht zugeht“ Foto: Hendrik Schmidt/dpa

LEIPZIG taz | Die Abwechslung auf dem Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Leipzig war nur kurz. Am Mittwochnachmittag zogen mehrere ­Dutzend jugendliche VerdianerInnen singend und Fahnen schwingend in den Saal ein. Ihr Anliegen: radikale Arbeitszeitverkürzung! Für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich solle Verdi eintreten.

Auch wenn die Delegierten mit wohlwollenden Applaus ihre Dankbarkeit zeigten, für ein paar ­Minuten aus ihrem Beratungsmarathon gerissen worden zu sein: Deutschlands zweitgrößte Gewerkschaft wird sich diese Forderung erst mal nicht zu eigen machen.

Gleichwohl ließ ihr neugewählter Vorsitzender Frank Werneke in seiner ersten Grundsatzrede keinen Zweifel daran, dass Verdi auch unter seiner Führung weiterhin den Anspruch hat, die linkeste Gewerkschaft Deutschlands zu sein. So sprach sich der 52-jährige Nachfolger von Frank Bsirske für nicht weniger als einen „massiven Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft“ aus.

In seiner mehr als einstündigen Rede am Mittwochmorgen fanden sich viele altbekannte Forderungen – von der Wiedereinführung der Vermögenssteuer bis zur Überwindung von Hartz IV („Herumreparieren reicht nicht!“). Aber Werneke setzte auch einige neue Akzente.

Beispiel Wohnungspolitik: Spekulationen mit Grund und Boden müssten bekämpft werden, forderte er. Wenn anderes nichts nütze, müsse das Spekulantentum auch „mit Enteignungen angegangen werden“.

Als erster Gewerkschaftschef schloss sich Werneke der Forderung nach einem Paritätsgesetz an

Zusätzlich müssten jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen gebaut werden. Doch das alleine reiche nicht, um der Wohnungsmisere wirkungsvoll zu begegnen. Auch gehe es darum, die Marktmacht der rein profitorientierten privaten Wohnungskonzerne zugunsten öffentlicher und genossenschaftlicher Wohnungsbaugesellschaften einzuschränken.

Ausdrücklich begrüßte Werneke den Mietendeckel, wie ihn die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin plant. „Wohnen ist ein soziales Grundrecht, das nicht der Logik des Marktes unterworfen werden darf“, sagte er.

Großen Raum nahm außerdem die Klimapolitik ein. Wie schon sein Vorgänger Bsirske stellte sich auch Werneke an die Seite der Fridays for Future, mit der Verdi „auch in der kommenden Zeit eng zusammenarbeiten“ werde. „Wir brauchen jetzt eine ökologische Energie-, Verkehrs- und Agrarwende“, forderte er. Erforderlich sei eine „ökologische Transformation, bei der es sozial gerecht zugeht“. Das von der Großen Koalition beschlossene Klimapaket bezeichnete er als „eine klare Enttäuschung“.

Scharf verurteilte Werneke, dass die allermeisten Regierungen Europas statt auf die Bekämpfung von Fluchtursachen immer stärker auf Abschottung sowie die Abschreckung und Abschiebung geflüchteter Menschen setzten. „Damit wird von den Regierenden tausendfach das Sterben vor den Küsten Europas billigend in Kauf genommen“, empörte er sich. „Diese menschenverachtende Abschottungspolitik der Europäischen Union verurteilen wir zutiefst!“ Die Solidarität von Verdi gehöre demgegenüber den Menschen in Not und den Menschen, die auf der Flucht sind.

Deutliche Worte fand Werneke auch für die AfD. In der Partei seien „rechtsextreme Sozialpopulisten“ am Werk. Wenn es um Arbeitsplätze, bezahlbaren Wohnraum und soziale Sicherung gehe, versuchten sie, Einheimische gegen Geflüchtete zu treiben. Statt die Armut der Ärmsten zu bekämpfen, werde Ängste, Neid und Hass geschürt. Deshalb seien sie „Täuscher“.

In der Realität verlaufe der Verteilungskonflikt „nicht zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, sondern zwischen oben und unten, zwischen Kapital und Arbeit“, sagte Werneke unter großem Beifall. Verdi stehe „für eine freie solidarische Gesellschaft, in der die Menschen gleich welchen Glaubens, gleich welcher Herkunft materiell, kulturell und politisch teilhaben können“.

Als erster Gewerkschaftschef schloss sich Werneke der Forderung nach einem Paritätsgesetz an. „Wir wollen die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an politischen Mandaten“, sagte er.

Verdi selbst geht dabei mit gutem Beispiel voran – und übererfüllt bereits die Quote: Von den 932 Bundeskongressdelegierten, die noch bis zum Samstag in der Leipziger Messe tagen, sind 557 weiblich. Dem am Dienstag gewählten Bundesvorstand gehören sechs Frauen und nur drei Männer an.

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