Rechtsextreme Anschläge in Neukölln: Soko Fokus nur mit halber Kraft

Eine neue Ermittlungsgruppe soll die Anschläge in Neukölln aufklären. Doch die Realität sieht weniger glänzend aus als die Ankündigung.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik und Innensenator Andreas Geisel (SPD) Foto: dpa

BERLIN taz | „Unabhängige Ermittler“ sollten sich ab sofort „alle vorliegenden Akten und Untersuchungsergebnisse anschauen und die Vorgänge aufarbeiten, um mögliche lose Enden miteinander verknüpfen zu können“: So begründete Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Mai die Gründung der neuen 30-köpfigen Ermittlergruppe Fokus, die sich die mutmaßlich rechtsextreme Anschlagserie in Neukölln mit „neuen Augen“ anschauen werde.

30 unvoreingenommene Ermittler also, die mit Hochdruck an der Aufklärung der Anschlagserie arbeiten? Das entspricht offenbar nicht der Realität. Wie aus der Antwort der Senatsverwaltung für Inneres auf eine bislang unveröffentlichte Anfrage der Linken-Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader hervorgeht, die der taz vorliegt, sind es aktuell nur 15 statt 30 Mitarbeiter:innen der Polizei, die der BAO Fokus, wie die Einheit offiziell heißt, zur Verfügung stehen. „Die Gesamtstärke der BAO Fokus ist anlassbezogen bis auf 30 Mitarbeitende anwachsend“, heißt es dort.

Bei diesen 15 Beamten handele es sich außerdem nicht nur um Ermittler:innen aus dem polizeilichen Staatsschutz und der Abteilung 1 des Landeskriminalamts, sondern auch um Mitarbeiter:innen der Pressestelle. Wie viele für die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei zuständige Beamte genau in der BAO Fokus eingesetzt sind, wollte die Pressestelle auf taz-Anfrage „aus ermittlungstaktischen Gründen“ nicht beantworten.

Unklares Konzept

Protestieren Nach wie vor demonstriert die Bürgerinitiative Basta jeden Donnerstagmorgen vor dem LKA, um die Aufklärung der Anschlagserie zu fordern.

Diskutieren Am Donnerstagabend findet in der Fritz-Karsen-Schule in Britz eine Veranstaltung zum Thema Rechter Terror in Neukölln mit Betroffenen und Experten statt.

Lesen Die taz-Recherchen zur Anschlagserie sind Teil des Sammelbands "Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz", der jetzt erschienen ist. (mgu)

Die „neuen Augen“ wiederum werden nicht alle in der BAO Fokus eingesetzten Ermittler:innen für sich beanspruchen können: „Die EG RESIN ging in voller Personalstärke in der BAO Fokus auf“, heißt es in dem Schreiben der Innenverwaltung. Die Ermittlungsgruppe RESIN (kurz für: Rechtsextremismus in Neukölln) war seit Januar 2017 für die Bearbeitung der Serie zuständig gewesen und umfasste sechs Polizist:innen. Personelle Veränderung hat es hier nach taz-Informationen nicht gegeben, alle in der EG Resin eingesetzten Ermittler:innen arbeiten heute in der BAO Fokus.

„Das Konzept der BAO Fokus ist offensichtlich sehr unklar“, so Anne Helm, Sprecherin ihrer Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus, am Mittwoch zur taz. Ob diese schon Erfolge verzeichnen könne, sei ebenfalls ungewiss, eine entsprechende Frage in der schriftlichen Anfrage bleibt „aus kriminaltaktischen Gründen“ unbeantwortet.

Die polizeilichen Ermittlungen zu den Neuköllner Anschlägen auf die Häuser oder Fahrzeuge von Personen, die sich im Bezirk gegen Rechts engagieren, stehen schon lange in der Kritik. Mehr als 50 Angriffe wurden seit Beginn der aktuellen Serie im Mai 2016 verzeichnet, die ebenso wie eine vorherige Serie in den Jahren 2011/12 bisher von keinerlei Ermittlungserfolg gekrönt war.

Opfer weist Erklärung zurück

Der Druck auf die Ermittlungsbehörden war gewachsen, nachdem im Januar 2018 bekannt geworden war, dass Verfassungsschutz und Polizei schon vor dem Anschlag auf den Neuköllner Linken-Lokalpolitiker Ferat Kocak am 1. Februar 2018 Erkenntnisse darüber hatten, dass zwei bekannte Rechtsextreme das spätere Opfer ausspionierten.

Zu den Gründen für dieses Versagen der Ermittlungsbehörden hatte sich die Innenverwaltung bislang nicht geäußert, da dies „Einzelheiten und Methoden der operativen Arbeitsweise des Berliner Verfassungsschutzes“ berühre. In dem aktuellen Schreiben heißt es nun, eine interne Prüfung habe ergeben, „dass die Polizei anhand der ihr vorliegenden Informationen den Anschlag nicht rechtzeitig hätte verhindern können“. Das passt zu der Version, die nach Bekanntwerden der Vorwürfe von der Polizei in einigen Berliner Medien verbreitet worden war: Da der Verfassungsschutz die Polizei zwei Tage vor dem Anschlag lediglich darüber informiert hatte, dass die beiden Rechtsextremen den Fahrer eines roten Smarts ausspionierten, sei es nicht möglich gewesen, rechtzeitig die genaue Person zu ermitteln.

Dass Ferat Kocak von diesen beiden Rechtsextremen beobachtet wird, war dem Verfassungsschutz allerdings bereits mindestens ein Jahr vor dem Anschlag bekannt. „Die Erklärung mit dem Smart ist doch Quatsch“, sagt Kocak am Dienstag der taz, „wenn man mich hätte schützen wollen, hätte man das auch tun können.“ Bei Kocak selbst hätten sich die Ermittlungsbehörden im Übrigen seit Bekanntwerden der Vorwürfe nicht ein einziges Mal gemeldet, um die Vorgänge zu erklären.

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