Berliner Fischer über invasive Krebsart: „Das ist mir zu viel Pulerei“

In Berlin breitet sich der Amerikanische Sumpfkrebs aus, für manchen eine Delikatesse. Klaus Hidde fängt die Tiere, isst aber lieber Schweinebraten.

Ein roter Krebs von vorn, gehalten von zwei Menschenhänden

Auch ungekocht knallrot: Der Rote Amerikanische Sumpfkrebs, gehalten von Klaus Hidde Foto: ap/Markus Schreiber/picture-alliance

An einem der letzten warmen Sommertage empfängt Klaus Hidde in seinem Garten in Berlin-Spandau. Das Grundstück der Familie liegt direkt am Wasser, an einem Graben, der bis zur Havel führt. Hidde zeigt auf ein Becken mitten auf dem Rasen. Rötliche Krebse klettern darin herum. Er greift ein Tier am Rücken und zieht es heraus, es fuchtelt mit den Scheren in der Luft herum. Dann setzen wir uns auf die Terrasse.

taz am wochenende: Herr Hidde, haben Sie die Tage einen guten Fang gemacht?

Klaus Hidde: Ja, war gut. Wir haben gestern die Reusen im Tiergarten geleert und etwa 45 Kilo Krebse rausgeholt, das sind zwischen 1.100 und 1.200 Tiere.

So viele Amerikanische Sumpfkrebse leben inzwischen mitten in der Stadt?

Letzten Sommer habe ich in Berlin insgesamt 40.000 Krebse gefangen. Sie wollen stilles und flaches Wasser haben, die Lebensverhältnisse im Tiergarten mit seinen vielen Zierseen sind ideal für sie. Die Population ist inzwischen so groß, dass sie sogar aus dem Wasser kommen, die kriegen dann so einen Trieb. Im Sommer, besonders wenn es warm ist und regnet, laufen sie über die Parkwege, um sich neue Reviere zu erschließen. In der Spree sind sie inzwischen auch.

Wenn die Krebse nicht aus der Spree kommen, wie sind sie dann überhaupt in den Tiergarten gelangt?

Sie stammen vermutlich aus Aquarien und wurden ausgesetzt.

Was machen Sie mit den gefangenen Tieren?

Ich bringe sie in Kisten zu mir nach Hause, hier landen sie erst mal im Wasserbassin im Garten.

Dann gibt’s bei Ihnen zurzeit wahrscheinlich ständig Krebs zum Essen.

Nee, das ist mir zu viel Pulerei. Ich mag Fisch auch nicht besonders gerne.

Sie sind Fischer und essen keinen Fisch?

Das schmeckt für mich nach nicht so viel. Schweinebraten ist mir lieber. Was ich fange, verkaufe ich.

64, ist gebürtiger (West-)Berliner. Er hat lange in einer Bank gearbeitet, inzwischen ist er in Rente. Die Fischerei war für ihn zeitlebens nur ein Nebenerwerb. Er verkauft außerdem Fischbrötchen bei Konzerten.

Seit letztem Jahr haben Sie als einziger Fischer Berlins die offizielle Genehmigung, Rote Amerikanische Sumpfkrebse zu fangen und zu vermarkten. Die Tiere sollen dezimiert werden. Warum ist das nötig?

Sie stehen auf der EU-Liste invasiver Arten, die die biologische Vielfalt bedrohen. Die Sumpfkrebse sind Träger von Krebspest und außerdem Allesfresser. Sie fressen Gras, Schilf, aber auch Fische, Laich und andere Tierarten. Im Britzer Garten in Neukölln gab es früher viele Kröten und Frösche. Seit sich der Sumpfkrebs dort ausbreitet, sind die Populationen stark zurückgegangen.

Krebse mit Migrationshintergrund also. Wie lange müssten die Tiere hier leben, um diesen zu verlieren?

Ach, ich gehe davon aus, dass die Amerikanischen Sumpfkrebse auch irgendwann zum ganz normalen Krebs werden. Früher hatten wir die deutschen Edelkrebse. Es gab so viele davon, Krebs war ein Arme-Leute-Essen. Dann kam eine Krebspest und sie wurden ausgerottet. Damals sind auch schon amerikanische Krebse eingewandert, eine andere Sorte. Die galt auch als invasiv – inzwischen leben die hier ganz normal.

Vielleicht ist es in Zeiten des Klimawandels auch nur folgerichtig, dass sich in Deutschland Tiere aus wärmeren Gegenden ansiedeln.

Die Krebse kommen ja aus dem Mississippi-Gebiet. Man merkt, dass die Amerikanischen Sumpfkrebse bei Wärme agiler sind. Sie sind auch aggressiver und versuchen dann eher zuzuschnappen. Ich bin etwas weitsichtig, mich haben sie in letzter Zeit öfters erwischt.

Nicht nur die Krebse, auch die chinesische Wollhandkrabbe gibt es längst in deutschen Gewässern. Sind Sie der schon mal begegnet?

Ja, klar. Die Wollhandkrabben sind mit dem Ballastwasser von Tankern nach Deutschland gekommen, sie wandern die Elbe hoch. Die meisten fängt man da, wo die Havel in die Elbe fließt. In Berlin kommen sie vorwiegend im Herbst an. Ich bin ja im Ruhestand und fische nur im Nebenerwerb. Aber mein Sohn ist Berufsfischer, der hat jedes Jahr ungefähr 200 bis 300 Kilo Wollhandkrabben in den Netzen.

Was macht er damit?

Da sind die chinesischen Mitbürger ganz hinterher. Chinarestaurants in Berlin kaufen sie uns ab. Auch die chinesische Botschaft wollte Wollhandkrabben haben, die hat uns letztes Jahr außerdem 40 oder 50 Kilo Sumpfkrebse über den Großhandel abgenommen. Sogar aus Warschau kam schon ein Chinese, um Krebse zu kaufen.

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Auch in der Kreuzberger Markthalle Neun wurden die Krebse als Delikatesse angeboten.

Bevor es vergangenes Jahr mit dem Fang losging, habe ich bei Restaurants angerufen, ob sie Interesse an den Krebsen haben. Ich muss mich ja auch um die Vermarktung kümmern. Die haben gesagt: Haben wir nicht auf der Speisekarte, können wir nichts mit anfangen. Nur ein Händler aus der Kreuzberger Markthalle war interessiert. Ich habe denen die Krebse für 12 Euro das Kilo geliefert, sie haben sie für 29 Euro angeboten.

Und, wurden die Krebse gekauft?

Die waren richtig angesagt. Hipster, junge Leute, die dem Trend folgen wollen, die essen so was. Sogar der Koch des Bundespräsidenten hat mal in der Markthalle gekauft. Aber letztlich war der Preis doch sehr teuer und so viele Krebse, wie ich gefangen habe, konnten die da gar nicht verkaufen. Inzwischen beliefere ich die Markthalle nicht mehr, sondern vor allem den Großhandel.

Lohnt sich das für Sie?

Ich hatte im vergangenen Jahr Einnahmen von zirka 13.000 Euro. Davon muss man die Ausgaben abziehen, auch die viele Arbeitszeit. Man muss die Krebse ja nicht nur fangen, sondern auch sortieren und verkaufen. Das kann sich kein Berufsfischer erlauben. Wenn der einen Aal fängt und ihn räuchert, verdient er viel mehr.

Seit einem Jahr widmen Sie sich dem Krebsfang. Warum machen Sie das?

Es ist eine Möglichkeit, ein bisschen Geld zu verdienen. Aber das ist nicht das Wichtigste. Vor allem ist es eine sinnvolle Aufgabe. Meine Frau ist den Sommer über auf Fuerteventura, ich hätte mitfahren können. Es ist schön da, aber auch langweilig. Hier habe ich zu tun. Und man erhält durch die Krebse auch ein bisschen Anerkennung. Ich bin kein Selbstdarsteller, so was wie das Interview hier ist mir eigentlich peinlich. Aber durch die Krebse habe ich einen gewissen Stellenwert, das zeigt sich in den Medien.

Wie kamen Sie eigentlich zur Fischerei?

Ich bin in Spandau am Wasser groß geworden. Die Fischereirechte auf der Havel wurden unserer und anderen Familien vor über 500 Jahren verliehen und immer weitergegeben. Nach dem Abitur war trotzdem klar, dass ich das nur nebenbei mache, ich habe lange bei der Bank gearbeitet. Am Ende wollten sie mich in den Vertrieb stecken, ich sollte Zockerprodukte verkaufen, das fand ich nicht so prickelnd. 2008 habe ich aufgehört. Ich habe mir gesagt: Lieber wenig Geld und leben als einen Herzinfarkt und tot. So hatte ich auch wieder mehr Zeit zum Fischen.

Wünschen Sie sich manchmal, am Meer zu leben?

Als ich noch auf der Havel gefischt habe, bin ich früh um vier oder fünf Uhr rausgefahren und habe den Sonnenaufgang angeschaut. Wenn das Wasser ganz glatt ist und Sie mit dem Fischerkahn unterwegs sind, alles ist still, das hat seinen eigenen Reiz. Man glaubt nicht, dass man in Berlin ist. Da müssen Sie gar nicht ans Meer.

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