Federpicken von Hühnern: „Depressive Hühner“

Federpicken ist in der Hühnerhaltung weit verbreitet. Die Tiere rupfen sich gegenseitig die Federn. Forscher suchen nach Abhilfe.

Küken in der Massentierhaltung

Je enger es wird, umso mehr reißen sich die Hühner einander die Federn raus Foto: imago images/blickwinkel

MÜNCHEN taz | Dass Hühner picken und scharren, also ständig auf Nahrungssuche sind, weiß eigentlich jedes Kind. Trotzdem bekommen sie in den Legebetrieben normalerweise zu bestimmten Zeiten ihre Futterrationen. Dass sie sich dann in den Pausen quasi „langweilen“, ist verständlich. Dies wird als eine mögliche Ursache für das in Hühnerställen beobachtete Federpicken diskutiert. Dabei picken die Tiere auf Artgenossinnen ein, rupfen ihnen Federn aus und verletzen sie teilweise so heftig, dass diese sterben. Rund 10 Prozent der in Deutschland gehaltenen Hühner sind davon betroffen, das sind rund 4 Millionen. Und das bedeutet nicht nur Leid für die Tiere, sondern verursacht auch einen wirtschaftlichen Schaden.

Eine Zeitlang wurde das Problem damit bekämpft, dass man den Tieren in konventionellen Betrieben bereits im Kükenalter die Schnäbel kupiert hat. Das heißt, rund ein Drittel des Schnabelgewebes wurde mit einem glühenden Messer entfernt. Die im Schnabel befindlichen ­Nerven, Tastkörperchen und Blutgefäße waren davon ebenso tangiert. Doch diese Prozedur ist nicht nur schmerzhaft, der Schnabel ist auch ein Organ, mit dem die Tiere Kontakt zur Umwelt und Artgenossen aufnehmen. Darum haben sich deutsche Geflügelhalter Ende 2016 verpflichtet, auf diese Praxis zu verzichten. Und darum ist man nun auf der Suche nach Möglichkeiten, das Federpicken auf anderen Wegen einzudämmen.

„Die wichtigste Maßnahme ist Beschäftigung“, meint Jens Tetens, Geflügelwissenschaftler an der Universität Göttingen. Beispielsweise können die Halter die Tiere mit Picksteinen, Stroh oder Weizenkörnern in der Einstreu davon ablenken. „Komplett verhindern lässt sich das Verhalten so aber auch nicht, und letztlich muss das gesamte Haltungskonzept stimmig sein“, sagt Tetens.

So spielen etwa auch die Lichtverhältnisse eine Rolle. „Hühner sind eigentlich Dschungelbewohner und mögen eher schummriges Licht“, so Tetens. Hühner sehen auch in dem für den Menschen nicht erschlossenen UV-Bereich. Außerdem nehmen sie ihre Umgebung in höherer zeitlicher Auflösung wahr – eine Lampe, die für uns ganz normal leuchtet, kann für Hühner bereits entnervend flackern. In der Freilandhaltung könnte man die Lichtintensität zwar nicht steuern, aber Ställe sollten nicht zu grell ausgeleuchtet werden.

Ein Drittel des Schnabelgewebes wurde bei den Küken mit einem glühenden Messer entfernt

Bereits in der Jungtieraufzucht sollten die Tiere das natürliche Erkundungs- und Nahrungsverhalten erlernen und ausleben können. Auch sollte die Einstreu rund zehn Zentimeter dick sein, damit die Tiere ein Staub- oder Sandband nehmen können. Das steigert ihr Wohlbefinden und reduziert Stress. Hilfreich ist zudem ein eher feuchtes Stallklima. Und das Futter muss ausreichend Nährstoffe, vor allem wichtige Aminosäuren, genug Eiweiß und Mineralstoffe enthalten.

Mobile Freilandhaltung

Zudem hat eine aktuelle Studie des Thünen-Instituts ergeben, dass vor allem in der Boden- und Freilandhaltung Kannibalismus vorkommt, während die mobile Freilandhaltung die wenigsten Probleme hat. Eine Rolle spielt auch die Anzahl der gehaltenen Hühner: In Betrieben, die weniger als 3.000 Tiere halten, kommt das Federpicken mit 48 Prozent seltener vor als in Ställen mit einem Besatz von mehr als 20.000 – hier berichteten alle Betriebe von versehrten Tieren. Fast 40 Prozent ­aller Legehennen in Deutschland leben in großen Betrieben mit mehr als 100.000 Tieren.

Letztlich versuchen Züchter und Wissenschaftler auch, die genetischen Grundlagen des Federpickens besser zu verstehen und dann Linien zu züchten, die von sich aus ein weniger obsessives Verhalten an den Tag legen. „Rund 20 Prozent des Verhaltens lassen sich genetisch erklären“, sagt Tetens. Auch innerhalb jeder Rasse gibt es individuelle Unterschiede. Allerdings: „Beim Federpicken handelt es sich ja um ein komplex vererbtes Merkmal, sodass es nicht nur ein Gen gibt, das die Tiere dazu veranlasst“, erklärt der Göttinger Wissenschaftler.

Es gibt jedoch Hinweise, dass Störungen im Serotonin-Stoffwechsel eine Rolle spielen. Tiere mit sehr niedrigen Pegeln picken besonders heftig. Auch wurden schon mehrere Gene gefunden, die das Neurotransmitter-System beeinflussen. Beim Menschen wird vermutet, dass ein Serotonin-Mangel Ursache für eine Depression sei. Man könnte also sagen, dass die Tiere eine Art Depression durchmachen. Studien haben gezeigt, dass man betroffene Hühner tatsächlich mit Serotonin-Aufnahme-Hemmern (SSRI), also Antidepressiva, behandeln und damit das Federpicken reduzieren kann. SSRI bewirken, dass genügend Serotonin im synaptischen Spalt zwischen den Nervenzellen verbleibt, wo der Botenstoff ankommende Reize weiterleitet. Praktisch anwendbar ist diese Erkenntnis zwar nicht, dennoch helfen solche Studien, die genetischen Ursachen für das Verhalten zu verstehen.

Veränderte Schnabelform

Eine weitere züchterische Möglichkeit wäre es, die Schnabelform zu selektieren. Das heißt, man würde nur Tiere weiter züchten, die eine runde Form des Oberschnabels aufweisen, was das Verletzungsrisiko reduzieren soll. Erste Versuche gibt es bereits bei der EW Group, einem der weltweit größten Zuchtunternehmen. Dennoch: „Versuche, das Problem mit klassischen genetischen Methoden zu beheben, waren bisher wenig erfolgreich“, sagt Werner Bessei von der Universität Hohenheim.

Derweil wird erforscht, wie sich die Erbanlagen auch auf das Gehirn und den Darm auswirken. Denn Studien unter anderem der Universität Wageningen zeigten, dass federpickende Hühner nicht nur wenig Serotonin im Blut haben, sondern auch Auffälligkeiten im Darmmikrobiom und im Immunsystem aufweisen.

Schnelle Hilfe könnte derweil aus der Zweinutzungszucht kommen. Bei einem öffentlich geförderten Forschungsprojekt namens „Integhof“ waren die Zweinutzungshühner deutlich ruhiger und einfacher im Umgang als die Vergleichstiere einer konventionellen Legehennenlinie. Die Hennen der Zweinutzungslinie hatten bis zum Ende der Legeperiode ein nahezu intaktes Gefieder.

Die Tiere der auf Hochleistung getrimmten Vergleichslinie zeigten dagegen zum Teil drastische Federverluste an unterschiedlichen Körperregionen durch Federpicken. Zweinutzungshühner sind Rassen, bei denen die Hennen reichlich Eier legen und die Hähne in der Mast auch gut an Gewicht zulegen. Sie wurden ursprünglich erforscht, um das millionenfache Töten von männlichen Eintagsküken zu beenden.

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