Umfrage in Brandenburg und Sachsen: Die Mär vom Sprechverbot

Die große Mehrheit der Ostwähler*innen findet: Bestimmte Meinungen würden ausgegrenzt. Auch die Hälfte des linken Lagers denkt so.

"Kein Platz für Rassismus", steht auf einem Aufkleber auf einem Straßenschild im brandenburgischen Hirschfeld

Wer glaubt, dass es Ausgrenzung ist, sich gegen Rassismus zu stellen? Nur Rechte? Foto: dpa

„Bei bestimmten Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt.“ Dieser Aussage stimmen 69 Prozent der Wähler*innen in Sachsen zu – laut einer Vorwahlumfrage von Infratest dimap. Unter AfD-Wähler*innen sind es sogar 98 Prozent, doch auch unter den Grünen- und Linken-Wähler*innen aus Sachsen stimmen mindestens die Hälfte der Aussage zu. Und in Brandenburg sehen die Umfrageergebnisse ähnlich aus.

Die Zahlen sind erschreckend, zeigen sie doch in erster Linie, dass sich ein bestimmtes rechtes Narrativ nicht nur in rechten Milieus, sondern in allen Teilen der Gesellschaft durchgesetzt hat. Nämlich das Narrativ von den zunehmenden „Denk- und Sprechverboten“, ein Framing, das vor allem Menschen im Umfeld der AfD immer wieder aufrufen – aber nicht nur.

Die Feuilletons, Bücherregale und Magazine sind voll solcher Texte, die Autor*innen kommen aus allen politischen Richtungen. Das reicht von Zeit-Herausgeber Josef Joffe über Alice Schwarzer und verschiedensten Autor*innen großer deutscher Medienhäuser bis hin zu Politiker*innen. Meist ist dabei ein Widerspruch augenfällig: Menschen, die Zeitungsseiten und gar Bücher vollschreiben und gleichzeitig lamentieren, sie dürften nichts mehr sagen.

Mit welchen Meinungen sich die Sachsen-Wähler*innen ausgegrenzt fühlen, geht aus der Vorwahlumfrage nicht hervor. Vermuten kann man, dass es um Reizthemen wie Einwanderung oder Gleichberechtigung geht kur, um die zu Unrecht verschriene „Politische Korrektheit“.

Richtig ist: Es findet eine Veränderung statt

Dabei geht es bei der Politischen Korrektheit um genau das Gegenteil von Ausgrenzung, nämlich um den Versuch, ein respektvolles Sprechen und Umgehen zu entwickeln. Doch wann immer jemand sagt, man solle das N-Wort nicht mehr sagen oder erwachsene Frauen nicht als „Mädchen“ bezeichnen, kommt jemand anderes mit einem „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Spruch um die Ecke – und das nicht nur in Ostdeutschland, sondern im ganzen Land.

Das größte Missverständnis bei der Mär der Sprechverbote ist aber wohl: Wer kritisiert wird für eine rassistische, sexistische oder anders diskriminierende Äußerung, bekommt kein Sprechverbot. Sondern erfährt Widerspruch – berechtigterweise.

Richtig ist, dass eine Veränderung in unserer Gesellschaft stattfindet: Statt nur weißer Männer bekommen nun auch (viel zu) langsam andere Perspektiven eine Stimme in der Gesellschaft. Und erstere befürchten wohl nun, ihre Deutungshoheit zu verlieren, da auf einmal nicht nur ihre Meinung zählt. Hinzu kommt, dass es schwieriger wird seine Ressentiments frei auszuleben – ohne eins dafür auf den Deckel zu bekommen.

Doch nach wie vor ist es leider so: ausgegrenzt werden nicht diejenigen, die Angst vor Sprechverboten haben – sondern diejenigen, die von Diskriminierung betroffen sind.

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