Falsche Leute

Was ist nur los mit der Deutschen Bahn? Arno Luik rechnet ab

Arno Luik: „Schaden in der Ober­leitung“. Westend Verlag, Frankfurt/M. 2019, 296 S., 20 Euro

Von Anja Krüger

Die Jüngeren werden es kaum glauben, aber so war das mal bei der Bahn: Eisenbahner liebten ihren Beruf, und wenn der Zug drei Minuten zu spät kam, schämten sie sich. In der deutschen Provinz konnte man am Bahnschalter eine Fahrkarte bis Wladiwostok kaufen. Von jeder bundesdeutschen Stadt mit mehr als 20.000 Einwohnern aus war jeder Ort in der Republik mit dieser Mindestgröße zweimal täglich erreichbar.

Daran erinnert Arno Luik in seinem Buch „Schaden in der Oberleitung“. Es ist die Abrechnung eines verlassenen Liebhabers, der sich an der schönen Vergangenheit weidet, um an der tristen Gegenwart umso mehr zu leiden. Den Sohn des ehemaligen Bahnhofvorstehers von Königsbronn schmerzt die Misere – die Verspätungen, das wirre Preissystem, die verkommenen Bahnhöfe, die unfähigen Manager, die unwilligen Politiker. „Soll die Bahn in Deutschland nie so attraktiv werden, dass sie der Autoindustrie gefährlich wird?“, fragt er. Jedenfalls wird Autofahren immer bequemer, während sich die Bahn zurück in die „Bequemlichkeit der Holzklasse“ entwickelt.

Luik ergründet das Elend. Im Megaprojekt Stuttgart 21 sieht er ein Symbol für den Niedergang der Bahn. Mit viel Liebe fürs Detail zeichnet er nach, wie dieses Wahnsinnsvorhaben aus den Fugen geraten ist. „S21, das wissen heute alle: ökonomisch ein Desaster. Ökologisch: unverantwortbar. Sicherheitstechnisch: lebensgefährlich“, bilanziert er.

Noch 1999 erwirtschaftete die Bahn 95 Prozent ihres Umsatzes im Inland. Dann bekam der Haudegen Hartmut Mehdorn für zehn Jahre das Sagen beim Staatskonzern Bahn, ins Amt gehievt von der damaligen rot-grünen Bundesregierung. „Unglaublich viel Schaden hat dieser Mann angerichtet“, urteilt Luik. Mehdorn kaufte auf der ganzen Welt ein, führte rigide Managementmethoden ein, verpasste dem Konzern ein verworrenes Geflecht von Tochterunternehmen. Heute macht die Bahn mit ihren Bussen den Zügen in vielen Ländern Europas Konkurrenz, ist im internationalen Luftfrachtgeschäft stark und Marktführer im Schiffsverkehr zwischen China und den USA. Die Expansion hat Unsummen Geld verschlungen. Geld, das für Instandhaltung und Modernisierung des deutschen Bahnnetzes fehlt. Seit 1998 ist die Zahl der Verbindungen im Fernverkehr um 20 Prozent gekürzt worden, mehr als 100 Städte wurden vom Fernverkehrsnetz abgehängt, internationale Direktverbindungen gekappt.

Auch mit dem „eitlen, selbstverliebten“ Mehdorn-Nachfolger Grube geht Luik hart ins Gericht. Der aktuelle Bahnchef Richard Lutz hat von Selbstlob auf Kritik umgeschaltet, und lässt keine Gelegenheit aus, den Konzern zu geißeln. Doch hinter diesem Strategiewechsel könnte neues Ungemach lauern, fürchtet Luik. Denn Lutz ist Anhänger der Bahnprivatisierung. Die Aussichten sind also schlecht.