Ballroomszene in Deutschland: Glamour und Geborgenheit

In den USA hat die Ballroomszene eine lange Geschichte. Nun versucht sich die Subkultur auch in Deutschland zu etablieren.

Ein Tänzer streckt seine Arme und Beine während eines Ballroom-Auftritts in Düsseldorf in die Luft.

In Deutschland sind Vouging-Auftritte noch eine Seltenheit Foto: Carolin Windel

Bunte Lichter, wummernde House-Musik, ein Saal voller Menschen. Vermutlich waren nie so viele queere und People of Color gleichzeitig im Düsseldorfer Weltkunstzimmer wie an diesem Tag, auf diesem Ball Ende Juli. Im Publikum sitzen und stehen Menschen in Netzhemden, kurzen Röcken und Shorts. Sie zeigen Tattoos, überhaupt viel Haut, tragen Lederteile. In der Mitte des Saals bilden sie einen Gang, einen „Runway“, der kurz vor der Bühne endet. Dort warten im hellen Scheinwerferlicht drei Juror*innen, hinter ihnen ein goldener Tisch voller Trophäen und ein Banner an der Wand, darauf zu lesen: „Iconic House of St Lauren, est. 1982“.

Eine Person im roten Crop Top, Leggins und High Heels betritt den Runway. Sie kreuzt ihre Beine, schwingt die Hüften, formt eckige Bewegungen mit Armen und Händen. Dann, sie geht in die Knie und lässt die Füße zum Takt der Musik nach vorne schnellen, kommt sie sofort zurück nach oben, nur um sich kurz danach auf ein Bein fallen zu lassen. Das linke Bein ist angewinkelt, das rechte ausgestreckt, die Arme streckt sie von sich, den Oberkörper hält sie einige Zentimeter über dem Boden. So hält sie die Pose wenige Sekunden und räkelt sich dann auf dem Boden.

Voguing nennt man diese Tanzart, ein Stil, der stark mit eingefrorenen Figuren und eckigen Bewegungen arbeitet. Dabei werden die Posen der Covermodels von Modemagazinen, wie eben der Vogue, zitiert.

Nun strecken die drei Jurymitglieder nacheinander beide Hände vor den Körper, zeigen zehn Punkte mit ihren Fingern an. „You’re in!“, ruft die Gastgeberin Georgina Leo St. Laurent, in enger Leopardenhose und schwarzem Spitzentop. Die Person hat sich qualifiziert, in der Kategorie Vogue Fem gegen andere Teilnehmer*innen anzutreten. Aus ganz Deutschland, der Schweiz und Frankreich sind an diesem Tag Teilnehmer*innen zum Ballroom nach Düsseldorf angereist. Die Ballroom-Szene, eine Subkultur, die in den USA eine lange und traditionsreiche Geschichte hat, versucht sich gerade auch in Deutschland zu etablieren.

Alternative Familie

Schon im New York der 1930er Jahre existierten Balls. Meist waren es weiße Männer, die in Drag auftraten. Schwarze Drag Queens waren nur selten dabei – und wenn sie es taten, wurde von ihnen erwartet, helles Make-Up zu tragen. Fast nie gewannen sie.

In den 1960er Jahren gründeten sie dann ihre eigene Ballroom Community – denn sie waren eine Welt der Diskriminierungen leid. Viele Mitglieder der Szene konnten ihr Gender, ihre Identität und ihre Sexualität vor ihrer biologischen Familie nicht offen ausleben. Und so entstanden sogenannte Houses, in denen sie gemeinsam mit anderen lebten. Eine alternative Familienstruktur, die den Menschen Liebe, Unterstützung, Respekt und teilweise auch ein Dach über dem Kopf bot.

Bis heute werden die Houses von sogenannten Mothers geleitet, die als Familienoberhaupt, Mentor und Vorbild für ihre Children fungieren. Die Houses entwickeln einen eigenen, für sie spezifischen Style und treten auf den Balls gegen andere Houses an.

Ausweg aus der Realität

Für viele Mitgleiter war die Ballroom-Szene ein Ausweg aus einer Realität, in der sie mit Rassismus, Queerfeindlichkeit und Chancenungleichheit konfrontiert waren. Stattdessen fanden sie sich in einer Szene wieder, die ihnen die Möglichkeit gab, sich selbst zu ermächtigen, Ruhm und Anerkennung zu erfahren. Heute gibt es in den meisten nordamerikanischen Metropolen wie Los Angeles, Miami oder auch Toronto eine fest etablierte Szene. Ihren Status als Subkultur und Underground hat die Szene bis heute nicht verloren, sagt Power Infinity, eine Größe der Miami-Ballroom-Szene.

Für viele war die Ballroom-Szene ein Ausweg aus einer Realität, in der sie mit Rassismus, Queerfeindlichkeit und Chancenungleichheit konfrontiert waren

Nun, Jahrzehnte später, ist diese Szene auch in Deutschland populär. Die meisten Balls finden in Berlin statt, wie etwa der große Voguing Out Ball oder der etwas kleinere Tit Bit Ball. Bei diesen treten Major Houses aus ganz Europa gegeneinander an. Und auch in anderen Städten wie Köln oder Hamburg gibt es mittlerweile Balls. Neben dem „House of St Laurent“ als Major House gibt es in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl an Kiki Houses, die ohne Ball-Veranstaltungen auskommen und dafür da sind, sich lediglich auszuprobieren.

Etablieren konnten sich Ballrooms in Deutschland besonders wegen Georgina und ihrem House, die auch den Ball in Düsseldorf ausrichtet und als Pionierin der deutschen Ballroom-Szene gilt. Zwischen 2008 und 2012 reiste sie nach New York, lernte von der Voguing Ikone Archie Burnett und erkundete die Szene dort. 2012 gründete Geor­gina dann das „House of Melody“, zusammen mit sechs anderen Personen. Seit zwei oder drei Jahren gebe es in Deutschland eine wirklich etablierte Szene, sagt Georgina.

Einblicke in Safe-Spaces

Seit ihrer Gründung war eine elementare Aufgabe der Houses, einen Safe Space, also einen sicheren Ort für ihre Mitglieder zu schaffen. Und auch heute noch steht das im Vordergrund. Sieben Jahre war sie alleinerziehende Mutter. Erst durch ihre neue US-amerikanische Familie habe sie ein stärkeres Support-System für sich und ihre Kinder erfahren, sagt sie. Auch deshalb wolle Georgina weiterhin Pionierarbeit leisten und dazu beitragen, dass die deutsche Szene sich in die richtige Richtung entwickeln kann, besonders auch im Hinblick auf die Probleme der Community.

Voguing habe eine Art Revival erlebt, sagt Georgian. „Ballroom und Voguing ist teilweise im Mainstream angekommen, es gibt aber trotzdem eine starke Verbindung zu den Leuten von früher. Es ist wichtig, sie miteinzubeziehen. Im Gegensatz zu früher können die Leute teilweise von ihren Tätigkeiten in der Szene leben, ein Beispiel dafür ist ‚Pose‘.“ Pose“,eine Net­flix-Serie, beleuchtet das Leben der Transfrau Blanca, die ihr eigenes House in der Bronx gründet und den von seiner Familie verstoßenen Tänzer Damien und die Sexarbeiterin Angel aufnimmt. Die Serie ist teilweise von den in der Doku „Paris is burning“porträtierten New Yorker Ballroom-Ikonen inspiriert.

Ob diese Aufmerksamkeit gut sei für die Ballroom-Szene? Georgina ist unschlüssig:„Es ist sehr positiv, dass die Macher*innen der Serie die richtigen Leute einstellen und die Zuschauer*innen einen Einblick in das Leben einer queeren Person of Color bekommen. Aber es kann auch gefährlich sein, wenn queerfeindliche und rassistische Menschen Einblicke in Safe Spaces haben.“

Gegen die Gewalt

Ein trauriges Beispiel hierfür ist das Massaker im queeren „Pulse“-Nachtclub von 2016, bei dem ein Angreifer 50 Menschen tötete. Clubs wie das Pulse gelten eigentlich als Schutzraum vor queerfeindlicher Gewalt.

„Teilweise ist das in Europa etwas weniger krass als in den USA, aber so oder so sind die Houses auch heute und auch hier in Deutschland noch eine Lebensnotwendigkeit“, sagt Geor­gina. Die Kultur der Ballrooms stellt also einen Schutz für queere und People of Color dar. Doch neben dem politischen Aspekt geht es in der Ballroom-Kultur vor allem um Spaß und Glamour. Denn Gewalt gegen queere und Personen of Color ist auch in Deutschland real und alltäglich. Doch sie definiert LGBTIQ Menschen nicht. Dafür ist die aufblühende Ballroom Community Deutschlands ein Beweis.

Am Ende des Balls in Düsseldorf betritt Eros St Laurent in wehendem weißem Mantel, feinsäuberlich gebügelten weißen Hosen und einer futuristisch anmutenden Sonnenbrille den Runway, im Hintergrund läuft episch anmutende Musik. Dann nimmt er die goldene Trophäe für die Kategorie „Executive Realness“ entgegen – mehr als verdient. Und nichts auf der Welt ist so glamourös wie der Moment, wenn der*die Gewinner*in einer Kategorie mit der Trophäe über den Runway stolziert.

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