Sportforum Hohenschönhausen: AthletInnen stehen im Regen

Im Sportforum Hohenschönhausen trainieren die besten SportlerInnen Deutschlands – unter teilweise abstrus anmutenden Bedingungen.

Elena Richter spannt die Sehne ihres Bogens kurz vor dem Schuss

Elena Richter schießt draußen – gezwungenermaßen, egal bei welchem Wetter Foto: dpa

Elena Richter trägt einen Anglerhut und spannt die Sehne ihres Bogens. Die Berlinerin ist Bogenschützin und trainiert auf dem Bundesstützpunkt ihrer Sportart im Sportforum Hohenschönhausen. Vor ihr liegen siebzig Meter buckelige Wiese, dahinter die Zielscheibe. Den Anglerhut trägt sie, damit die Sonnenstrahlen sie nicht beim Zielen stören. Es ist gerade gutes Wetter.

Würde es regnen, stünde sie auch hier. Dann wäre der Hut vermutlich ihr Schutz vor Wassertropfen. Eigentlich würde Elena Richter gerne in einer Halle trainieren, wenn es regnet oder sich die Temperaturen im Winter dem Gefrierpunkt nähern. Doch dafür müsste sie auswandern: In ganz Deutschland gibt es keine für 70-Meter-Schüsse geeignete Halle. Bei den Olympischen Spielen aber, auf die der Deutsche Bogensport intensiv hinarbeitet, wird nur auf 70 Meter geschossen.

Wenn das Wetter Außentraining überhaupt nicht zulässt, trainieren die Berliner SchützInnen in einer ehemaligen Schwimmhalle, in einem 50-Meter-Becken, aus dem das Wasser gelassen wurde. Die Schusssituation ist dort auf die im Bogensport weniger wichtige Hallendistanz von 18 Metern ausgelegt.

Für die SchützInnen heißt das: Auch im Winter muss draußen trainiert werden, bei Minusgraden, bei Schneeregen, bei starken Windböen. „Da kommt es durchaus mal vor, dass man auf die Scheibe zwei Reihen weiter rechts oder links zielen muss, weil der Wind so stark bläst“, erzählt Sandra Dehn, Trainerin am Olympiastützpunkt. Im Hinblick auf internationale Wettkämpfe sei die infrastrukturelle Situation im Sportforum ein echtes Handicap, sagt sie. „Alle Konkurrenzländer haben eigene Hallen, die sie ganztägig nutzen können.“

Der Stützpunkt: Das Sportforum in Hohenschönhausen ist Trainingsstätte von über 3.000 SportlerInnen. Hauptmieter ist der Olympiastützpunkt Berlin, außerdem sind rund 20 Sportvereine auf dem Gelände beheimatet. Etwa 35 Sportanlagen befinden sich auf dem Gelände – zum Beispiel für die FußballerInnen und die BogenschützInnen.

Der Palast: Der Berliner Olympiastützpunkt betreut über 400 AthletInnen in gut 30 olympischen Sportarten, 20 davon direkt in Berlin. Der Stützpunkt wurde in den 80er Jahren eingerichtet, zunächst lediglich für Westberlin. 1992 folgte der Umzug nach Hohenschönhausen. Eines der bekanntesten Gebäude auf dem etwa 45 Hektar umfassenden Areal ist der „Wellblechpalast“: Die Eishalle war bis zu ihrem Umzug in die Arena am Ostbahnhof 2008 die Heimat der Eisbären Berlin. „Wellblechpalast“ heißt die Halle wegen ihres Blechdachs, das einige Jahre nach der offiziellen Eröffnung 1958 nachgerüstet wurde.

Die Kaderschmiede des DDR-Sports

Im Sportforum trainieren etwa 60 BogenschützInnen aller Altersklassen. Hier befindet sich der einzige Bundesstützpunkt der Sportart. Bessere Bedingungen gibt es in Deutschland nirgendwo.

Die Planung des Sportforums begann 1950, es entstand eine Kaderschmiede für den DDR-Sport. Bis heute ist das Sportforum unabdingbar für Deutschlands Leistungssport – und es hinkt in mancherlei Hinsicht trotzdem der Zeit hinterher.

Nicht nur die BogenschützInnen, auch der Berliner Fußballverband (BFV) ist nicht zufrieden mit den Bedingungen, die er im Sportforum Hohenschönhausen vorfindet. „Wünschenswert wäre es, dass der festgestellte Instandsetzungs-, Sanierungs- und Modernisierungsstau aufgehoben wird und damit die Bedingungen im Sportforum für die Vereine zukunftssicher gestaltet werden“, sagt Jendrik Gundlach, für Infrastruktur zuständiges Präsidialmitglied des BFV.

Dem Fußballverband mit seinen in Hohenschönhausen trainierenden SportlerInnen geht es vor allem um die Baracke C, wie das Funktionsgebäude der FußballerInnen umgangssprachlich genannt wird. Es wurde vor über 30 Jahren eigentlich übergangsweise eingerichtet, um den SportlerInnen eine Möglichkeit zu geben, sich umzuziehen.

Viel Betrieb in der Baracke

Bis heute hat sich an der Übergangslösung nichts geändert. „In dem Umkleidegebäude ‚Baracke C‘ im Sportforum Berlin befinden sich 12 Umkleideräume, ein Dusch- und ein Toilettenbereich. Die Nutzung und Inanspruchnahme ist intensiv, da für sechs Fußballplätze kaum weitere Umkleidemöglichkeiten existieren“, sagt die Senatsverwaltung für Inneres und Sport auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Dennis Buchner hin.

Vor einigen Wochen haben sich die Verantwortlichen des Sportforums, des Berliner Fußballverbandes und des Hauptnutzers BFC Dynamo Berlin immerhin zusammengesetzt, um eine gemeinsame Lösung zu finden, was dringend benötigte Baumaßnahmen angeht. Der Senat erklärt auf taz-Nachfrage, es werde in Kürze eine Lösung präsentiert, „da die Bedingungen für den Fußballnachwuchs sich verbessern müssen“.

Der Investitionsstau im Sportforum liegt bei mindestens 130 bis 160 Millionen Euro

Jährlich investiert der Senat rund eine Million Euro in die Instandhaltung des Geländes. Drei Millionen Euro gehen pro Jahr in die bauliche Unterhaltung des Sportforums sowie des Sportkomplexes Berlin in der Paul-Heyse-Straße. 2017 stellte eine ungeprüfte Bau- und Anlagenzustandsbewertung des Senats fest: Der Investitionsstau im Sportforum Hohenschönhausen liegt bei mindestens 130 bis 160 Millionen Euro.

Bei ausgewählten Maßnahmen an den Sportstätten der Bundesstützpunkte könne die Finanzierung durch Bundesmittel unterstützt werden, teilt der Senat für Inneres und Sport der taz mit. Eine Lösung, wie der Investitionsstau in nächster Zeit aufgelöst werden soll, präsentiert er aber nicht.

Wenig Platz unterm Dach

Für die BogenschützInnen könnten die Bedingungen auch auf dem Außengelände besser sein. Hinter den Schießständen auf der Buckelwiese befindet sich ein Wellblechdach. Darunter stehen die SchützInnen im Winter während des Trainings, um sie herum sind dann Heizstrahler aufgestellt. Vier SportlerInnen können in dem Unterstand nebeneinander stehen und trainieren.

Der Verband hofft aktuell darauf, dass sich sowohl das Herren- als auch das Damenteam für Olympia qualifizieren. „Dann sind das schon mindestens sechs Sportler, die gleichzeitig trainieren müssen“, sagt Trainerin Sandra Dehn.

Die Hoffnung auf schnelle Verbesserungen sind gering. Immerhin der Bau einer 70-Meter-Bogenschusshalle im Sportforum ist geplant. An der Umsetzung hakt es allerdings. „Bis zu einem Neubau sind mit dem Bund und dem Spitzensportverband noch Fragen zu klären, auch die der Finanzierung“, teilt der Senat für Inneres und Sport auf taz-Anfrage mit.

20 Jahre ist der Umzug der BogenschützInnen in die Schwimmhalle mittlerweile her. „Vorher haben wir in der großen Dynamo-Halle im Gang geschossen, da wurden die anliegenden Türen dann in der Zeit zugemacht“, erzählt Trainerin Dehn von der Zeit vor 1999.

Im Flur flogen Pfeile

Vom Flur ins Becken – für den Bogensport in Deutschland ein echter Fortschritt. Vor etwa zehn Jahren entstand ein eigenständiges Gebäude mit Toiletten und Umkleiden für die SportlerInnen. Vorher hatten sie sich eine Dekade lang in der alten Schwimmhalle hinter Holzverschlägen umgezogen.

Immerhin sind nicht alle im Sportforum Hohenschönhausen beheimateten Sportverbände unzufrieden mit den gegebenen infrastrukturellen Bedingungen. Der Berliner Fechtbund teilt der taz mit: „Wir haben fest installierte Fechtbahnen – das ist nicht so üblich. Da sind wir also gut aufgestellt. Die Anlage wird ordentlich gepflegt und betreut, so was hält dann eigentlich ewig.“ Auch der Berliner Volleyball-Verband hat nichts zu meckern: „Wir haben volleyballtechnisch alles, was wir brauchen.“ Und die Handballer sind ebenfalls sehr zufrieden und haben „keine Verbesserungswünsche“.

Für die FußballerInnen aber bleibt auf unbestimmte Zeit nur eine Baracke zum Umziehen, für die BogenschützInnen ein altes Schwimmbecken zum Schießen – in einer Halle, die durch stete Feuchtigkeit in den Ecken schimmelt. Vor der Halle befindet sich noch ein leeres Sprungbecken. Darin hat sich etwa einen halben Meter hohes, braunes Abwasser gesammelt. Hin und wieder zieht eine Entenfamilie ins Becken. Dann haben die BogenschützInnen wenigstens Gesellschaft, wenn sie beim Schießen im Regen stehen.

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