EM-Qualifikation gegen die Niederlande: Update von Beckenbauer

In der EM-Qualifikation treffen die Deutschen am Freitag auf die Niederlande um Taktgeber Frenkie de Jong. Der erobert gerade Barcelona.

Frenkie de Jong

Taktgeber der wiedererstarkten Niederlande: Frenkie de Jong Foto: reuters

BARCELONA taz | Am Tag, als Frenkie de Jong im Sommer beim FC Barcelona vorgestellt wurde, tuckerte einer dieser offenen Doppeldeckerbusse durch die Stadt. Nichts Besonderes in einer Touristenmetropole. Oder doch: Der Bus war von de Jongs vorherigem Verein Ajax Amsterdam gechartert und mit dem Gesicht des Spielers sowie dem Vereinswappen der Niederländer lackiert worden. Dazu stand in großen Buchstaben: „Barça, genieß die Zukunft – so wie wir es tun“.

Seltene Geste für einen verlassenen Klub, aber bei Frenkie de Jong handelt es sich auch um einen seltenen Spieler. Der Taktgeber der wiedererstarkten Niederlande, die Freitag in der EM-Qualifikation gegen Deutschland antreten, wurde etwa schon im Alter von 22 Jahren von Europas Trainern und Journalisten zum besten Mittelfeldspieler der vergangenen Klubsaison gewählt. Dabei dauert der Reifeprozess auf seiner Position sonst länger als auf jeder anderen. Hollands Alt-Internationaler Arie Haan findet: „Er ist ein Update von Franz Beckenbauer“.

Wer de Jong spielen sieht, versteht, was er meint: Im ungleich rasanteren Tempo des heutigen Fußballs bewahrt auch er schon in jungen Jahren majestätisch die Übersicht. Aus dem gegnerischen Pressing-Dschungel befreit er sich wie ein Houdini-Künstler, sein Passspiel ist hervorragend, sein Fußball zielgerichtet und sein Repertoire so überraschend wie reichhaltig. Im Nations-League-Halbfinale gegen England vor drei Monaten etwa war er der Spieler mit den meisten Ballkontakten, Pässen, Zweikampfsiegen, Balleroberungen und gelaufenen Kilometern. So einen will natürlich jeder in der Mannschaft haben. In Barcelona hat es bis heute keine Stimme gegeben, die sein Ablöse von 75 Millionen Euro als hoch kritisiert hätte.

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„Bei uns gab es keine hippen Kunstrasenplätze oder Fußballkäfige“

Der Weg zu seinem selbsterklärten Traumklub begann für de Jong auf einer steinigen Straße seines Heimatorts Arkel („Bei uns gab es keine hippen Kunstrasenplätze oder Fußballkäfige“). Die Versuchung ist groß, seine Improvisationskunst und Abenteuerlust auch von diesen Wurzeln herzuleiten. Schon Jugendtrainer beschrieben ihn immer als Instinktfußballer, und er selbst kritisierte wiederholt, dass die Kinder zu stark in Schablonen gepresst würden: „Das Positions- und Ballbesitzspiel, wie wir es in Holland mögen, wird in der Ausbildung übertrieben.“ Auch dieser Hang zur eigenen Meinung ist nicht gerade alterstypisch. Aber typisch für ihn.

„Nur drei Ballkontakte“

Wo seine Eltern als ersten Verein ihren Lieblingsklub Feyenoord im nahen Rotterdam favorisierten, entschied er sich nach Probetrainings für Willem II Tilburg. Dort blieb er, bis er mit 19 dem langen Werben von Ajax-Sportdirektor Marc Overmars erlag. Der Ex-Nationalspieler hatte ihn eher beiläufig bei einem U16-Jugendmatch entdeckt: „Er kam als Ersatzspieler rein, aber es brauchte nur drei Ballkontakte, um zu sehen, dass er besonders war. Wie er den Ball annahm, sich drehte, weiterspielte – er hatte ‚es‘“.

Und mit „dem“ dirigierte er Ajax vorige Saison bis ins Halbfinale der Champions League. Die Schwingungen des jungen Teams personifizierte er dabei auch außerhalb des Platzes. „Ich bin ein positiver und optimistischer Typ, und ich glaube, das Leben ist großartig“, sagte er mal über sich selbst. De Jong gibt sich bodenständig und zugänglich, die Wohnungssuche in Barcelona mit seiner Freundin ironisierte er in einem selbstgedrehten Video, wobei Luxus bisher eher zweitrangig ist. Wenn er von Ajax mit seinem Klub-Mercedes nach Hause kam, parkte er lieber weit weg, erzählte sein Vater einmal: Die opulente Karre sei ihm peinlich gewesen.

In der neuen Heimat staunten sie derweil, als er nach seiner Wahl zum besten Spieler seiner Heimpremiere gegen Arsenal sagte, andere seien besser gewesen. Oder als er sich auf dem Rückflug von einer Testpartie gegen Neapel das Tablet schnappte, um seine Schwächen zu analysieren. Anlass zur Selbstkritik findet de Jong immer. „Ich kann mehr zeigen“, sagt er nach den ersten drei Ligaspielen für Barcelona, während dort an seiner Kompatibilität mit dem angestammten Ballverteiler Sergio Busquets gefeilt wird. „Barça nutzt die Qualitäten von de Jong nicht, es muss sich ihm anpassen“, zürnt aus den Niederlanden Trainerikone Louis van Gaal, während Bondscoach Ronald Koeman meint: „Er muss sich umstellen, aber er hat genug Talent dafür.“ Wenn es läuft wie in Holland, wenn der kindliche de Jong lächelt und trotzdem Chef ist, wird auch Barça die Zukunft genießen.

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