Verunglimpftes Quartier: Die Stadt und die Spalter

Der Osnabrücker Stadtteil Schinkel hat viele Probleme, bauliche und soziale. Sein größtes ist die CDU: Sie schürt Ressentiments und Angst.

Eine Hausfassade mit Ladenlokal, davor Stühle auf dem Gehweg.

Dass nicht alles perfekt ist, darüber herrscht Einigkeit: Sommerstimmung in Schinkel Foto: Uwe Lewandowski

OSNABRÜCK taz | „Bulgaren-Dreieck“: Wer davon spricht, in Osnabrück, der meint in nicht eben wohlwollender Weise eine Handvoll migrantisch geprägter Straßen im Stadtteil Schinkel: Wettbüros gibt es hier und ein paar kleine Läden, Autoschrauber und einen „Dart-Club“. Ein paar Schaufenster sind vernagelt. Ein schwerer BMW gleitet um die Ecke, langsamer, als er könnte: schwarz, mit lauter Musik. Menschengrüppchen machen den Bürgersteig zum Wohnzimmer.

Rund 800 „Südosteuropäer“ leben hier, schätzt Carsten Frederici, Vorsitzender des „Bürgervereins Schinkel von 1912“. Das habe „klare Züge einer Parallelgesellschaft“, sagt er, berichtet von Müll und Ratten, von zu vielen Menschen auf wenig Mietraum, von „Anhäufungen junger Männer, die morgens mit klapprigen Transportern abgeholt werden, vermutlich zu prekären Jobs“, von Ordnungsamts- und Zollkontrollen, von „Unsicherheitsgefühl“ und der Polizei, die Häuser stürme – „ein Hotspot!“, so Frederici, der auch schon in einer öffentlichen Sitzung von einem „Angstraum“ respektive einer „No-Go-Area“ gesprochen hat.

Dass es hier „erhöhten Aufmerksamkeitsbedarf“ gebe, das erklärte Ende 2018 auch Karin Heinrich, Leiterin des Fachbereichs Integration, Soziales und Bürgerengagement der Stadt Osnabrück; gefragt hatte danach die CDU-Ratsfraktion.

Deren Vorsitzender Fritz Brickwedde goss Anfang Juli erneut Öl ins populistische Feuer – ausgerechnet im Rahmen der „Osnabrücker Friedensgespräche“, die seit 1986 Stadt und Universität gemeinsam veranstalten.

Öl ins Feuer

„Wir haben bulgarische Menschen in Osnabrück“, sagte der Christdemokrat, „die in ganz großer Mehrheit nicht arbeiten, sondern nur Sozialleistungen empfangen und in vieler Hinsicht Probleme bereiten.“ Und weiter: „Ob wir sie jemals integrieren können und ob die sich auch selber integrieren wollen, da darf man ein Fragezeichen machen.“ Es seien „Menschen, die hier gar nicht arbeiten wollen“. Eine Zuhörerin im Ratssitzungssaal warf ihm Rassismus vor.

Brickweddes pauschale Äußerungen stehen auf wackligen Füßen: Von rund 2.200 Bulgar*innen in Osnabrück beziehe weniger als ein Drittel Sozialleistungen, ist seitens der Stadtverwaltung zu erfahren. Besonders viele Straftaten und Ordnungswidrigkeiten begehen sie auch nicht: Das hat Hauptkommissar Ralf Seiger, Zentraler Kriminaldienst der Polizeiinspektion Osnabrück, jüngst in Der Kriminalist ausgeführt, der Zeitschrift des Bundes deutscher Kriminalbeamter.

Nach 18 Monaten Ermittlungsarbeit sei klar, „dass bei den bulgarischen Arbeitsuchenden keine ex­plizite Delinquenz auszumachen ist“. Die entsprechende Gruppe neige „nicht in höherem Maße zu Straftaten als Mitbürger, die bereits seit langer Zeit in Deutschland ansässig sind“, so Seiger.

Anke Jacobsen, sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Ratsfraktion, wirft Brickwedde und seiner CDU denn auch die „Spaltung der Stadtgesellschaft“ vor: „Wie dieses Thema gespielt wird, ist gefährlich.“ Viele der Menschen aus Bulgarien seien in Osnabrück „Armut, Abhängigkeit und Ausbeutung“ ausgesetzt – so wie in ihrem Heimatland.

Es gelte, für sie „würdige Arbeit“ zu finden, sagt Jacobsen, und das laufe gut. Sie kennt den Stadtteil, über den andere so gerne reden: die miserablen Wohnverhältnisse, die überhöhten Mieten, die erbärmlichen Arbeitsbedingungen. „Da herrscht Handlungsbedarf“, sagt sie.

„Es bessert sich was“

Frank Henning, SPD-Fraktionschef im Rat, laviert irgendwo in der Mitte: Den Grünen wirft er vor, dass sie „verniedlichen und schönreden“, bei der CDU erkennt er eine „Law-and-Order-Politik“. Als „pragmatisch“ bezeichnet er die eigenen Vorschläge: von der Gehweg- bis zur Grünbeet-Reinigung, von der Müllbehälterleerung bis zu „regelmäßigen Streifen der Polizei“.

Ob populistisch erhitzt oder sachlicher: Dass es Handlungsbedarf gibt, darüber besteht Einigkeit. So ist der Schinkel etwa Teil des Förderprogramms „Soziale Stadt“ von Bund und Land; 15 Millionen Euro fließen in den kommenden zehn Jahren in das Sanierungsgebiet.

Sozialbetreuung soll die bauliche Aufwertung flankieren, die Kommune hat ein Stadtteilbüro eingerichtet, ein Quartiersmanagement ist in Vorbereitung, vielleicht kommt eine Zweigstelle des Jobcenters in den Stadtteil und ein Büro für den Kontaktbeamten der Polizei.

Alles auf gutem Weg – oder? „Es bessert sich was“, räumt Bürgervereins-Chef Frederici ein. „Wir wollen niemanden stigmatisieren. Vordringliche Aufgabe ist die Integration.“

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