„Für Rot-Rot-Grün erstaunlich“

Ökonom Achim Truger zur Schuldenbremse – sie ist am Donnerstag Thema im Parlament

Foto: André Wunstorf

Achim

Truger

ist Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen.

Interview Martin Reeh

taz: Herr Truger, bundesweit debattieren Ökonomen gerade, ob Sie die Schuldenbremse lieber Investitionsbremse nennen sollen. Würden Sie das auch tun?

Achim Truger: Die Debatte kreist häufig darum, ob die Schuldenbremse negativ auf die Investitionen gewirkt hat. Das ist die falsche Frage: Wegen der guten Finanzlage musste die Schuldenbremse bislang kaum greifen. Was passiert aber, wenn Konjunktur und Einnahmen abstürzen? Dann muss man befürchten, dass bei Investitionen zuerst gekürzt wird, weil das am schnellsten geht. Zudem ist die Frage, ob innerhalb der Schuldenbremse der nötige massive Anstieg der Investitionen bewältigt werden kann.

In Berlin hat im Juni der Senat die landeseigene Umsetzung der Schuldenbremse beschlossen. Ökonomen werfen dem Senat nun vor, dass er auch die landeseigenen Unternehmen einbeziehen will, obwohl er dies gemäß den Bundesvorgaben gar nicht tun müsste.

Zunächst sollte man schon sagen, dass er in den vergangenen Jahren nicht einseitig auf Schuldenabbau gesetzt hat, sondern angesichts der wachsenden Stadt in vielen Bereichen wieder kräftig investiert. Und es ist sinnvoll, dass der Senat die Schuldenbremse nicht in die Landesverfassung geschrieben hat, sodass er bei einer anderen Lage auf Bundesebene die Schuldenbremse auch in Berlin einfacher rückgängig machen kann.

Aber?

Ein kritischer Punkt ist in der Tat, dass die Schuldenbremse die Spielräume für Investitionen unnötig einschränkt, weil die Extrahaushalte in die Schuldenbremse einbezogen werden. Das finde ich für einen rot-rot-grünen Senat erstaunlich.

Ist das bundesweit üblich?

Es gibt einige Länder, die das machen, andere nicht. Vor allem für einen Stadtstaat wie Berlin kann sich das restriktiv auf Investitionen auswirken, weil hier viel über staatliche Beteiligungen an Unternehmen der Daseinsvorsorge und Extrahaushalte finanziert wird.

Wo genau werden die Probleme entstehen?

Bei der BVG sehe ich ein relevantes Risiko, weil es davon abhängt, ob sie von Eurostat dem Staatssektor zugeordnet werden oder nicht. Und weil das Amt häufiger seine Definitionen verschärft, kann das zum Problem werden. Da kommt es auf den Eigenfinanzierungsgrad an. Wenn man Pläne verfolgt, den ÖPNV zu verbilligen, und dafür Zuschüsse zahlen will, könnte die BVG als Extrahaushalt gelten – und fiele dann unter die Schuldenbremse.

Das heißt, billigere Fahrpreise sind mit Schuldenbremse nicht drin?

Das könnte eng werden.

Welche Probleme sehen Sie noch?

Wenn die Extrahaushalte in der Schuldenbremse drin sind, nimmt man sich die Möglichkeit, über sehr zinsgünstige Kredite Investitionen zu finanzieren. Dann ist man auf Umgehungen angewiesen. Öffentliche Gesellschaften müssen dazu privatrechtlich organisiert sein, etwa als GmbH. Dafür sind die Zinsen höher, es wird deutlich teurer.

Berlin hat eine lange Geschichte mit hohen Schulden seit den 90er Jahren, auch weil bei Finanzierung von Immobilien über die Bankgesellschaft Berlin viel Geld verschleudert wurde. Ist es nicht verständlich, dass sich die Landesregierung dagegen wappnen will, wieder eine Ausgabenorgie zu bekommen, die als dauerhafte Belastung bleibt?

Es geht um Investitionen in die Zukunft, die eine hohe gesellschaftliche Rendite abwerfen und zu Niedrigstzinsen finanziert werden können. Wenn man sich vor Missbrauch schützen möchte, muss man eben eine Auflage beschließen, dass in den Extrahaushalten nur Investitionskredite von der Schuldenbremse ausgenommen sind.

Es gibt gerade eine bundesweite Debatte unter Ökonomen über die Schuldenbremse. Herr Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft argumentiert dagegen, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und Sie ja auch. Warum schlägt diese Debatte nicht auf die Politik durch?

Die Schuldenaversion ist in Deutschland sehr verwurzelt. Außerdem steht die Schuldenbremse im Grundgesetz. Jetzt zu sagen: Wir korrigieren mal eben die Verfassung, ist ein großer Schritt. Umso wichtiger ist es meiner Ansicht nach, die Spielräume auszuschöpfen. Und das macht Berlin gerade nicht.