Peaches-Ausstellung in Hamburg: Kommunismus der Körperöffnungen

Sextoys begehren auf: Die Ausstellung „Whose Jizz Is This?“ läuft im Kunstverein Hamburg.

Die Künstlerin peaches liegt inmitten von Sextoys

Plastik oder Fleisch, what's the difference? Foto: promo

HAMBURG taz | Nicht die schlechteste Frage, „Warum sollte man einer Musikerin so eine Ausstellung ausrichten?“, stellte am Freitagabend Bettina Steinbrügge, die Direktorin des Hamburger Kunstvereins, in den brechend vollen Raum. Dort ist nun „Whose Jizz Is This?“ zu sehen, die erste institutionelle Einzelausstellung der kanadischen Wahlberlinerin Peaches. Wobei: Zu sehen gibt es da einiges, aber auch zu hören. Von einem „immersiven“ Konzept ist die Rede, ein „dekonstruiertes Musical“ der Anspruch; und so gibt es eben auch skulpturale und musikalische Elemente, Roboter und einen Springbrunnen.

Um besagte Frage nicht aus dem Blick zu verlieren: Ausdrücklich keine Retrospektive soll die Sache sein, auch wenn sich dieser Tage 20 Bühnenjahre zelebrieren ließen, und Peaches dem Hamburger Abendblatt von einem „riesigen Archiv“ erzählte; Material also hätte es gegeben. Aber: kein Ausruhen auf vergangenen Verdiensten, den mitreißenden Elektropunk-Hymnen wider Geschlechter­stereotype und immer gleiches Rollenspiel etwa. Oder all den glücklich, verschwitzt und auch ein klein wenig verunsichert in all die Nächte entlassenen Konzertbesucher*innen, seit sie im Jahr 2000 mit dem Album „The Teaches of Peaches“ erstmals Ärsche in Bewegung zu bringen suchte.

Eine Emanzipationsgeschichte will Peaches erzählen, in der eben doch wieder vieles von dem aufscheint, was die Menschen von ihr kennengelernt haben können in den vergangenen 20 Jahren: Sexspielzeuge sind’s, „double masturbators“, die sich da befreien; denen es nicht mehr reicht, Mittel zum Zweck zu sein, begrapscht und benutzt zu werden und am Ende schamhaft verwahrt in schmuddeligen Abseiten. In 14 „Szenen“ ist ihr Weg in Szene gesetzt, ein Weg von passiv zu aktiv, vom sex toy zum „Fleshie. Oder genauer: vom Einzelnen zum Kollektiv, den „Fleshies“, so nennen sich in frischem Selbstbewusstsein die befreiten Silikonobjekte.

Sie finden einander, realisieren: Es gibt noch mehr wie mich!, gründen eine Gemeinschaft, wollen „no longer be a receiver“ sein, so sagt es ein animiertes Fleshie in Szene 7, einer Art Selbsthilfegruppensitzung; beanspruchen, Intimität teilen zu dürfen „with whomever I please“. Am Ende wird ein großes, lüsternes Durcheinander stehen: Aus den vereinzelten Ersatzdienstleister*innen wird „Fle­shie Island“, ein gigeresker Gispsabguss, eine Zusammenklumpung einschlägiger Körperteile: „Kollektives Bewusstsein, keine Form bleibt bestehen“, schreibt Peaches dazu im erklärenden Faltblatt, „die neue Fantasie“.

Besucher werden nicht Teil der Orgie

Komplemetär zum Aktivwerden der einen gibt es, in Szene 9, auch eine sich ändernde Rolle für das Publikum: Auf Schaumstoffpolstern liegend, können da von der Decke herab projizierte kaleidoskopisch ineinandermorphende fragmentierte Körperteile angesehen werden; die Besucher*innen werden ausdrücklich zu Zuschauer*innen, sind nicht Teil dieser „Orgie“, sondern nur ihre Zeug*innen, – ausdrücklich „in a passive state“, so das Faltblatt : Das von den Fleshies ausgerufene „#Fuckhumans“ bekommt so, vielleicht, einen doppelten Sinn: Die, die sonst ficken, müssen lernen, sich ficken zu lassen.

Dass sich nicht jede Station so ohne Weiteres entschlüsseln lässt, dass die Geschichte sich am wirksamsten dort vermittelt, wo Peaches das Mittel der Sprache wählt, des Textes: man kann das als Schwäche identifizieren, aber man muss nicht. Denn wie zwingend, wie verbindlich ist eigentlich die vielleicht beabsichtigte Erzählung? So wie es mehr als eine Art Begehren gibt, so gibt es auch mehr als eine Weise, diese 14 Szenen mit Sinn zu erfüllen. Zwar legen die Künstlerin und ihre Entourage eine, sagen wir: empfohlene Reihenfolge vor, in der die 14 Szenen abzuschreiten seien. Auch lenken Licht und Ton – also: wird beleuchtet oder nicht, die Musik lauter oder leiser gedreht – die Aufmerksamkeit. Aber die vielen Facetten von Peaches in eine für sie neue Form zu übersetzen, nämlichdie der „Ausstellung“, das heißt auch für die Künstlerin selbst, Kontrolle abzugeben. Von einer Konzertbühne aus bestimmt sie die Setlist, also die Dramaturgie eines Abends. hier tut sie das nicht genauso.

Dabei bedient sich die Ausstellungsarchitektur erkennbar aus dem Fundus der Musik- und Konzertindustrie: Bühnenelemente und Transportkisten, Scheinwerfer, Nebelmaschinen und ein Laser verweisen mal mehr, mal weniger ausdrücklich auf diesen nunmehr seit 20 Jahren bespielten, genutzten und subvertierten Raum.

Das Sextoy muss in der realen Welt nicht zuletzt herhalten als ein Ersatz, der Gummimund aber sei so viel schlechter ja auch nicht als der einer am Oralsex nicht sonderlich interessierten Partnerin

Dass das Sextoy da draußen, in der realen Welt nicht zuletzt herhalten muss als ein Ersatz, der Gummimund aber so viel schlechter ja auch nicht sei als der einer am Oralsex nicht sonderlich interessierten Partnerin, davon erzählt gleich beim Betreten des Ausstellungsraums ein Video: einer dieser enorm beliebten Auspack- und Ausprobierfilme, mit denen es YouTuber*innen schon zu Wohlstand geschafft haben sollen – dieses oder ein sehr ähnliches Video war die Keimzelle des ganzen Konzepts, so ist zu erfahren.

Gesetzt, es herrscht nicht Andrang wie zur Eröffnung: Gerade mit ein wenig Zeit besucht, kann diese Ausstellung Gedankenfunken zum Sprühen bringen. Wer das ein wenig gelenkter bevorzugt, linearer sozusagen, für den ist vielleicht die andere Hamburger Peaches-Premiere etwas: Am Donnerstag bringt die örtliche Kultur­fabrik Kampnagel erstmals das „futuristische Bühnenhappening“ namens „There’s Only One Peach With The Hole In The Middle“ zur Aufführung. Das ist, noch einmal zurück zur Eingangsfrage, nämlich auch ein Teil der Antwort. Im bereits vierten Jahr kooperiert der Kunstverein mit dem Kampnagel-Sommerfestival, das ebenfalls vergangene Woche eröffnet hat. Dort ist Peaches gleich noch für eine Reihe Clubnächte und Konzerte verantwortlich.

Bis 20. Oktober, Hamburg, Kunstverein

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