Faber-Sänger über die Grenzen der Kunst: Politische Musik ohne Correctness?

Der Song „Das Boot ist voll“ der Züricher Band Faber warf erneut die Frage auf: Wie weit darf Kunst gehen? Ein Gespräch mit Sänger Julian Pollina.

Ein junger Mann sitzt vor Spielautomaten

Polarisiert mit seinen Texten: Julian Pollina, der 26-jährige Sänger der Schweizer Band Faber Foto: Peter Kaaden

taz: Faber, du hast eine neue Single raus gebracht: „Das Boot ist voll“. Dabei verlief nicht alles glatt. Wie hast du die letzten Tage erlebt?

Faber: Sehr, sehr stressig. Es waren definitiv nicht die lustigsten Tage meines Lebens. Aber ich hab's überlebt. Das ist ja schon mal ein Anfang.

Nach einigen Tagen hast du das Musikvideo zur Single aus dem Netz genommen. Und auch die Audioversion hast du nachträglich bearbeitet. Die provokanteste Stelle im Refrain wurde ersetzt. Wie kam es zu dem Entschluss?

Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt und ich nicht ganz zufrieden bin. Auch schon vor der Veröffentlichung. Da war etwas, das mir nicht ganz gefallen hat. Für mich sind die Strophen sehr wichtig und haben viel Inhalt. Der Refrain hat aber alles überschattet. Ich will der Kritik gar nicht ausweichen. Ich weiß genau, warum ich diese Zeilen geschrieben habe. Das war aus der Wut heraus. Dass der Refrain dann aber alles andere in den Hintergrund rücken ließ und das eigentliche Thema total unterging, fand ich sehr schade. Ich habe das vorher schon geahnt, habe aber auch von vielen Leuten gesagt bekommen, ich sollte den Text so beibehalten, sonst wäre das Lied schwächer. Da hat es für mich dann erst den Release gebraucht, um zu realisieren: Das ist es doch nicht – so nicht. Die neue Version ist immer noch sehr wütend, aber sie überschattet das Thema nicht. Die andere war mit zu radikalen Worten gespickt, sodass ich Angst hatte, dass sie den Zuhörer alles andere vergessen lassen – das, worum es eigentlich geht.

Worum geht es denn?

Alias "Faber" ist der Sänger und Songwriter der gleichnamigen Band. Pollina wurde am 18. April 1993 in Zürich geboren. Er ist der Sohn von dem aus Sizilien stammenden Schweizer Sänger Pippo Pollina. Der 26-jährige Züricher gilt als einer der erfolgreichsten Newcomer im deutschsprachigen Pop. Mit den Liedern "Alles Gute" und "Tausendfrankenlang" wurden er und seine fünfköpfige Band auch in Deutschland bekannt. Ihr neues Album "I f*cking love my life" erscheint am 1. November 2019.

Um das Grundentsetzen darüber, dass es auf die Frage, ob man Menschen rettet, zwei mögliche Antworten gibt. Nämlich ja oder nein. Wenn man an diesem Punkt angelangt ist, dann läuft etwas auf einem ganzen Kontinent gehörig falsch. Es waren viele Auslöser, die mich dazu bewegten, den Text zu schreiben. Wie etwa die rechten Aufstände in Chemnitz oder auch Seehofers Äußerung, der es als amüsant empfand, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge abgeschoben wurden. Da kam viel Entsetzen zusammen, das ich dann textlich verarbeitet habe.

Mit deinem Lied richtest du dich an die Politik in Europa – oder hattest du die Situation eines bestimmten Landes im Sinn?

Eigentlich ist es ein globales Problem, aber ich habe beim Schreiben besonders an Europa gedacht. Ich erkenne dieselben Muster und Probleme in ganz Europa. In Ländern wie Italien, Ungarn oder Polen spitzt sich die Lage immer weiter zu. Das ist sehr krass und beschäftigt mich sehr.

Verfolgst du durch deinen Vater, den Musiker Pippo Pollina, der aus Sizilien kommt, die Situation in Italien näher?

Ja, auf jeden Fall, klar. Die Situation in Italien ist next level. Was Salvini da abziehen kann und dennoch den totalen Rückhalt hat, ist schon brutal. Das habe ich so in Deutschland oder der Schweiz noch nicht erlebt – zum Glück. Die Situation ist aber auch eine andere. In Italien gibt es viele Regionen, in denen das faschistische Gedankengut nie richtig aufgearbeitet wurde und als normal gilt. In Sizilien sieht die Lage anders aus. Die halten da die Stellung. In der Stadt Palermo funktioniert im Vergleich zum Rest von Italien alles noch recht gut. Aber auch da herrscht eine große Wut. Die richtet sich aber größtenteils nach Europa. In dem Tenor: „Wir sind eine der ärmsten Provinzen Europas und bei uns kommen jeden Tag Menschen an, ihr müsst uns bitte unterstützen.“ Ich denke, da ist dann europäische Solidarität gefragt.

Hast du dich durch die teils sehr negativen Reaktionen auf die Single unter Druck gesetzt gefühlt, die betreffenden Zeilen zu verändern?

Nein, gar nicht. Ich habe mich am Samstagmorgen dazu entschieden, den Refrain zu ändern. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt gab es noch überhaupt keinen Artikel zum Lied. Und auch die Kommentare auf Social Media waren nicht der Grund für meinen Beschluss. Die erste Stunde nach der Veröffentlichung habe ich die Kommentare gelesen, danach habe ich mir selbst Handyverbot erteilt. Ich glaube, manchmal ist es besser, nicht alles zu lesen. In den Kommentarspalten auf Youtube und Co. haben sich aber natürlich auch viele Rechte getummelt. Ich habe Morddrohungen erhalten. Das ist schon heftig.

Die Schweizer Band Faber spielt beim festival Zermatt Unplugged vor einer Bergkulisse

„Wir mussten uns so einiges anhören“, sagt Faber über rechte Anfeindungen Foto: dpa

Dir wurden von verschiedenen Medien, in Bezug auf den Refrain der Erstversion, Vergewaltigungsfantasien vorgeworfen. Kannst du diese Kritik nachvollziehen?

Nein, überhaupt nicht. Ich kann durchaus verstehen, dass man sich an den Zeilen stört. Aber dass man in dem Refrain Vergewaltigungsfantasien sieht, kann ich nicht nachvollziehen und war auch sehr überrascht von dieser Reaktion. Die radikale Ausdrucksweise in der Erstversion ist, wie andere Wutausdrücke in der Umgangssprache auch, nicht wörtlich zu nehmen. Ich dachte eigentlich, das sei klar. Diese Interpretation meines Textes nimmt mich sehr mit und auch da hätte ich dann gerne erklärt, wie es eigentlich gemeint war. Ich bin ziemlich sicher, dass niemand wirklich gedacht hat, dass ich sexuelle Gewalt mit meinen Worten unterstützen würde. Die Zeilen hatten da nichts zu suchen, das stimmt schon, weil es einfach zu grob war für den Rest des Songs – deshalb habe ich es ja rausgenommen. Aber nicht, weil ich Leuten recht gebe, die mir Vergewaltigungsfantasien unterstellen. Denn das ist absolut nicht der Fall.

Ende Juli erschien die Single „Das Boot ist voll“ der fünfköpfigen Band Faber. Es ist ein wütender Text, den Sänger Julian Pollina in Reaktion auf die politische Lage in ganz Europa, das Sterben im Mittelmeer und den spürbaren Rechtsruck der Gesellschaft schrieb. Den Refrain der Erstversion: „Besorgter Bürger‚ ja / ich besorgs dir auch gleich / geh auf die Knie, wenn ich dir meinen Schwanz zeig / nimm ihn in den Volksmund / blond‚ blöd‚ blau und rein / besorgter Bürger, ja / ich besorgs dir auch gleich“, änderte Pollina nach der Veröffentlichung. „Wenn sich 2019 '33 wieder einschleicht / wenn Menschlichkeit und Verstand deiner Wut weicht“, heißt es jetzt im Refrain.

Ihr habt „Das Boot ist voll“ auf eurer Website als „neue Skandalsingle“ angeworben – in Optik bekannter Boulevard-Medien. Habt Ihr mit starken Reaktionen gerechnet?

Der Begriff Skandalsingle passte perfekt in den Look. Dieser Look, der auf der ganzen Welt genau gleich ist. In Deutschland ist es die Bild-Zeitung, in der Schweiz die Blick-Zeitung, in Österreich die Kronen-Zeitung. Ein und dieselbe Aufmachung, die man sofort erkennt. In diesen Medien gibt es immer genau zwei Meldungen: Irgendein Promi ist super happy oder es gibt den großen Skandal. Ich habe schon mit krassen Reaktionen auf die Single gerechnet. Es war abzusehen, dass es ein kontroverses Echo geben wird. Vor zwei Jahren habe ich mit „Wer nicht schwimmen kann, der taucht“ schon etwas Ähnliches erlebt. Von rechts kamen Drohungen und wir mussten uns so einiges anhören. Mir war klar, dass das nicht weniger werden würde.

Das Lied ist durchaus zu einer Skandalsingle geworden. Auch wegen des Inhalts, über den du singst?

Auf jeden Fall. Das stört mich am meisten, dass Menschen die Texte selbst skandalöser finden als die Dinge, die sie beschreiben. Ich finde es total weich, wenn jemand vehement versucht, einen Text kaputtzumachen, der eine Gesellschaft beschreibt, in der etwas schiefläuft. Dass die politische Lage wieder ins Bewusstsein rückt, war von Beginn an mein eigentliches Ziel. Deshalb wollte ich den Refrain auch unbedingt ändern, weil es sonst nur um die Ausdrucksweise in diesem einen Punkt geht. Und dann wäre der Song gefailt.

Provozierst und polarisierst du gerne mit deiner Kunst?

Das weiß ich gar nicht. Es macht auf jeden Fall überhaupt keinen Spaß. Man leidet sehr sehr viel darunter. Wahrscheinlich zu Recht, denn man hätte es ja auch einfach anders machen können. Aber irgendwie dann halt auch nicht, denn man findet das, was man da tut, ja richtig und wichtig. Ich finde es nur ehrlich, wenn Kunst nicht geradlinig ist und aneckt. Aber Spaß macht es definitiv nicht. Es ist unfassbar anstrengend. Egal ob man polarisieren möchte oder nicht, am Ende möchte wahrscheinlich jeder einfach nur gemocht werden. Um meine Musik bahnen sich immer wieder Diskussionen an. Im Endeffekt war das gut, es hat mich weiter nach vorne gebracht – privat und musikalisch. Es ist nur selten vorgekommen, dass ich mit meinen Diskussionspartnern am Ende nicht auf einen gemeinsamen Punkt gekommen bin. Ich bin überzeugt, dass man sich den Diskussionen um die Dinge, die man schreibt, nicht entziehen darf.

Wie stehst du zu dem Streben nach Political Correctness? Glaubst du, dass man politische Aussagen treffen kann, ohne sich dabei politisch korrekt auszudrücken?

Erst einmal glaube ich, dass der Begriff Political Correctness fälschlicherweise sehr stark negativ konnotiert ist. Dabei ist das Ziel einer Ausdrucksweise, die für möglichst viele Menschen angenehm ist, sehr erstrebenswert. Ein Ziel, das ich auch privat verfolge. Allerdings nicht unbedingt in der Kunst. Ich möchte da keinen riesigen Schnitt ziehen, aber dennoch glaube ich, dass Einschränkungen in der Sprache die Kunst blass machen. Damit plädiere ich nicht für einen Freifahrtschein, sich auf bestimmte Menschen sprachlich einzuschießen, das nicht; aber gerade wenn man mit vielen Bildern spielt, finde ich es wichtig und gut, einen gewissen Spielraum zu haben. Privat beobachte ich allerdings durchaus eine Änderung in der Art, mich auszudrücken. Mittlerweile achte ich auf Dinge, die vor einigen Jahren überhaupt nicht im Bewusstsein der Menschen waren. Das ist eine sehr positive Entwicklung.

Mit deiner Single reagierst du auf Wut und Hass mit noch mehr Wut. Funktioniert das?

Das ist sicher nicht der beste Weg und das ist mir auch bewusst. Das war eher Wut, die rausmusste. Privat sehe ich das nicht als Lösung an, da setze ich auf Kommunikation und offenen Austausch. In dem Lied waren es eher Entsetzen und Verzweiflung, die sich angestaut hatten und denen ich dann Ausdruck verliehen habe. In der Situation bringt sie aber niemanden weiter, die reine Wut. Das ist auch ein Punkt, den ich als Kritik an der Single gut hätte nachvollziehen können. Dass der Text nicht das Gespräch sucht und keine Lösung mit sich bringt. Doch das ist auch nicht der Anspruch der Single. Sie sollte die Menschen wachrütteln. Eine Gesamtlösung für die Probleme Europas parat zu haben, wäre aber wohl auch ein zu hoher und unrealistischer Anspruch an einen Song. Es sitzen hunderttausende Politiker täglich zusammen und arbeiten an Konzepten, eine dreiminütige Single wird da nicht die Antwort auf alle Fragen liefern. Muss sie aber auch nicht.

„In Paris brennen Autos“ und „Wer nicht schwimmen kann, der taucht“ sind bereits zwei gesellschaftskritische Lieder. Mit „Das Boot ist voll“ hast du jetzt noch einen draufgesetzt. Siehst du Künstler und Personen des öffentlichen Lebens in der Pflicht, sich politisch zu positionieren?

Ich finde nicht, dass Menschen dazu verpflichtet sind, aber ich würde mir wünschen, dass es mehr tun. Musik wird von vielen Menschen konsumiert und generiert Aufmerksamkeit. Kunst im Allgemeinen kann Menschen berühren und sie dazu bewegen, etwas zu verändern. Auf diese Weise kann man als Künstler seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten.

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