„Tönnies ist immer die Zuspitzung“

Die Initiative „Stützkreis Wohnen und Arbeiten mit Werkvertrag“ kämpft für bessere Bedingungen für die Werkvertragsarbeiter der Firma Tönnies in Kellinghusen. Doch die Arbeit ist zäh

Knochenjob: Fleischverarbeitung bei Tönnies Fotos: Bernd Thissen/dpa

Interview Friederike Gräff

taz: Hoffen Sie, dass mit dem Medieninteresse an den rassistischen Äußerungen von Clemens Tönnies auch das Interesse daran wächst, dass er seine Werkvertragsarbeiter fragwürdig behandelt, Frau Halbritter?

Anja Halbritter: Wir versuchen als „Stützkreis“ seit eineinhalb Jahren, die Arbeitsbedingungen aufzuzeigen und die Wohnbedingungen zu verbessern. Wir stehen mit dem Tönnies-Konzern im Gespräch – aber mit den rassistischen Äußerungen haben wir entdeckt, dass es diese Haltung ist, die unsere Arbeit hier vor Ort so schleppend macht. Der Konzern kooperiert eben nur so weit mit uns, als es für eine positive Medienresonanz nötig ist.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Der Tönnies-Konzern hat sich, getrieben von Medien wie dem NDR, zu runden Tischen bereit erklärt. Die finden auch statt. Es gab auch eine Verbesserung der Wohnsituation. Die fürchterlichen Wohnungen, die es bislang für die Werkvertragsarbeiter gab, wurden gekündigt und der Tönnies-Konzern hat einen Block in Bad Bramstedt renoviert. Die Wohnqualität war tatsächlich in Ordnung.

Das ist erst mal ein Positivbeispiel.

Zur Einhaltung sozialer Standards hat sich die Fleischindustrie 2015 verpflichtet.

KritikerInnen beanstanden, dass nicht alle Unternehmen daran teilnehmen. Außerdem fehlten Kontrollen.

Die Umsetzung der Selbstverpflichtungserklärung läuft unglaublich schleppend. Der Aktivismus geht größtenteils ehrenamtlich von uns aus. Wenn wir ein Fußballspiel vorschlagen zwischen rumänischen Arbeitern und dem örtlichen Fußballverein, heißt es: gute Idee, aber es kommt nichts. Wenn wir versuchen, in Kontakt mit den Rumänen zu treten, läuft es ins Nichts. Wenn es gewünscht würde vom Konzern und den Subunternehmen, dann wären, so glauben wir, mehr Leute da.

Wie muss man sich deren Situation vorstellen?

Das Werkvertragswesen bedeutet Hire and Fire, Anheuern und Feuern. Sie werden in Rumänien angeworben, meist sind es Leute, die beruflich keine Wahl haben. Man steckt sie sofort in die Arbeit und lässt sie abgeschottet: sprich Arbeit, schlafen, unter ihresgleichen bleiben. Sie arbeiten für neun Euro Mindestlohn, was für sie viel Geld ist. Wir sagen, dass es ein Witz ist für die schwere und gefährliche Arbeit. Oft gibt es Streit um Überstunden oder Krankschreibungen. Weil sie hier kaum Berührungspunkte haben, sind sie dann schwupp wieder in Rumänien.

Was bleiben für Sie die großen Baustellen?

Der Integrationsbereich: in der Sozialberatung, im Kontakt. Wir wünschen uns zum Beispiel, dass Sprachunterricht stattfindet – da heißt es: Wir haben keine Räume dafür und es wird nicht weiterverfolgt. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Hausaufgaben des Tönnies-Konzerns zu machen, wir unterstützen das nur.

Lässt sich das System der Werkvertragsarbeiter überhaupt reformieren?

Die Gewerkschafter, die bei uns mitarbeiten, sagen, dass es in anderen Branchen funktioniert: Da machen es die Unternehmen zur Bedingung, dass man die Sprache lernt, da wird ein Deutschlehrer angeheuert.

Ist Tönnies ein besonders schlechter Arbeitgeber?

Foto: privat

Anja Halbritter, 50, ist Sprecherin des „Stützkreises“, der sich für Werkvertragsarbeiter bei Tönnies im schleswig-holsteinischen Kellinghusen einsetzt.

Die Fleischindustrie ist nach wie vor eine sehr prekäre Branche. Aber Tönnies ist immer die Zuspitzung.

Bekommen Sie vor Ort Gegenwind, weil Tönnies als Arbeitgeber wichtig ist?

Wir in Kellinghusen haben nichts vom Konzern. Wir glauben nicht, dass er schon Steuern vor Ort zahlt, weil er gerade einen großen Umbau hatte. Es arbeiten fast nur Rumänen dort und wir können nicht erkennen, dass ortsansässige Firmen Aufträge bekommen. Wir mussten nur ein neues Klärwerk bauen und die Laster machen die Straßen kaputt.