Performance für Diversität: Gegen die Regeln

Va-Bene Elikem Fiatsi aus Ghana performt Rituale des Übergangs. Eingeladen wurde sie von Studenten der Hamburger Kunsthochschule.

Eine Performance Künstlerin liegt wie Jesus am Kreuz über einem Abgrund gefesselt

Performancekünstlerin Va Bene aus Ghana spielt mit den Extremen Foto: Mikhael Grunwaldt

Die Person, die sich aus einiger Entfernung den Be­sucher*innen nähert, ist zierlich, aber muskulös. Sie ist schwarz und nackt; nur ihre Hüfte schmücken einige Reihen aus Glasperlen, wie sie viele Frauen in Ghana tragen. Lange Metallfesseln hängen an ihren Hand- und Fußgelenken. Sie hat einen Penis. Sie ist über und über mit Lehm beschmiert; Augen, Mund und die langen Rastazöpfe sind völlig verklebt. Mit erschöpften Schritten steuert sie auf einen qualmenden Grillplatz zu und lässt sich langsam auf einem rostigen Metallkreuz nieder, das über dem Grill arrangiert ist. Immer wieder formt sie die Lippen zu einem stummen Schrei, hustet und würgt Lehm hervor. Wartet scheinbar auf den Tod.

Va-Bene Elikem Fiatsi, Künstlername „crazinisT artisT“, hat die Performance mit dem Namen „Intimate Death“ konzipiert. Zwei Stunden zuvor stand sie im Hinterhof der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg und inspizierte dort ein Kunstobjekt: eine große Ofen- und Grillkonstruktion, die unter anderem einen in den Boden eingelassenen Grillplatz bereitstellt – so tief, dass man ein ganzes Spanferkel darin brutzeln kann. Fiatsi nickte entschlossen: „Ich glaube nicht an Zufälle, und dieser Ort ist wie für mich und meine Performance gemacht. Ich werde meinen Körper als provokante Mahlzeit präsentieren!“

Eingeladen wurde die ghanaische Künstlerin von dem Projekt „HHintersection“, das Studierende der Hochschule für bildende Künste (HFBK) Anfang Juni ins Leben riefen, um sich für mehr Diversität an der Hochschule und darüber hinaus einzusetzen. „Die Auswahl an Dozierenden und Referent*innen, die an der Hochschule lehren und ihre Arbeiten präsentieren, ist aus unserer Sicht noch zu homogen und westlich geprägt. Wir wollen diese Ausrichtung mit unserem Projekt hinterfragen“, so Shira Lewis, eine der Initiator*innen.

Teilhabe am Enstehungsprozess

Fiatsi, 1981 geboren und aufgewachsen in Ho, Ghana, schloss nach der Schule 2006 zunächst eine Ausbildung als Grundschullehrkraft ab und unterrichtete einige Jahre. Parallel predigte sie, von den Menschen in ihrer Umgebung wurde sie als christliche Führungsperson mit „Evangelist“ oder „Bruder“ betitelt, sie lebte in dieser Zeit als Mann. 2010 begann sie ein Studium der bildenden Kunst im Kumasi. Andere künstlerische Ausdrucksformen als die der Malerei und Bildhauerei kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Am Malen langweilte mich zunehmend, dass ich die Menschen nur am Endprodukt teilhaben lassen konnte. Ich wollte, dass das Publikum mein Werk zum Abschluss bringt – indem es sich Gedanken macht, was es noch braucht oder was fehlt.“

2012 veränderten sich ihre Gemälde und Installationen stark, bis es 2013 zum „totalen Umbruch“ kam: „Ich durchlebte in dieser Zeit parallel mehrere Transitionen: Den Übergang von männlich zu weiblich, vom Christentum zum Leben ohne Religion, vom geliebten Kind zur Ausgestoßenen, von der Malerei zur Performance als Ausdrucksform meiner Kunst.“ Den eigenen Glauben, das eigene Zugehörigkeitsgefühl hinterfragt sie immer mehr.

„Genderqueere und nichtbinäre Identitäten waren lange Zeit ein akzeptierter Bestandteil der ghanaischen Kultur. Homosexualität wurde nicht kriminalisiert, wenn auch weitestgehend nicht anerkannt.“ Heute sind homosexuelle Handlungen zwischen Männern in Ghana illegal. Fiatsi ist überzeugt: „Dass Homophobie in Ghana heute so verbreitet ist, hängt mit der Verbreitung des Christentums im Zuge der Kolonialisierung zusammen.“

2017 verlässt Fiatsi die Universität, das Masterstudium bleibt unbeendet: „Ich hatte das dringende Bedürfnis, mich der grausamen Realität außerhalb des sicheren Universitätsalltags zu stellen.“ Ihre Familie wendet sich von ihr ab, denkt, dass Fiatsi besessen sei, in der Hölle landen werde. Fiatsi trägt jetzt häufiger Kleider und das Haar in langen Rastazöpfen, schminkt sich. Auf dem neuen Foto in ihrem Pass wird sie als Frau gelesen, an Grenzkontrollen muss sie sich immer öfter auf Diskussionen einlassen, weil sie die Frage, ob sie Mann oder Frau sei, mit „beides“ beantwortet. Häufig wird ihr anschließend die Weiterreise verwehrt. „Es verlangt kontinuierliche Anstrengung, Frau oder Mann zu werden“, sagt sie. „Wie ein Ritual, das immer wieder durchgeführt werden muss.“

336 Stunden verbringt sie in den Räumlichkeiten, zwei Wochen ohne jegliche Privatsphäre

Ihren Wandlungsprozess verarbeitet Fiatsi 2017 in ihrer Performance „Rituals of Becoming“: In der Gallery 1957, die vor allem zeitgenössische westafrikanische Kunst präsentiert und sich im Luxushotel Kempinski Hotel Gold Coast City in Accra befindet, lässt sie das Publikum an genau diesem Werdungsritual teilhaben. Dafür werden die Ausstellungsräume mit roten Samtvorhängen, großen Spiegeln und stereotyp weiblicher Kleidung behängt, die die Künstlerin sechs Jahre lang gesammelt hat. Über zwei Wochen – 336 Stunden – verbringt sie in den Räumlichkeiten, schminkt sich, wäscht sich in einem Zuber, kleidet sich an. Zwei Wochen ohne jegliche Privatsphäre, Besucher*innen können jederzeit dazustoßen.

Körper als Provokation

Fiatsis Performances nehmen Bezug aufeinander. So ist „Inti­mate Death“ auch eine Referenz auf „eAt me …“, aufgeführt am Karfreitag 2016 in Kumasi: Fünf Stunden lang bahrte sich crazinisT artisT gegenüber einem Fleischrestaurant in einem Einkaufszentrum auf, nackt und in einer Blutlache. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Ghana ist christlich, viele gehören evangelikalen Freikirchen an, deren Glaube sich in vielerlei Hinsicht an binären Vorstellungen von „richtig“ oder „sündhaft“, „Himmel“ oder „Hölle“ ausrichtet. Ein Körper, der nicht in ein solches System passen will, stellt eine ungemeine Provokation dar. „In gewisser Weise interpretiere ich diese Situation heute Abend mit ‚Intimate Death‘ neu“, erklärt Fiatsi. „Das hier ist Europa, ein schwarzer Körper bringt hier Themen wie Sklaverei und Kolonialismus sowie den Umgang mit eigener Schuld als zusätzliche Komponenten ins Spiel.“

Heute versteht Fiatsi ihre Kunst als Lebensaufgabe. Deshalb gründet sie 2018 die perfocraZe International Artist Residency“, kurz [pIAR], in Kumasi, die internationalen Künstler*innen eine Plattform für kulturellen Austausch und gemeinsame Projekte bietet. Und deshalb wird sie auch nicht müde, ihre Arbeit und Intention immer wieder zu erklären: So wie bei einer öffentlichen Performance am Karfreitag 2018 in Kumasi, stilistisch ähnlich der in Hamburg, nach der sie zum ersten und einzigen Mal von der Polizei aufgegriffen wird. Auf ihre Nachfrage hin betonen die Polizist*innen, dass man sie lediglich mitgenommen habe, um „rettend“ in die vermeintlich gefährliche Situation einzugreifen. Fia­tsi lässt sich auf das Gespräch ein, erklärt ihre Sicht auf die Dinge. „Letztlich waren sie offen für meine Arbeit und wussten, dass ich berechtigte Fragen stelle. Am Ende wollten sie sogar Selfies mit mir machen.“

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