Drohte Polizist mit „NSU2.0“?

Wegen rassistischer Faxe an eine Anwältin haben Ermittler die Wohnung eines Beamten durchsucht

Von Christoph Schmidt-Lunau
, Dinah Riese
und Konrad Litschko

Seit mehr als einem halben Jahr erreichen rassistische Texte eines anonymen Briefschreibers das Faxgerät von Seda Başay-Yildiz. Die Rechtsanwältin, die im NSU-Prozess eine der Opferfamilien vertreten hat, wird darin mit dem Tode bedroht. „Wir schlachten deine Tochter“, musste sie da sogar lesen. Die Briefe waren mit „NSU2.0“ unterschrieben. Seit Monaten ermitteln das hessische Landeskriminalamt und die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Jetzt sind sie sicher, den Briefeschreiber zu kennen.

Die Spur führt – einmal mehr – in rechte Netzwerke in der hessischen Polizei. Ein 30-jähriger, seit Dezember suspendierter Beamter des 1. Reviers der Frankfurter Polizei wurde am Dienstag vorläufig festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Er ist allerdings wieder auf freien Fuß. Die Indizien reichten nicht für einen „dringenden Tatverdacht“ aus, sagte die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, der taz. Deshalb sei er noch nicht dem Haftrichter vorgeführt worden. Nun setzen die Ermittler auf die Datenträger, die bei Durchsuchungen der Wohnungen des Tatverdächtigen sichergestellt werden konnten.

Die Fahnder der besonderen Aufbauorganisation „Winter“ kamen am frühen Dienstagmorgen. Zeitgleich durchsuchten sie in Frankfurt, dem früheren Dienstort des Tatverdächtigen, und im mittelhessischen Kirtorf dessen Wohnungen.

Man habe zahlreiche elektronische Datenträger mitgenommen, die jetzt ausgewertet würden, erklärte dazu die Staatsanwaltschaft. Sie hofft darauf, dass sich damit der Verdacht erhärten lässt. Die Ermittlungsbehörden bewerten die anonymen Faxe als Bedrohung und Volksverhetzung. Der suspendierte Beamte muss deshalb mit einem Haftbefehl rechnen.

Der Ort Kirtorf hat eine einschlägige Vergangenheit mit Rechtsextremen. Im August 2004 geriet die Gemeinde bundesweit in den Blick, als im Fernsehen verstörende Aufnahmen gezeigt wurden: Hunderte Neonazis, die in einem umgebauten Schweinestall feierten, zu Rechtsrock-Liedern mit Texten wie „Lasst die Messer flutschen in den Judenleib“. Regelmäßig kamen aus ganz Deutschland Gäste zu solchen Partys.

Im Fall der Drohfaxe gegen Başay-Yildiz hatte schon früh eine Spur ins 1. Revier der Frankfurter Polizei geführt: Der Briefeschreiber hatte auf Daten aus dem privaten Umfeld der Rechtsanwältin Bezug genommen, die öffentlich nicht bekannt waren. Schnell stellte sich heraus, dass solche personenbezogenen Daten von einem Polizeicomputer des Innenstadtreviers abgerufen worden waren, ohne dass es dafür einen dienstlichen Grund gegeben hätte.

Sechs Beamte und eine Zivilangestellte hatten Zugang zu diesem PC. Bei der Auswertung ihrer Handys stießen die Ermittler auf eine Chatgruppe, die Hakenkreuze, rassistische Posts und menschenverachtende Parolen ausgetauscht hatte. Sechs Beamte sind seitdem suspendiert.

Vor der Festnahme vom Dienstag hatten die Behörden zwar schon den unzulässigen Datenabruf vom Polizeicomputer bestätigt. Allerdings hieß es lange, es gebe keinen klaren Hinweis darauf, dass ein Mitglied der Chatgruppe auch für die anonymen Drohbriefe verantwortlich sein könnte.

Die betroffene Anwältin Seda Başay-Yildiz gibt sich zuversichtlich. „Ich habe vollstes Vertrauen, dass die Beamten des Landeskriminalamtes den Sachverhalt aufklären“, sagte sie der taz. Dafür spreche unter anderem, „dass mehrere Beamte weiterhin suspendiert sind, diverse Ermittlungsverfahren gegen Beamte geführt werden und dass zuletzt ein Beamter vorläufig festgenommen wurde“.