Er zwitschert’s der Union ins Ohr

Ruprecht Polenz, 73, war mal eine große Nummer in der CDU. Jetzt ist er in Rente. Jedenfalls fast. Denn er zeigt den Christ­demokraten, wie man Politik mit dem Smartphone macht

Für Garten­arbeit weniger geeignet: Ruprecht Polenz twittert besser als alle Strategen seiner Partei Foto: Oliver Tjaden/laif

Aus Münster Anja Maier

Akku leer? Gar kein Problem. Im Hause Polenz kann der Besucherin sofort geholfen werden. In der Steckdose neben dem Esstisch wartet ein Mehrfach-Port auf hungrige Handys und Laptops, neben dem Lesesessel im Wintergarten verrichtet eine Multi-Ladestation still ihren Dienst. „Wir haben hier alles Mögliche“, sagt Ruprecht Polenz freundlich und legt das Handy der Reporterin in die Station. Seine Endgeräte sind fit: Vor ihm auf der geblümten Tischdecke liegen iPhone und iPad neben dem Keksteller, die Bildschirme dreht der 73-Jährige während des Gesprächs höflich nach unten.

An diesem Julitag hat Ruprecht Polenz bereits kräftig getwittert. Er hat den AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland wegen seiner Nähe zu den Rechtsradikalen geschmäht, sich über seinen CDU-Parteikollegen Friedrich Merz wegen fehlender Distanz zu ebendiesem Gauland mokiert und die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wegen einer Überschrift gerüffelt. Dem Berliner Büroleiter der Neuen Zürcher Zeitung hat er tags zuvor bescheinigt, Antifaschismus sei „nicht links, sondern eine Haltung, die alle Demokraten einnehmen sollten“. Der Redakteur hatte eine Verharmlosung der Antifa durch „linke Politiker und Journalisten“ gewittert. Sechseinhalbtausend Likes für Ruprecht Polenz’Erwiderung. Bäm!

Das alles tut Ruprecht Polenz mit Blick in den Garten des Reihenhauses, den seine Frau gießt und pflegt. „Mich werden Sie da nicht antreffen“, sagt Polenz, und dass die Kirschen in diesem Jahr zwar wieder großartig aussähen, aber leider voller Maden. Der Familienhund, ein kleiner rauhaariger, kommt angestreunt und lässt sich streicheln. Frau Polenz fragt freundlich, ob man noch etwas anderes wünsche als Wasser – „Rhabarberschorle, wie wär’s?“ Ihr Mann erzählt derweil von den vier Kindern und sieben Enkelkindern – „Opa sein, da geht nix drüber.“

Es ist ein Tag wie so viele, seit sich der Politrentner Ruprecht Polenz einen Twitter-Account zugelegt hat. „Am 28. März war das“, erzählt Polenz, als sein jüngster Sohn seinen schon seit vier Jahren bestehenden Account aktivierte. Seither hat er 4.300 Kurznachrichten in den digitalen Orbit geschickt. 18.000 Menschen lesen, was er auf maximal 280 Zeichen meint. Das ist sehr viel für einen alten weißen CDU-Mann. Er hat ein Foto von sich eingestellt und eines aus dem Wahlkampf von Angela Merkel dazu und schließlich eingetippt: „MdB für Münster 1994–2013, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses 2005–2013, CDU“.

Gerade das Letzte, dieses kurze „CDU“, hat Polenz berühmt gemacht. Denn während seine Partei, der er seit den sechziger Jahren angehört, für die er zwei Jahrzehnte im Bundestag saß und deren Generalsekretär er einst war, gefährlich desorientiert und weltanschaulich seltsam fahrig wirkt, folgt Parteifreund Polenz einzig seinen politischen Überzeugungen. Er sagt auf Twitter, was er denkt, und er meint, was er sagt.

Er habe, antwortet Ruprecht Polenz auf die Frage, warum er nicht vielleicht doch besser ein bisschen Gartenarbeit verrichten will, statt in den sozialen Medien mit ­Hatern und Fans abzuhängen, schon immer „möglichst viele Menschen davon überzeugen wollen, Dinge so zu sehen, wie ich sie sehe“. Politiker müssten mit den Leuten reden – und das Netz biete diese Möglichkeit. „Das Twittern ist nichts, wovon ich mich abhalten sollte“, sagt Ruprecht Polenz, „weil ich die Sache richtig finde.“

Was genau ist bitte „die Sache“, Herr Polenz? Er wechselt nun vom Plauder- in den Grundsatzton. „Ich finde es wichtig“, sagt er und berührt ganz leicht sein Wasserglas, „dass wir alle aus der deutschen Geschichte, aus den Diktaturerfahrungen der Nazizeit und der DDR die richtigen Konsequenzen ziehen. Dass völkische Sprache wieder benutzt wird, ohne dass es einen Aufschrei gibt, beunruhigt mich. Zudem: Ich habe gelernt, dass man sehr vorsichtig sein muss, damit Minderheiten sich nicht ausgegrenzt fühlen – das darf man unter keinen Umständen.“ Er halte es da mit Karl Poppers offener Gesellschaft: Alle müssen mit allen im Gespräch bleiben.

Wie das exakt funktionieren kann, wie Politik und Bürgerschaft trotz unterschiedlicher Standpunkte kommunizieren können, das hat Ruprecht Polenz vor Kurzem geradezu vorbildlich gezeigt. Der YouTuber Rezo hatte in einem 55-minütigen Video die Politik von Polenz’Partei auseinandergenommen. „Die Zerstörung der CDU“ lautet der mehrdeutige Titel des umfänglich recherchierten Films. Es geht um Klima und Reichtum, um Teilhabe und Lobbyismus, Drohnenkriege und Europa.

In der Parteizentrale reagierten sie denkbar unsouverän. Erst beklagte man sich über billigen Populismus und inhaltliche Verkürzung. Dann wurde ein Erwiderungsvideo angekündigt, schließlich schickte man acht Seiten Rechtfertigung. Annegret Kramp-Karrenbauer schwadronierte in einer Pressekonferenz von „Meinungsmache“ und „Regeln für den digitalen Bereich“. Ihr Generalsekretär Paul Ziemiak kanzelte Rezo als einen Nullchecker ab. Die Häme seitens der Öffentlichkeit war episch, die Entkoppelung der CDU von der jungen Wählerschaft unübersehbar.

Ruprecht Polenz guckte sich das eine Weile an. Dann handelte er. Er schrieb Rezo einen offenen Brief. Im turboschnellen Digitalorbit ist das ungefähr so sexy, wie eine Brieftaube zu schicken. Trotzdem hat es funktioniert: Ruprecht Polenz, der Mann mit den Prinzipien, ist seither der Twittergott der CDU.

Er habe sich „wahnsinnig geärgert“ über Rezos Video, schrieb er an den 47 Jahre jüngeren Influencer. „Ich glaube, Du hast mit vielen Punkten Deiner Kritik Recht, mit anderen nicht, und ich frage mich, ob Dein Video zu einem Umdenken in unserer Gesellschaft führt, was die Dringlichkeit der Klimafrage angeht. Hoffentlich tut es das, kann ich nur sagen.“ Es folgen viele Absätze detaillierter Argumentation, die mit diesem Satz schließen: „Über eine Antwort würde ich mich freuen.“ Es kann so einfach sein.

Ruprecht Polenz sitzt in seinem Wohnzimmer und schaut zufrieden hinter seiner Pantone-Brille hervor. Er habe sich „das Ding von Rezo“ eine Weile aus dem Augenwinkel angeschaut, erzählt er. „Als es anderthalb Millionen Klicks hatte – mit diesem Titel! –, habe ich’s mir angesehen. Etwas später noch mal, da hatte die CDU immer noch nichts unternommen. Dann hatte ich die Idee mit dem offenen Brief. Ich bin erst mal ins Bett gegangen, aber daraus wurde dann nichts, nachts halb zwei war der Brief fertig.“

Am nächsten Morgen zeigte er seinen Antwortbrief an Rezos Millionen YouTube-AbonnentInnen Frau Polenz. „Ihr gefiel er gut“, erzählt er. „Aber das mit dem Duzen, ob ich das denn machen wolle, hat sie mich gefragt.“ Er wollte, er machte. „Und dann ist etwas passiert: eine Million Klicks und viele tausend Kommentare.“

„Dass völkische Sprache wieder benutzt wird, ohne dass es einen Aufschrei gibt, beunruhigt mich“

Seine CDU habe „den Fehler gemacht, die Sache nicht ernst zu nehmen“. Und als man dann endlich reagiert habe, „hat man im Konrad-Adenauer-Haus die Sache nicht vom Inhalt her gedacht, sondern von der Form. Mein Rat wäre gewesen, zu sagen: Gesehen. Geärgert. Lasst uns drüber sprechen.“

Ruprecht Polenz hat also drüber gesprochen. Und er hat Antwort bekommen. „Ich habe mit Rezo Kontakt und wir haben uns ausgetauscht, wir haben lange miteinander telefoniert.“ Mehr will er dazu nicht sagen, es sei Vertraulichkeit vereinbart worden.

Dass ein 73 Jahre alter Politiker im Ruhestand mit einem 26-Jährigen YouTuber ins vertiefte Gespräch kommt, hat gleichwohl nicht dazu geführt, dass ihn deshalb mal irgend jemand aus der Parteizentrale angerufen hätte. Was nebenbei bemerkt auch deshalb naheliegend gewesen wäre, weil Ruprecht Polenz vor 18 Jahren selbst deren Generalsekretär gewesen ist. „Dazu gibt’s keine Veranlassung, ich bin ja im Ruhestand“, bindet Ruprecht Polenz die entsprechende Nachfrage ab.

Mit dieser guten Erfahrung im Rücken, Herr Polenz, denken Sie nun darüber nach, selbst YouTuber zu werden? Ja, denkt er, der Herr Polenz. Mehr aber auch nicht. Dann erzählt er von seinem dreißig Jahre alten Sohn. „Wenn der irgendein Problem hat, googelt er das und kriegt zu jedem Thema von YouTube Videos vorgeschlagen. Die guckt er sich dann an und repariert dabei seine Gangschaltung am Rad.“ Rup­recht Polenz schaut begeistert. „Man kann also sagen: YouTube löst da ein handfestes Problem. Das erzeugt ein Grundvertrauen.“

Doch seiner Familie ist schon jetzt das Getwittere und Facebooken zu ausufernd. „Es gibt Situationen, wo sie sagen: Ist ein bisschen viel, was du da veranstaltest. Ich könne ja auch zum Tisch kommen, statt vor meinem iPad zu sitzen“, sagt er lächelnd. Könnte er, ja. Aber die Zeiten sind rau und die Christlich Demokratische Union kann Leute wie diesen Ruprecht Polenz gerade dringend brauchen. Den Twittergott der CDU. Und der Handyakku der Reporterin hat jetzt auch wieder 100 Prozent.