TV-Fragestunde mit Wladimir Putin: Schöne Worte, die ins Leere laufen

In der Sendung „Direkter Draht“ beantwortet Russlands Präsident Fragen. Die Bürger sind mit Innenpolitik und Wirtschaft unzufrieden.

Wladimir Putin sitzt in einem blauen Fernsehstudio einer Moderatorin gegenüber

Lässt Wortwitz und Schlagfertigkeit vermissen: Präsident Wladimir Putin Foto: sputnik

MOSKAU taz | Einmal im Jahr findet der große Moment statt: Präsident Wladimir Putin stellt sich in der Sendung „Direkter Draht“ den ­Fragen des Volkes. Alle russischen TV-Kanäle, die etwas auf sich halten, übertragen die Sendung aus dem Innern des Tagungszentrums Gostinni Dwor, einen Steinwurf vom Kreml entfernt.

Putin trat in diesem Jahr zum 17. Mal an. Es ist für ihn trotz aller technischen Neuerungen ein eingespielter Vorgang, zumal die Fragen nicht spontan gestellt werden. Der Austausch mit dem Volk folgt den Regeln der Simulation.

Vor dem Auftritt um 12 Uhr mittags sind die Journalisten der Fernsehkanäle in heller Aufregung. Sie vermitteln den Zuschauern den Eindruck eines bevorstehenden überirdischen Ereignisses. Bis Putin dann mit einigen Minuten Verspätung eintrifft. Diesmal waren es knapp acht Minuten, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping hatte er vor zwei Wochen auf dem Wirtschaftsforum als einzigen Gast nicht warten lassen. So präsentiert Wladimir Putin seine Werteskala.

Diesmal stand dem Kremlchef ohnehin etwas Schwieriges bevor. Fragen lassen sich beantworten. Das Gefühl, in der Wählergunst auf den niedrigsten Punkt seit 2006 gesunken zu sein, dürfte aber auch Putin verunsichern. Schon die Sendung im letzten Jahr war ziemlich erfolglos verlaufen. Heute ist der Präsident auch kein Synonym mehr für „Wohlstand und Hoffnungen“ wie in der Vergangenheit.

Realeinkommen sinken

Die Statistikbehörde Rosstat meldet dieser Tage, die indus­triel­le Produktion sei weiter gesunken. Aus Sicht des Kremlchefs befindet sich das produzierende Gewerbe unterdessen wieder im Aufwind. Diese Art der Ungenauigkeiten zeichnen die offiziellen Auftritte des Präsidenten jedoch aus.

Die Wirtschaft läuft schlecht und die Menschen im Lande sind unzufrieden. Sechs Jahre hintereinander sinken die Realeinkommen. Die Bürger haben vor allem den Glauben an eine bessere Zukunft verloren. Die Situation ähnelt dem Umbruchjahr 1989, dem der Zusammenbruch des Kommunismus folgte.

Das Gesundheitssystem, Arbeitsplätze und gestiegene Kosten für Arzneimittel verunsichern die Menschen. Präsident Putin gibt lange Antworten und überzeugt zunächst mit Detailkenntnissen. Aber immer wieder redet er die Lage in Russland vor allem schön. Es gelingt ihm nicht richtig, da er Wortwitz und Schlagfertigkeit vermissen lässt. Der Präsident gleicht plötzlich einem seiner grauen Untergebenen.

4 Stunden und 16 Minuten

Auffallend ist, dass er vor allem über Innenpolitik sprach und keine Ausflüge in die Außen­politik unternahm. Angeblich sei ihm von Mitarbeitern geraten worden, in der angespannten Lage keine Siege auf fremden Schlachtfeldern zu feiern. Dies würde zurzeit bei Russen nicht gut ankommen. Nur einmal bezifferte Putin die Einbußen der EU durch ihre Sanktionspolitik mit 240 Milliarden Euro, Russland hingegen verlöre nur 18 Milliarden. Die USA blieben außen vor. Auch diese Zahlen müssten erst noch durch einen Faktencheck.

Putin braucht das Ausland, um zum unterhaltsamen Performer aufzusteigen. In den Niederungen der Sozialpolitik fehlt dem Kremlchef die Inspiration. Überraschungen, Geschenke des Kremlchefs oder Versprechungen gab es diesmal keine.

„Ist der ,Direkte Draht' nicht eine Schau der Geheimdienste?“, fragte ein Zuschauer. Nein, damit hätten die Apparate nichts zu tun, meinte Putin und gestand: „Ich bin nicht ungern Präsident, sonst hätte ich mich nicht mehr wählen lassen.“

4 Stunden und 16 Minuten dauerte die Befragung durch die Bürger. An Kondition fehlt es Putin noch nicht.

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