Antisemitismus-Streit landet im Rat

Die FDP trägt die Querelen um den Göttinger Friedenspreis ins Kommunalparlament. Und zielt auch auf die Preisjury

Von Reimar Paul

Dreieinhalb Monate nach der Vergabe des Göttinger Friedenspreises 2019 an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ beschäftigen die Querelen um Antisemitismusvorwürfe gegen den Preisträger nun den Göttinger Stadtrat. Zur Sitzung des Kommunalparlaments am heutigen Freitag hat die FDP-Fraktion den Antrag „BDS keine Plattform bieten – Antisemitismus bekämpfen!“ eingebracht. BDS („Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen“) ist eine von Palästinensern angestoßene Kampagne, die Israel isolieren will, bis das Land seine, wie sie es nennen, Besatzungspolitik aufgibt.

Der vierte von sechs Punkten des FDP-Antrags zielt auf den Friedenspreis und die Jury unter Vorsitz des taz-Journalisten Andreas Zumach: Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) wird aufgefordert, „… die Beteiligung am Göttinger Friedenspreis bis zu einer Klärung im Sinne nachweislich nicht antisemitischer Tendenzen bisheriger Preisträger oder Jurys bis zu einem Beschluss des Rates vorerst einzustellen“. Der Friedenspreis wird seit 1999 von der Stiftung Dr. Roland Röhl vergeben. Köhler ist qua Amt Mitglied im Kuratorium der Stiftung. Die Stadt unterstützte die Verleihfeier bis 2018 auch durch ein Grußwort. In diesem Jahr war aber alles anders.

Als eine der ersten kritisierte die Göttinger FDP-Fraktionsvorsitzende Felicitas Oldenburg den Verein „Jüdische Stimme“ als antisemitisch. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, schlossen sich an. Das Bündnis „Jachad“, zu dem sich auch die Jüdische Gemeinde Göttingen zählt, verlangte eine Neubesetzung der Jury und rief zu einer Kundgebung gegen die Preisverleihung auf.

Wegen der Vorwürfe zogen die Uni, die Stadt und die Sparkasse ihre Unterstützung zurück. Die Verleihfeier konnte nicht wie sonst in der Aula der Uni stattfinden. Sie wurde in einer privaten Galerie veranstaltet. Mehr als 200 Organisationen und Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland erklärten sich mit dem Preisträger solidarisch.

Der Streit – hinter dem die Frage steht, ob Kritik an der israelischen Regierungspolitik bereits antisemitisch ist – landete zunächst vor Gericht. Der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Achim Doerfer, ging mit Anträgen auf einstweilige Anordnung gegen den Jury-Vorsitzenden Zumach vor. Er war damit in einem Fall auch erfolgreich. Zudem zeigte er den Jury-Vorsitzenden bei der Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung an.

Eine Ratsmehrheit plädiert für Nichtbefassung des FDP-Antrags. SPD, CDU, Grünen und Linke erklärten auf taz-Anfrage, sie seien der Meinung, „solch eine wichtige gesellschaftspolitische Debatte muss in einem breiteren gesellschaftlicheren Rahmen als einer Ratssitzung stattfinden“. Für eine entsprechende Veranstaltung werde nun ein passendes Format und nach Experten gesucht.