Übernachten auf dem Kirchentag: Wo Christen schlafen

Hunderttausende kommen zum Kirchentag nach Dortmund, und die müssen irgendwo schlafen. Wer übernachtet wo und warum?

Mehrere Frauen halten Kerzen und umarmen sich

Nach dem Abend der Begegnung musste man irgendwohin – geschlafen wurde an vielfältigen Orten Foto: epd

DORTMUND taz | Dortmunder Norden, Gemeinschaftsquartier in der Schule am Hafen: Die Direktoren haben frei, keine Lehrer, keine Hausmeister, nur ewig weite Flure, lichtdurchlöchert. Neuer Zuständiger für die Ordnung hier und heute: Quartiermeister Christian Stöppelmann, Religionspädagoge aus Recklinghausen, mit Oberlippenbart. Ein Mann, der gern flachst, koordiniert, laut und unbeschwert Ankommende begrüßt.

Es ist Mittwochnachmittag, in wenigen Stunden startet der Eröffnungsgottesdienst des 37. Evangelischen Kirchentags, und langsam treffen Tausende Christen aus dem näheren und entfernteren Umland ein. Und die müssen irgendwo schlafen.

Schon seit Monaten sind die Hotel- und Hostel­zimmer in Dortmund ausgebucht. Kindergärten und Schulen bleiben geschlossen, damit Menschen in den oft großen Räumen übernachten können. Viele im Ruhrgebiet öffnen gar privat ihre Türen für Menschen, denen sie vorher nie begegnet sind und lassen sie in ihren Betten schlafen. Wer sucht göttliche Weisung, wer nur Obdach?

Nur ein Drittel derer, die in die Schule am Hafen kommen, sind Erwachsene. Der Traum vieler Jugendlicher, er wird auf dem Kirchentag möglich: eine leergefegte Schule, ein Wochenende, lauter Freunde, eine fremde Stadt.

Progressiv und modern

Ein Mädchen mit zurückhaltenden Kreolen an den Ohren stolpert überschwänglich in den Ankunftsraum. Sie schiebt sich vorbei an den anderen, die umhertreiben, entdeckt die grünen, schmalen Kirchentagsbänder und legt sich gleich selbst eines ums Handgelenk. Ein anderes Mädchen braucht einen Stift, um sich die Nummer von Stöppelmann aufzuschreiben. „Aber bitte nicht wegen jedem Scheiß anrufen“, sagt der.

Kirchentage unter evangelischen ChristInnen heißt: Ernst zu nehmen, was dort verhandelt, erörtert, begrübelt und was direkt zur Sprache gebracht wird.

In Dortmund stehen Themen wie Migration, Feminismus, Klima und Umwelt im Mittelpunkt. Typische taz-Themen also.

Deshalb begleiten wir den Kirchentag auch: vor Ort und mit vier täglichen Sonderseiten in der Zeitung. Die taz Panter Stiftung hat dafür 9 junge JournalistInnen ins Ruhrgebiet geschickt.

Die Schule am Hafen ist so bunt, dass es manchmal anstrengend ist für die Augen. Ganze Wandtapeten verstecken sich hinter Frida-Kahlo- und Paul-Klee-Gemälden. Im zweiten Stock, Raum 130, in einem breiten Matratzenlager aus fülligen Kopfkissen und halb zerstückelten Brottüten, sitzt eine kleine Gruppe Jugendlicher und beugt sich über einen ausgebreiteten Stadtplan am Boden. Einer durchforstet das Programmheft und ruft: „Boah krass, Bibelarbeit mit Armin Laschet.“ Die anderen lachen, ein paar gucken schräg.Braucht man einen Crash-Informations-Kurs Kirchentag, muss man in diese Schule gehen, in diesen Raum 130, zu den Jugendlichen des Kirchenkreises Melle in Niedersachsen.

Auf der Hinfahrt haben sie durchgesetzt, gemeinsam schlafen zu können, jetzt planen sie die nächsten Tage, in rasantem Schlagabtausch. Dabei geht es weniger um Gott als um die zahlreichen Konzerte, Podiumsdiskussionen und Workshops. Vielfältigkeit, neue Denkimpulse, durch die Stadt streifen, bekannte Gesichter wiedersehen, vor allem Zusammensein. Der Kirchentag sei progressiv und modern, sagt Jonas, ein Physikstudent. Glauben und Physik? Kein Widerspruch. Ronja, mit einer dicken Kreuzholzkette um den Hals, fasst zusammen: „Die Physiker beweisen am Ende eh, wie Gott die Welt geschaffen hat.“

Die jungen Leute vom Kirchenkreis Melle sind gewiefte Strategen. Möchte man gute Plätze auf den prominenten Großveranstaltungen, geht man in eine davor stattfindende Bibelarbeit, das steht fest. Die Gemeinschaftsunterkünfte bieten eben nicht nur Schlafplätze – sondern sind Räume zur gemeinsamen Vorbereitung, zur späteren Diskussion und zum Austausch. „Sind für den Freitag gut geplant?“ fragt einer. „So weit“, ein anderer. Dann bricht die Gruppe auf, zum Eröffnungsgottesdienst. Später, in der Nacht, ist ja auch noch Zeit zum Planen.

Und die Alten?

Wohin gehen nun aber die Erwachsenen, die für die an Klassenfahrten erinnernde Schlafatmosphäre zu alt geworden sind? Sie gehen zu denen, die das genauso sehen. Am Donnerstagmorgen, bereits um sieben Uhr, sitzen Gunter und Siglinde aus Heidenheim in Baden-Württemberg am Küchentisch von Melanie und Bernd in Bochum-­Werne.

Neben den Gemeinschaftsquartieren vermittelt der Kirchentag auch Privatquartiere, in denen Paare oder kleinere Familien untergebracht werden können. Hier ist es oft ruhiger als in den Schulen, man bleibt mehr unter sich und lernt trotzdem neue Leute kennen. Und man bekommt: bunt gemischtes Frühstück vor der Bläserbibelarbeit. Melanie hat den Arm in der Luft, den Ellenbogen angelehnt und zieht ihn abwechselnd nach unten, reckt ihn wieder hoch.

Alle machen es ihr nach und sehen aus wie Jugendliche, die an einer Autobahnbrücke stehen und Lkw-Fahrer zum Hupen auffordern. „Das ist Gebärdensprache für den Slogan des Kirchentags: Was für ein Vertrauen“, sagt Melanie. In der verwinkelten Wohnung von ihr und Bernd hängen immense Bilder ihrer Reisen an den Wänden. Eine Terrasse gibt Ausblick auf die ehemals bunten, jetzt verblichenen Mehrfamilienhäuser in der Umgebung, die von saftigen Bäumen ummantelt werden.

Melanie und Bernd haben ihren Schwager in Baden-Württemberg direkt angesprochen, ob jemand aus seiner Gemeinde eine Unterkunft sucht. „Die wurden quasi genötigt herzukommen“, scherzt Bernd. „Wir freuen uns, hier zu sein“, sagt Siglinde, schüttet einen Schluck Sprudel in den Orangensaft. Gunter wird beim Schlussgottesdienst als Musiker mitwirken. Bernd singt beim Chormusical. Sie werden sich gegenseitig unterstützen, die einen die Auftritte der anderen besuchen. „Dieses Wir“, sagt Bernd, das sei das Besondere.

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