Heuchler auf Reisen

Alle fordern jetzt endlich richtigen Klimaschutz. Bis die großen Ferien beginnen. Dann steigt Deutschland zielsicher in die dreckigsten Verkehrsmittel

Warum suchen die Menschen den Frieden in der Natur und wählen dafür die dreckigsten Verkehrsmittel? Foto: Dean Chalkley/Camera Press/laif

Von Bernhard Pötter

Blitzumfrage in der taz: Wie und wohin fahren die KollegInnen in den Sommerurlaub? Etwa 50 Rückmeldungen ergeben: 18-mal Deutschland, 35-mal europäisches Ausland, einmal USA/Kanada. Und wie? 19-mal mit dem Auto, 12-mal mit dem Flugzeug, 10-mal mit der Bahn. Ein paarmal Fähre und Fahrrad. Und einmal: „Pferdewagen“.

Bis auf den 2-PSer liegen die tazlerInnen damit voll im Trend. Wenn in diesen Tagen die großen Ferien beginnen, steht ein weiterer Rekordsommer bevor, was die deutsche Reiselust angeht: 71 Prozent aller befragten Deutschen erklärten bereits im Januar, sie würden eine Urlaubsreise planen. 2018 machten in Deutschland „55 Millionen Menschen Urlaubsreisen, so viele wie noch nie“, verkündet die „Reiseanalyse 2019“, eine repräsentative Umfrage der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUS), die von den Tourismusunternehmen finanziert wird. Und obwohl der Sommer 2018 auch einen Rekord an Hitze und Dürre brachte und mit den Schülerdemos von Fridays For Future plötzlich alle zu Klimaschützern werden, wird spätestens beim Kofferpacken klar: Die lauten Rufe nach einer besseren Umwelt- und Klimapolitik werden im Alltag zurückgelassen wie ein vernachlässigtes Haustier.

Denn wenn es um den Urlaub geht, suchen sich die Deutschen mit sicherem Instinkt die umweltschädlichsten Fahrzeuge dafür aus: 86 Prozent aller Urlaubsfahrten werden mit dem eigenen Auto oder dem Flugzeug zurückgelegt, zeigt die „Reiseanalyse“, die jedes Jahr vom Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) erhoben wird. Fazit: Während der Anteil des Autos leicht schrumpft, gewinnen die besonders klimaschädlichen Flüge weiter hinzu: Für 41 Prozent aller Reisen und 56 Prozent der Fernreisen klettern die Deutschen in die billigen und sehr billigen Flugzeuge. „Die Leute fliegen wie verrückt“, heißt es in der Branche.

Knapp 100 Milliarden Euro geben die Deutschen pro Jahr fürs Reisen aus, etwa 1.000 Euro pro Kopf für Touren ab fünf Tagen. Für die durchschnittlich 13 Reisetage ist das Lieblingsziel: Deutschland. Mecklenburg-Vorpommern führt vor Bayern und Schleswig-Holstein. Wer ins Ausland fährt, immerhin 51 Millionen Menschen, landet am häufigsten in Spanien, Italien oder Griechenland. Als Fernziele sind Nordamerika und Südostasien am begehrtesten.

Das „Forum anders reisen“ ist ein Zusammenschluss von Reiseveranstaltern, die möglichst nachhaltigen Tourismus organisieren. Ihre Ideen für einen Urlaub mit gutem Gewissen: Segeln auf dem Ijsselmeer in Holland, Anreise mit dem Zug; Wandern im Wattenmeer oder in Südtirol, Städtetour in der Fahrradmetropole Kopenhagen. Für die Fernreise schlägt Geschäftsführerin Beate Thomas jeweils Touren von zwei bis drei Wochen vor: Wandern auf dem „ersten klimafreundlichen Trekkingpfad“ in Nepal, wo ein Tal mit erneuerbaren Energien ausgestattet wurde. Oder: Mit lokalen Guides durch die Nationalparks von Costa Rica. Die CO2-Emissionen dieser Touren würden kompensiert.

Hat die Klimadiskussion einen Einfluss auf das Reiseverhalten? Bleiben aus „Flugscham“ die Urlaubsflieger leer? Bisher können das die Experten nicht erkennen. NIT-Expertin Bente Grimm hat keine Daten dazu, denn die Umfrage zur „Reiseanalyse“ wurden im Januar gemacht, als es mit Fridays for Future erst losging. Auch sonst sieht niemand in der Branche den FFF-Knick. „Aber viele Leute geben an, sie suchten Urlaub in der Natur und die Nachhaltigkeit sei ihnen wichtig“, so Grimm. Konkret heißt das allerdings: Auch mit dem Auto durch den Wald zu fahren, ist für viele ein „Naturerlebnis“. Und nachhaltiger Urlaub ist ganz nett. Aber nur, wenn das nicht das sonstige Angebot stört und nicht deutlich mehr kostet.

Warum suchen die Menschen den Frieden in der Natur und wählen dafür die dreckigsten Verkehrsmittel? Für Gerd Lottsiepen vom ökologischen Verkehrsclub VCD ist teilweise die Politik schuld, die falsche Preisanreize gibt: „Autofahren wird über den billigen Diesel oder das Dienstwagenprivileg gefördert, internationale Flüge sind von Mehrwert- und Kerosinsteuer befreit“, regt sich Lottsiepen auf. „Die Bahn dagegen schlägt bei Fernfahrten die volle Mehrwertsteuer auf ihre Tickets; zumindest das will der Verkehrsminister nun ändern.“ Es fehle aber auch an Bewusstsein, so Lottsiepen: „Viele Leute wissen nicht, dass Kinder in der Bahn umsonst fahren.“

Auch Grimm, die sagt, sie habe ewig keine Fernreise mehr gemacht, gibt die Schuld dem Mangel an Information: „Die meisten Leute wissen nicht, welchen ökologischen Schaden sie mit dem Fliegen anrichten.“ So würden Leute eine Fernreise buchen, dort dann aber auf vegetarische Ernährung achten und Bus oder Bahn benutzen, auf Plastikstrohhalme verzichten und sich als Ökos fühlen.

Die Rufe nach einer besseren Klimapolitik werden im Alltag zurück­gelassen wie ein vernachlässigtes Haustier Foto: Keystone Schweiz/laif

Dabei sprechen die Daten für sich und gegen das Abheben: Eine Studie errechnete jüngst, dass allein durch Tourismus 8 Prozent der globalen Treib­haus­gase ausgestoßen werden, so viel wie in Deutschland und Indien zusammen. Ein Hin- und Rückflug nach Vietnam etwa verursacht laut dem Emissionsrechner des Organisation atmosfair pro Kopf 5,2 Tonnen Treibhausgase – fast das Dreifache dessen, was jedem Erdbewohner pro Jahr zusteht, wenn die Erderwärmung bei 2 Grad gestoppt werden soll.

Weil das Bewusstsein dafür fehlt, wie sehr Fliegen das Klima schädigt, werden die CO2-Schulden der Reise auch nur selten ausgeglichen: Nur 2 Prozent aller Emissionen durch Flugreisen werden über Anbieter wie atmosfair oder myclimate durch Investitionen in den Klimaschutz ausgeglichen, heißt es in der „Reiseanalyse“. Auch wenn diese Anbieter nach dem letzten Hitzesommer ihren Umsatz um 30 bis 45 Prozent steigerten – die Summe bleibt klein. Und selbst bei den angeblich bewusst reisenden KundInnen des „Forums anders reisen“ ist der nachträgliche Ausgleich der eigenen Klimaschuld die Ausnahme.

Ohnehin sind die gebildeten und informierten Weltbürger eher ein Teil des Problems als der Lösung. Denn Umweltdreck im Urlaub ist eindeutig eine Sache des Geldbeutels. „Klimasünder sind vor allem die Besserverdiener“, liest Grimm aus ihren Daten ab. Die Öko-Safari in Kenia, der Kulturtrip nach China und der Besuch bei Freunden am Mittelmeer, gern auch alles in einem Jahr – das kann sich nur die weltbürgerliche Klientel leisten, die gut ausgebildet ist und gut verdient: das Milieu, in dem sich viele WählerInnen der Grünen tummeln. Und viele Leser*innen der taz.