Waldbrand in Mecklenburg-Vorpommern: Was tun, wenn’s brennt?

Noch immer ist der Waldbrand auf dem früheren Truppenübungsplatz nicht unter Kontrolle. Bei den Evakuierten wächst die Sorge um ihre Häuser.

Feuerwehrleute löschen in der Nähe der evakuierten Ortschaft Alt Jabel einen großflächigen Waldbrand.

Die Feuerwehren versuchen ein Überspringen des Feuers zu verhindern Foto: dpa

LÜBTHEEN/VIELANK/TEWSWOOS/ALT JABEL taz | Andreas Stehr sitzt gerade vor dem Fernseher, als draußen in Alt Jabel die Sirene ertönt, drei Mal: Feueralarm. Er geht auf die Straße, schaut sich um, die Nachbarn sind auch aus ihren Häusern gekommen. „Da hat man schon gesehen, dass etwas durch die Wälder zieht“, sagt er. Und auch gerochen – beißend, unangenehm. Auch jetzt liegt der süßliche Qualm in der Luft. Es ist Montagabend, 21 Uhr, der Anwohner Andreas Stehr sitzt in Jeans und Poloshirt vor einer Sporthalle in Tewswoos bei Vielan in Mecklenburg-Vorpommern. Seit gut 24 Stunden ist er hier. „Langsam würde man gern mal duschen“, sagt er.

Über 2.000 Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr und des Technischen Hilfswerks sind im Einsatz, um seit Sonntag den größten Brand in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns zu bekämpfen. Hubschrauber fliegen im Minu­ten­takt über den Wald und werfen Wasser ab, Landwirt*innen und Anwohner*innen sind mit ihren Güllewagen gekommen und saugen Wasser aus kleinen Kanälen, um es zur Feuerwehr an den Waldrand zu bringen. Wer Zeit hat, hilft – es geht schließlich auch um die eigene Existenz.

Auch Räumpanzer und Wasserwerfer sind im Wald unterwegs. Bagger fällen Bäume, um Brandschneisen in das Gehölz zu schlagen. Es kracht und knallt, wenn Bäume fallen und Munition explodiert. Denn genau das ist das Problem an dem Brand: Weil tonnenweise Munitionsreste aus dem Zweiten Weltkrieg, von der Sowjetarmee, der NVA und der Bundeswehr im Boden liegen, kommen die Rettungskräfte nicht an das Gebiet heran.

Sie müssen einen Sicherheitsabstand von 1.000 Metern zu den Flammen halten. Deshalb schlagen sie die Schneisen in den Wald und versuchen, sie nass zu halten, damit das Feuer nicht überspringen kann. Die Bäume dahinter lassen sie abbrennen, sie sind nicht zu retten. 470 Hektar standen am Montag in Flammen. Am Dienstag sind es schon über 600. Weil es mindestens drei Brandherde gibt, steht der Verdacht auf Brandstiftung im Raum. Die Kriminalpolizei Schwerin ermittelt.

Landkarte des Brandgebiets

„Vielleicht ist der Katastrophenfall ein bisschen zu spät ausgerufen worden“, sagt Christel Drewes vorsichtig. Die parteilose Bürgermeisterin der Gemeinde Vielank steht vor der Sporthalle in Tewswoos. Gerade hat sie zwei Rollen Klopapier aus dem Kofferraum ihres Autos geholt und in die Turnhalle gebracht. Seit sechs Uhr morgens ist sie unterwegs, um die Rettungskräfte zu besuchen, die bei der Versorgung der Evakuierten helfen. Den Katastrophenfall ausgerufen zu haben bedeutet für den Landkreis Ludwigslust-Parchim, schnell und unkompliziert bundesweite Unterstützung zu bekommen. Mecklenburg-Vorpommern allein wäre überfordert mit dem Brand – zumal das Militärgelände ohnehin dem Bund gehört.

Bewohner werden evakuiert

Als Landrat Stefan Sternberg am Sonntagabend um 18.49 Uhr den Katastrophenfall ausruft, bekommt Andreas Stehr davon zunächst nichts mit. Im Radio sei zwar was vom Brand gesagt worden, aber Brände in der Region, das sei nicht unüblich. Als aber sein Nachbar von schräg gegenüber gegen 19 Uhr anfängt, Taschen ins Auto zu laden, wird Stehr stutzig. An eine Evakuierung hatte er bis dahin nicht gedacht, obwohl der Rauch auf den Straßen sich zunehmend verdichtet. Nach der „Tagesschau“ klingelt die Polizei dann plötzlich Sturm, „sofort mitkommen“, heißt es. „Schlüssel, Portemonnaie, mehr nimmt man nicht mit in so einer Situation“, sagt Stehr. Er reibt sich die Arme, langsam wird es kühl. Eine wärmere Jacke wäre nicht schlecht gewesen.

Mit 20 Menschen wird Stehr heute Abend zum zweiten Mal in der Sporthalle übernachten, jedenfalls theoretisch, denn letzte Nacht hat hier keiner geschlafen. Bei voller Beleuchtung hätten sie zusammen gesessen, sagt er, und geredet. Über den Brand, über das Wetter, und wie das hier alles werden soll. Obwohl sich alle kennen, weil in Alt Jabel nur 150 Menschen wohnen, sei es doch eine Hemmschwelle, mit so vielen Menschen in einem Raum auf Feldbetten zu schlafen. Außerdem haben viele Angst um ihr Hab und Gut.

Christel Drewes, Bürgermeisterin in Vielank

„Vielleicht ist der Katastrophen-fall ein bisschen zu spät ausgerufen worden“

Als Landrat Sternberg am Dienstagmorgen vor die Presse tritt, ist die Stimmung angespannt. Zwar habe man alles unter Kontrolle, die Unterstützung sei riesig, sagt er. Aber mit dem Löschen habe man noch nicht beginnen können. Der Einsatzstab aus Bundeswehroffizieren und Fachexperten koordiniere das Handeln der Rettungskräfte in Etappen.

Das bedeutet erstens: die Dörfer sichern.

Zweitens: den Brand sichern, damit er sich nicht unkontrolliert ausbreitet.

Drittens: löschen. Mit Letzterem wird die Feuerwehr wohl erst am Mittwoch beginnen können. Allerdings seien dies alles Planungen unter Vorbehalt, denn man wisse nie, wie der Wind dreht. Nach der Pressekonferenz um 11.20 Uhr fängt es an zu nieseln. „Da muss man sich keine Illusionen machen“, sagt Sternberg. „Die paar Tropfen bringen nichts.“ Der Wald besteht fast nur aus Kiefern, die brennen wie Zunder.

Verdacht auf Brandstiftung

Am Nachmittag tritt Sternburg erneut vor die Presse. Der Verdacht auf Brandstiftung hat sich erhärtet. Mehr Details dazu gibt er nicht bekannt. Über den Täter möchte hier niemand spekulieren. Dem Polizeieinsatzleiter Klaus Wiechmann sind keine ähnlichen Fälle bekannt. Zwar hatte der Wald auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz schon im vergangenen August vier Tage lang gebrannt. „Aber mit Brandstiftung hatte das damals nichts zu tun“, sagt Wiechmann, die Ermittlungen laufen.

Vor der Turnhalle in Tewswoos überlegt Andreas Stehr, wie viel der Brand mit dem Klimawandel zu tun hat. „Wenn es Brandstiftung ist, wohl nicht so viel“, sagt er. Allerdings hat der Juni Hitzerekorde gebrochen, vor allem in Ostdeutschland. Der sandige Boden ist knochentrocken, überall stehen feine Staubwolken in der Luft. „Greta Thunberg würde wahrscheinlich sagen, dass es einen Zusammenhang gibt“, sagt Stehr.

Als ein Fahrzeug vor der Turnhalle hält, steigen Stehr und einige Anwohner ein. In Polizeibegleitung dürfen sie für eine Stunde nach Hause, die Tiere füttern oder die Blumen gießen, denn irgendwie muss es ja weitergehen.

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