Gutachten des Sachverständigenrates: Superministerium für die Umwelt

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert die Regierung auf, Nachhaltigkeit endlich ernst zu nehmen. Also: mehr Geld und mehr Macht.

Svenja Schulze gestikuliert

Soll mit deutlich mehr Macht ausgestattet werden: Bundesumweltministerin Svenja Schulze Foto: dpa

BERLIN taz | Bundesumweltministerin Svenja Schulze wird sich am Donnerstagmittag in ihrer Lieblingsdisziplin üben: freudig über das ganze Gesicht strahlen. Denn wenn dann die ExpertInnen vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung ihr aktuelles Gutachten an die SPD-Politikerin übergeben, drängen sie die gesamte Regierung, Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik endlich ernst zu nehmen. Und sie fordern, das zuständige Ministerium mit deutlich mehr Macht auszustatten.

Die sieben Öko-Weisen empfehlen nicht nur, dringend CO2 zu bepreisen oder mehr Geld für Öko-Forschung auszugeben – sondern auch ein ökologisches Veto-Recht gegen alle Gesetze und indirekt nichts anderes als ein Umwelt-„Super-Ministerium“.

Am Beginn des Gutachtens steht eine niederschmetternde Analyse: „Ein Großteil aller Umweltziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie werden voraussichtlich verfehlt“, heißt es dort. Ein Schaubild verdeutlicht, was ExpertInnen schon lange realisieren: Während die ökonomischen und sozialen Indikatoren für die Arbeit der Bundesregierung ganz gut aussehen, landet Deutschland etwa beim Energieverbrauch, dem Flächenfraß oder der Belastung von Gewässern mit Phosphat oder Nitrat weit hinter den eigenen Zielen. Auf anderen Gebieten wie Klimaschutz, Fischerei oder Schadstoffen ist die Bilanz kaum besser.

Dazu kommt, dass die anderen Ministerien den Part der Öko-Nervensäge gern der Umweltministerin überlassen – statt dass sie ihre eigenen Beiträge zu den Nachhaltigkeitszielen leisten. Der Rat formuliert es diplomatisch: Öko-Belange „sollten in allen umweltrelevanten Politikfeldern berücksichtigt werden“, leider sei „die politische Praxis weiterhin vom Ressortdenken geprägt“.

Handeln ist geboten

18 Monate haben die ExpertInnen aus den Fachgebieten Gesundheit, Naturschutz, Recht, Energie, Klima, Gebäudetechnologie und Abfallwirtschaft an ihrem Gutachten gearbeitet, das den Titel „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – zur Legitimation von Umweltpolitik“ trägt.

„Es kommt jetzt genau zur richtigen Zeit“, sagt die Ratsvorsitzende Claudia Hornberg, Professorin für Umwelt und Gesundheit an der Universität Bielefeld: Auf den Straßen demonstriert die Jugend für ihre Zukunft, die Regierung ringt um eine Klimaschutzgesetz und einen Preis für das Treibhausgas CO2 – und die CDU-Ressorts für Verkehr, Wirtschaft, Gebäude und Landwirtschaft beschweren sich darüber, das Umweltministerium greife zu tief in ihre Kompetenzen ein.

Genau das müsse es aber in Zukunft noch deutlich öfter tun, fordern die Sachverständigen in ihrem Gutachten. Die Regierung müsse handeln, weil es „notwendig und rechtlich geboten sei“, sagt Christian Callies, Professor für öffentliches Recht in Berlin. Einerseits rutsche die Menschheit gerade in ein Zeitalter, in dem der Mensch das Schicksal des Planeten bestimme – man könne von einem „Verwüstungs-Anthropozän“ sprechen.

Andererseits lasse sich aus dem Staatsziel Umweltschutz und der Garantie der Menschenwürde ein „ökologisches Existenzminimum“ ableiten. Und dieses bilde eine „starke Legitimationsgrundlage“ – auf jeden Fall für politisches Handeln, aber im Zweifel auch für juristische Klagen.

Ein neuer Rat für Generationengerechtigkeit

Mit ihren Empfehlungen wollen die Sachverständigen all denjenigen Mut machen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen – und deren Argumente allzu oft hinter den Begründungen für mehr Wirtschaftswachstum oder Arbeitsplätze verschwinden: „Umweltpolitik kann auf starke naturwissenschaftliche, rechtliche, gesellschaftliche und ökonomische Legitimationsgrundlagen zurückgreifen“, schreiben sie.

Konkret schlagen die Mitglieder Maßnahmen vor, die tief in die momentane Politikstruktur eingreifen würden

Der Beirat betont, er berate „die gesamte Bundesregierung, nicht ein Ministerium“. Konkret schlagen seine Mitglieder dann allerdings Maßnahmen vor, die tief in die momentane Politikstruktur eingreifen und das Umweltministerium stark aufwerten würden: Den Ressorts mit „großen Auswirkungen auf die Umwelt“ (also etwa Verkehr, Landwirtschaft, Wirtschaft, Bauen) müsse eine „stärkere Verantwortung zugeschrieben werden“, so die ExpertInnen. Die für Nachhaltigkeit zuständigen KoordinatorInnen in diesen Häusern sollten mit einem Veto Gesetzesvorhaben des eigenen Ressort aufschieben können.

Neu gegründet werden müsse ein „Rat für Generationengerechtigkeit“. Mit ihm sollen auch qualifizierte BürgerInnen das Recht bekommen, Gesetze für drei Monate zur Debatte auf Eis zu legen. Berufen werden sollten die Mitglieder des Gremiums von Bundesrat und Bundestag für eine Dauer von 12 Jahren.

Die Vorschläge – die den ExpertInnen etwas optimistisch als „unter den aktuellen Rahmenbedingungen kurz- bis mittelfristig realisierbar erscheinen“ – gehen noch weiter: Das Umweltministerium soll nach ihrem Willen das Recht haben, auch für andere Ressorts Gesetzesentwürfe vorzulegen und ökokritische Pläne der anderen Häuser mit einem Widerspruchsrecht einfrieren zu können. So etwas kann bisher nur das Bundesfinanzministerium.

Appell für mehr Demokratie

Schließlich sollten Ministerien und Kanzleramt offen darlegen, welche Kontakte zu Lobbygruppen sie unterhalten. Außerdem sollte der existierende, aber kaum bekannte „parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung“ aufgewertet werden, beispielsweise indem die Regierung verpflichtet wird, auf die Anfragen der ParlamentarierInnen zu antworten.

Seine Vorschläge versteht der Rat nicht nur als Beitrag für mehr Umweltschutz, sondern auch als Appell für mehr Demokratie. Schließlich verspreche der Staat seinen BürgerInnen Schutz – auch vor Ökokatastrophen: „Nur wenn die ökologische Krise durch eine Politik der ökologischen Nachhaltigkeit verhindert wird, können Freiheitsrechte, rechtsstaatliche Verfahren und demokratische Entscheidungsprozesse langfristig gewährleistet bleiben. Eine solche Politik ist Lebensvoraussetzungsschutz und damit Legitimationsgrundlage des Staates schlechthin“, ­schreiben die AutorInnen.

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