Angstraum versus Wüste

In Neukölln streiten sich Bezirk und renitente Anwohner über die Umgestaltung des Weigandufers. Die Zeichen, dass der Bezirk einlenkt, stehen schlecht

„Da ist jetzt alles tot, keine Vögel mehr, nichts“

Katrin Sonntag, Anwohnerin

Von Susanne Memarnia

In Norden Neuköllns, wo die Gentrifizierung am schnellsten voranschreitet, findet seit einigen Monaten ein zähes Ringen zwischen Bezirk und einigen aufmüpfigen BürgerInnen statt. Thema: die Umgestaltung des Wei­gandufers. Auf den ersten Blick geht es um nicht viel mehr als einige Dutzend Meter verwilderte ­Büsche. Doch dahinter stecken grundsätzliche Fragen.

Der Bezirk sagt, der Fußweg am Weigandufer, der direkt neben dem Neuköllner Schifffahrtskanal verläuft und durch einen breiten, in Jahrzehnten zugewachsenen Grünstreifen aus Büschen und Bäumen von der Straße getrennt ist, müsse saniert werden. Der Weg sei vermüllt, ein „Angstraum“ für viele BürgerInnen. Zudem soll er barrierefrei werden.

Gegen die Sanierungspläne, vor allem die damit verbundene Komplettrodung des Grünstreifens, laufen AnwohnerInnen seit Monaten Sturm. Die Rodung sei überflüssig, meinen sie, man könne das Grün auch behutsam zurückschneiden. Diskutiert wird das Thema vor allem im „Beteiligungsgremium“, einem Diskussionsforum, über das sich AnwohnerInnen in Vorhaben im Sanierungsgebiet Sonnenallee/Karl-Marx-Straße einbringen können.

Was die Pläne konkret bedeuten, ist östlich der Wildenbruchbrücke bereits zu sehen. Nachdem in dem kleinen Park dort bereits im vorigen Jahr nicht nur Wege erneuert wurden, sondern auch zahlreiche Büsche und Unterholz entfernt (manche Kritiker argwöhnen, dies diene vornehmlich der Vertreibung von Roma, die dort immer wieder nächtigten), war in diesem Frühjahr der Uferweg an der Reihe. Der üppig wuchernde Grünstreifen zwischen Fußweg am Ufer und Straße wurde komplett gerodet, der Weg asphaltiert bis auf Pflanzstreifen, die nach Abschluss der Arbeiten erneut begrünt werden sollen.

AnwohnerInnen sind entsetzt. „Da ist jetzt alles tot, keine Vögel mehr, nichts. Ich mag da gar nicht mehr mit meinem Hund spazieren gehen“, sagt etwa Katrin Sonntag. Für sie und einige andere AnwohnerInnen geht es jetzt darum, zu verhindern, dass westlich der Brücke, in Richtung Weichselplatz, dasselbe passiert.

Doch die Zeichen dafür stehen schlecht. Zwar zeigt sich der Sprecher des Bezirksbürgermeisters Martin Hikel (SPD) auf taz-Anfrage zunächst einsichtig. „Wir nehmen die Bedenken der AnwohnerInnen durchaus ernst“, sagt er. Daher werde man die ursprünglichen Pläne nachbessern und mehr neu pflanzen als ursprünglich vorgesehen. Doch zunächst müsse der Grünstreifen gerodet werden, um den Weg behindertengerecht zu gestalten.

Andreas Knopp, der ebenfalls am Weigandufer lebt, überzeugt das alles nicht. Der Chemiker hat im Frühjahr eine Umfrage unter rund 100 AnwohnerInnen gemacht. „Ergebnis war, dass nur ganz wenige den Weg als Angstraum empfinden. Und nur einer war für die komplette Rodung“, erzählt er. Auch das Beteiligungsverfahren sei ein Witz, findet er: „Nur ganz weniger AnwohnerInnen waren darüber informiert“, sei bei seiner Befragung herausgekommen.

So bleiben viele Fragen weiter offen. Am Montag will sich Bürgermeister Martin Hikel den AnwohnerInnen stellen, wenn das Beteiligungsgremium wieder tagt (19 Uhr, Rathaus, Raum A104).