Grüne und Bundeswehr: „Herr Oberleutnant? Özdemir reicht“

Ex-Parteichef Cem Özdemir hat ein Praktikum bei der Bundeswehr absolviert. Ein Gespräch über Bürger in Uniform und Krieg als Mittel der Politik.

Cem Özdemir und ein anderer in Bundeswehr-Uniform

Sitzen die Baretts gut? Oder doch eher wie Badekappen? Man weiß es nicht Foto: Tobias Lindner privat/dpa

taz: Herr Özdemir, haben Sie eigentlich gedient?

Cem Özdemir: Nein. Meine Eltern sind türkische Gastarbeiter, ich habe erst mit 18 den deutschen Pass bekommen. Einen Einzugsbescheid hatte ich dann aber nie im Briefkasten.

Glück gehabt.

Wie man’s nimmt. Dass ich den deutschen Pass haben wollte, hatte zwei Gründe. Ich war damals schon bei den Grünen aktiv und wollte in dem Land wählen, in dem ich mich politisch engagiere. Und das wehrpflichtige Alter in der Türkei rückte näher. Dort zur Armee zu gehen war für mich angesichts der Menschenrechtsverletzungen und politischen Unruhen unvorstellbar.

Sie haben fünf Tage ein Praktikum am Bundeswehrstandort Munster absolviert. Ernennung zum Oberleutnant, Gelöbnis und Strammstehen inklusive. Warum?

Als Parlamentarier entscheide ich über Mandate für Bundeswehreinsätze. Es geht um Existenzielles, um Leben und Tod. Das ist eine enorme Verantwortung. Da fand ich es gut, mir selbst einen tieferen Einblick in die Arbeit der Truppe zu verschaffen.

Cem Özdemir, 53, ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Parlament. Er war von November 2008 bis Januar 2018 Bundesvorsitzender seiner Partei – und ist bis heute einer der prominentesten Grünen. Özdemir äußert sich regelmäßig zur Außen- und Verteidigungspolitik, einer seiner Schwerpunkte ist die Türkei. Er hat in seiner Karriere stets versucht, auf Gruppen zuzugehen, mit denen die Grünen traditionell fremdeln. So war er einer der ersten Grünen, die gezielt Kontakte mit Wirtschaftsverbänden knüpften. Gedient hat er allerdings nicht.

Müssen wir Sie jetzt mit „Herr Oberleutnant“ ansprechen?

Keine Sorge, der Dienstgrad wurde mir am Ende der Wehrwoche wieder entzogen. Özdemir reicht.

Was haben Sie bei der Bundeswehr gelernt?

Wir haben viel diskutiert, es gab Seminare und Vorträge. Alles sehr diszipliniert mit penibel festgelegten Redezeiten. Ein Thema war zum Beispiel das Spannungsverhältnis zwischen Befehl und Gehorsam, das für Soldatinnen und Soldaten existiert. Sie sind Bürger in Uniform und dienen in der Parlamentsarmee eines demokratischen Rechtsstaats. Wir haben im Zweiten Weltkrieg bitter erleben müssen, welche furchtbaren Folgen blinder Gehorsam haben kann. Es ist daher fundamental wichtig, dass Soldatinnen und Soldaten Befehle nicht befolgen müssen, wenn sie zum Beispiel dem Artikel 1 des Grundgesetzes widersprechen.

Mussten Sie auch mal durch Schlamm robben?

Da muss ich Sie enttäuschen, es blieb trocken. Aber es gab einen praktischen Teil. Orientierungslauf mit Marschgepäck, über mehrere Kilometer. Wir haben Panzer von innen gesehen, einen Marder, einen Puma und einen Leopard II. Und auch Waffen wie das Sturmgewehr G36 oder ein Maschinengewehr in den Händen gehalten.

Aber selbst abdrücken durften Sie nicht?

Doch. Aber deshalb bin ich sicher nicht hin, ich wollte nur keine Sonderbehandlung. Davor musste ich erst mal viel lernen. Das Anleitungsbuch mit den Vorschriften zum Waffengebrauch ist dicker als mancher Literaturklassiker. Viel Theorie also – aus guten Gründen.

Ein Foto zeigt Sie und Ihren Bundestagskollegen Tobias Lindner in Tarnuniform. Ein FDPler hat gelästert, Herr Lindner hätte sich das Barett „übergezogen wie ’ne Bademütze“. Mussten Sie noch üben?

Ein Barett ist kein Zylinder. Erst wenn es einmal nass war und getrocknet ist, hat es eine gute Passform. Aber im Ernst: Tobias und ich wollten ja keinen Schönheitspreis gewinnen, sondern möglichst viel lernen und ins Gespräch mit den Bundeswehrangehörigen kommen.

Was haben die SoldatInnen Ihnen mit auf den Weg gegeben?

Manche wunderten sich, dass da ein Grüner kommt. Sie haben aber schnell gemerkt, dass ich mich nicht an Panzer ketten, sondern einfach etwas lernen möchte. Interessant fand ich, wie viele Soldatinnen und Soldaten sich als Sympathisanten von uns Grünen ge­outet haben. Die sagten: Danke, dass Sie da sind. Dass Sie uns nicht alleine lassen. Sie wollen Wertschätzung für den Dienst, den sie für unser Land und die Gesellschaft leisten.

Was haben Sie den Soldatinnen und Soldaten gesagt?

Ich habe von meinem Selbstverständnis als Parlamentarier erzählt. Dass ich es als meine Aufgabe sehe, unsere liberale Demokratie mit dem Wort zu verteidigen. Dass wir Einsätze sehr ernsthaft diskutieren, dass uns die Entscheidungen irre schwerfallen. Außerdem habe ich mehrmals angesprochen, dass Rechtsextreme versuchen, die Bundeswehr zu infiltrieren. Wir stehen ja vor der gewaltigen Herausforderung, dass Rechtsextreme die Nähe zur Armee suchen. Gegen diese Tendenz muss der Rechtsstaat hart vorgehen. Er darf nicht seine Feinde lehren, wie sie Waffen benutzen.

Gab es da nur Applaus? Oder sahen das manche anders?

Ich habe keine Gesinnungsprüfung gemacht. Eins ist mir wichtig: Die Bundeswehr ist als Armee gegründet worden, die mitten in der Gesellschaft steht und sich der Demokratie verpflichtet fühlt. Niemand, der in ihr dient, darf an die unselige Tradition der Wehrmacht anknüpfen, die in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war. Das geht uns alle an. Daher muss sich auch der zivile Teil der Gesellschaft für die Bundeswehr interessieren. Die Bundeswehr wiederum muss Abbild dieser Gesellschaft sein. Sie sollte diverser sein, mit einem höheren Frauenanteil und LSBTI.

Die Bundeswehr schreibt in einem Bericht über den Lehrgang, dass sie die Teilnehmer als „Multiplikatoren“ gewinnen will. Sind Sie ein Multiplikator geworden?

Na ja, wir führen ja gerade ein Interview über die Bundeswehr. Insofern kann man sagen: Mission erfüllt. Aber das heißt ja nicht, dass ich jetzt unkritische Jubelbotschaften verbreite. Ich halte es da wie Goethe: Man sieht nur, was man weiß.

Ein Multiplikator der Bundeswehr ist jemand, der Werbung macht. Ist das für einen Grünen-Politiker angemessen?

Ich werbe nicht für die Interessen der Organisation. Ich werbe dafür, dass wir Soldatinnen und Soldaten, die wir in Einsätze schicken, angemessen ausstatten und uns gewissenhaft mit den Einsätzen auseinandersetzen.

Ist Krieg für Sie ein legitimes Mittel der Politik?

Es gibt Situationen, in denen man Gewalt als Ultima Ratio anwenden muss, um schlimmere Gewalt zu verhindern. Davon bin ich überzeugt.

Ein Einschnitt in der Geschichte der Grünen war die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg vor genau zwanzig Jahren. Viele Völkerrechtler bezeichneten ihn als völkerrechtswidrig. Joschka Fischer hat ihn auf ­einem Parteitag mit seinem berühmten ­Auschwitz-Vergleich gerechtfertigt. Eine ungeheuerliche Anmaßung – oder richtig?

Ich gehöre nicht zu denen, die den Vergleich mit dem Nationalsozialismus bei jeder Gelegenheit bemühen. Das nutzt sich ab. Aber ich war schon vor Fischers Parteitagsrede der Meinung, dass es diese Ultima Ratio geben muss. Es gab Bilder vom Völkermord in Bosnien, wo eine entfesselte Soldateska schreckliche Kriegsverbrechen begangen hat. Wir haben jahrelang zugeschaut und uns dadurch mitschuldig gemacht.

In den zwanzig Jahren seit Kosovo sind aber auch viele Interventionen gescheitert. Was sind für Sie Kriterien, die einen Einsatz rechtfertigen?

Es gibt Einsätze, da muss man bilanzieren, dass die Ziele nicht erreicht wurden. Trotzdem waren sie richtig. Das wäre für mich Afghanistan. Dann gibt es andere Fälle wie den Irakkrieg. Saddam Hussein war ein schlimmer Verbrecher, trotzdem waren die Gründe für den Krieg erlogen. Es war richtig, dass Fischer und Rot-Grün Nein gesagt haben. Aber es gab andere Fälle, wo man im Nachhinein sagen muss, dass man falsch lag.

Zum Beispiel?

Syrien. Wir Grüne diskutieren zu Recht über die Frage, welchen Preis es hat einzugreifen. Im Fall von Syrien sieht man aber, dass auch das Nichteingreifen einen Preis hat. Ganz am Anfang, als es Baschar al-Assad mit Protestierenden zu tun hatte, die nur wollten, dass sich das Regime öffnet – vielleicht hätte damals eine ernst gemeinte Drohung an ihn bewirkt, dass die Geschichte anders verlaufen wäre. Vielleicht hätten nicht Millionen Menschen sterben oder flüchten müssen.

Wer bellt, muss im Zweifel aber auch beißen.

Klar. Aber wir führen die Debatte nicht ehrlich miteinander. Die Welt verändert sich: Selbst wenn Trump die nächste Wahl verliert und eine Demokratin oder ein Demokrat gewinnt, werden wir in einer Welt leben, in der sich die Amerikaner nicht mehr für alles Mögliche verantwortlich fühlen. Schon die Frage, was in Nordafrika passiert, ob sich dort Länder destabilisieren, ob sich Islamisten einnisten oder Autokraten regieren, wird in den USA nur wenige interessieren. Aber uns muss es interessieren.

Die Bundesregierung hat den Nato-Staaten versprochen, in Zukunft zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ins Militär zu stecken. Sie sind dagegen?

Das Zwei-Prozent-Ziel finden sogar viele Soldatinnen und Soldaten falsch. Die sagen: Löst doch erst mal die naheliegenden Probleme. Guckt doch, dass die Ausrüstung repariert wird, dass wir die Ersatzteile bekommen. Schaut, dass die Dinge fortlaufend gepflegt werden. Das Problem der Bundeswehr ist nicht primär Geld, sondern dass das Verteidigungsministerium überfordert damit ist, mit dem Geld vernünftig umzu­gehen. Effektiver als dieses abstrakte Ziel wäre es, wenn nicht jede Armee bei der Ausrüstung ihr eigenes Süppchen kochen würde. Verteidigungspolitik sollte keine Industriepolitik sein. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem europaweit einheitlichen Panzer?

CDU und CSU wollen vom Zwei-Prozent-Ziel aber nicht abrücken. Falls Sie demnächst in Koalitionsverhandlungen mit der Union sitzen …

Abwarten. So weit sind wir noch nicht.

… wäre das Nato-Ziel dann für Sie eine rote Linie?

In den Jamaika-Verhandlungen habe ich das mit einer harten roten Linie markiert, und meine Position hat sich seitdem nicht geändert. Ich halte nichts von einem abstrakten Ausgabenziel. Es widerspricht jeder modernen Definition von Verteidigung, diese Frage ausschließlich am Verteidigungsressort festzumachen. Auch Entwicklungszusammenarbeit und auswärtige Kulturpolitik gehören dazu. Ein Goethe-Institut errichten, Menschen nicht jeden Tag zwölf Stunden auf Wasser warten lassen, Frauen den Zugang zu Verhütung, Bildung, Geld und Macht zu ermöglichen – das ist Präventionspolitik.

Sie können noch so viele Goethe-Institute eröffnen – wenn die Bundeswehr weiterhin so viele Aufträge stemmen soll wie bisher, braucht sie irgendwann neue Geräte. Und die kosten eben Geld.

Wenn Sie mir vorrechnen, dass Sie für eine bestimmte Aktivität eine bestimmte Summe Geld effektiv einsetzen können, dann werde ich das nicht blockieren.

Aber?

Aber wenn Sie mir das nicht sagen können, macht es keinen Sinn, Geld mit der Gießkanne zu verteilen. Da bin ich ganz Schwabe. Frau von der Leyen hat bewiesen, dass sie nicht mal mit dem vorhandenen Geld umgehen kann. Deshalb müssen da andere Leute hin. Spannend wäre auch die Frage, ob es eigentlich ein Naturgesetz ist, dass an der Spitze des Verteidigungsministeriums immer Schwarze landen.

Könnte da auch mal ein Grüner landen?

Klar, warum nicht? Wir Grünen haben inzwischen die Scheu verloren vor Ressorts, die sich um Fragen der Sicherheit kümmern. Nehmen sie zum Beispiel Irene Mihalic als ehemalige Polizistin oder Katharina Schulze in Bayern, sie leisten ganze Arbeit auf diesem Gebiet. Es gibt also nichts, was gegen eine grüne Verteidigungsministerin spräche.

Würden Sie nochmal gerne Minister werden?

Ich werde mein Gewicht gerne für die Partei in die Waagschale werfen, wenn uns das als Grünen nützt. Das letzte Mal hat es einer verlindnert, das ist ja bekanntlich nicht an mir gescheitert.

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