Ausstellung „Alles Kneten“ in Hamburg: Freude am Rummatschen

Mit der Ausstellung „Alles Kneten“ untersucht das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe Knetmasse in Kunst, Spiel und Technik.

Vier Knetfiguren stehen am Strand und blicken auf das Meer.

Spezialisiert auf Knetmassenkunst: Izabela Plucinskas Claymationfilm „7 More Minutes“ von 2008 Foto: Izabela Plucinska

HAMBURG taz | Ein hübscher Einstieg: Noch vor den eigentlichen Ausstellungsräumen wartet eine Vitrine, in der zwei winzige Figuren zu sehen sind. Ein Reiter und ein Mann mit einem nicht genau erkennbaren Werkzeug. Die Figuren stammen aus zyprisch-archaischer Zeit, 7. oder 6. Jahrhundert vor Christus, frühe Zeugnisse der Verformung von Ton mittels Wasserzugabe, Kultobjekte vielleicht, Grabbeigaben oder Spielzeug. Zum Start der Ausstellung „Alles Kneten. Metamorphose eines Materials“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe stellen sie jedenfalls klar: Was hier verhandelt wird, ist etwas, das weit über das reine Spiel hinausweist. Und wie zur Bekräftigung erinnert ein Text an den Mythos von Prometheus, der den Menschen angeblich aus Lehm und Wasser geformt habe. Ganz große Hütte, diese Knetmasse.

Ein Raum weiter aber wartet das Gegenmodell. Hier wird gespielt, an einem langen Tisch lassen sich Knetfiguren formen, Krümelmonster, Handys, eine ganze Reihe Rüsselwesen. Der Werktisch im zentralen Raum jedenfalls ist eine gute Idee, die das Thema einerseits erdet, andererseits auch den eigentümlichen Reiz der Knete erlebbar macht: die haptische Erfahrung weichen, formbaren Materials in den Händen, die Befriedigung, die bei eigenem kreativem Schaffen entsteht. Und nicht zuletzt eine Freude am Rummatschen, die jenseits der Ausstellungskonventionen existiert.

Die Konvention ist dagegen: Knete als Material für seriöse Kunstproduktion. Die Ausstellung, die vom Gewerbemuseum Winterthur nach Hamburg gewandert ist, beschreibt das mit Fokus auf popkulturellen Phänomenen: Knete im Animationsfilm, Knete in Musikvideos, Knete im Computerspiel.

Natürlich, hier ist auch Erwartbares zu sehen: das ikonografische Video, das Stephen R. Johnson (Regie) und Richard Goleszowski (Animation) 1986 für Peter Gabriels „Sledgehammer“ drehten; Nick Parks „Shaun das Schaf“; „Pingu“, der wahrscheinlich bekannteste popkulturelle Export der Schweiz.

Bis 3. November 2019, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg

Allerdings bieten diese Mainstream-Fixpunkte auch immer wieder Gelegenheit, den Blick zur Seite zu lenken: auf das Playstation-Spiel „Skullmonkeys“ etwa, dessen Spielewelt konsequent in Knetoptik gehalten ist. Oder auf Beni Bischofs Plattencover-Verfremdungen, von denen Knetversionen Art Garfunkels oder Iggy Pops einen beunruhigend angrinsen.

Der Filmteil erweckt mit Stepan Kovals „Straßenbahn Nr. 9 fährt“ (2002), Garri Bardins „Der graue Wolf und Rotkäppchen“ (1990) und „Warm snow“ der in Moskau aufgewachsenen, heute in Israel lebenden Ira Elshansky den Eindruck, dass Knetanimationen vor allem im (post-)sowjetischen Film ein wichtiges Thema gewesen sind. Ob das allerdings tatsächlich zutrifft oder ob hier schlicht selektiv kuratiert wurde, verrät einem die Ausstellung nicht. Ein Schwachpunkt.

Oder: Ein Plastillinblock verdeutlicht die experimentelle Animationstechnik Strata Cut, die beispielsweise für Peter Gabriels „Big Time“-Musikvideo verwendet wurde; wie die hochkomplexe Technik allerdings tatsächlich funktioniert, bleibt unklar.

Schön allerdings die Knetkunstwerke von Henrik Jacob: Das Gemälde „Bodyman 1“ (2012), bei dem Knetmasse-Punkte einen impressionistischen Eindruck erwecken. Oder die monumentale Installation „Café Deutschland International“ (2015), die wie eine Bühneninstallation eine Berliner Eckkneipe in verstörend dunkler Knete nachahmt.

Eine ähnliche Verstörung provoziert auch die Fotoserie „Dark Movies“ (2006/07) von Una Szeemann und Bohdan Stehlik: Stills ikonografischer Filmszenen, nachgestellt mit schwarzer Knete. Ein eine Freitreppe herabrollende Kinderwagen wirkt erschreckend, egal ob er aus Knete besteht oder in aus Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ zu sehen ist – ausschließlich nett, lustig, spielerisch ist „Alles Kneten“ eben nicht.

In einem dritten Schritt beleuchtet die Ausstellung schließlich Knete als Material in Industrie, Handwerk und Technik – eine Studie zu einem Sportwagen, Vorstudien für Maskenbilder. Das ist weit weniger spannend als der Kunstbereich, allerdings schafft es die Ausstellung so vorbildlich, den Grundcharakter eines Kunstgewerbemuseums zu zeigen, indem sie die Brücke zwischen den Disziplinen Kunst und Gewerbe schlägt. Und diese Brücke besteht aus Wasser, Öl, Stärke, Wachs und Farbpigmenten, aus: Knetmasse.

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