Steuerparadies Zossen: Das Luxemburg von Brandenburg

Mit niedrigem Gewerbesteuersatz zieht Zossen Briefkastenfirmen an – etwa den Vermieter einer bedrohten Kneipe in Berlin.

Sehr viele Briefkästen

Diese Briefkästen befinden sich nicht in Zossen Foto: dpa

BERLIN/ZOSSEN taz | An einem Samstag im Mai betreten drei Mitglieder der Kollektivkneipe Meuterei die Bühne auf dem Kiezfest in der Reichenberger Straße, im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain. Sie lesen, wie sie augenzwinkernd sagen, ihre Rede ab, um nicht beleidigend gegen ihre Hauseigentümer zu werden.

Die Eigentümer, die ihre Gemüter so erhitzen, heißen Goran Nenadic und Roman Döbele. Ersterer ist Geschäftsführer der Immobilienfirma Zelos Properties GmbH, die das Haus in der Reichenberger Straße 58, wo die Kneipe Mieterin ist, vor acht Jahren übernommen hat. Roman Döbele steht der mit Zelos eng verknüpften Vivum Consulting GmbH vor. Mit seiner früheren Immobilienfirma war er tief in das illegale Geschäft mit Schrottimmobilien verstrickt. Bekannt ist Vivum überdies durch Mieterkämpfe in der Torstraße 69, wo die linke Kneipe Baiz der Verdrängung zum Opfer fiel.

Während die Meute, wie sie von ihren Gästen genannt wird, über Jahre ihr linksalternatives Publikum mit günstigem Sterni versorgte, wurde das „anmutige Gründerzeithaus“, wie es auf der Website von Zelos heißt, luxussaniert. Für die teuren Eigentumswohnungen über der Punkerkneipe fanden sich genügend Kaufwillige, alle Altmieter sind weg. Im Internet wirbt Zelos dennoch mit dem „Kiez, wo gute Nachbarschaft großgeschrieben wird“. Zeugnis dafür sei auch „das alljährliche Reichenberger Kiezfest“ – eben jenes linke Straßenfest, das vor allem eine Manifestation gegen eine Stadt nach Zelos’ Vorstellung ist.

Die wütenden Kneipenwirte, insgesamt sind es mindestens zehn, befürchten den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Zum 31. Mai läuft nach zehn Jahren der Mietvertrag aus. Eine Verlängerung wurde dem Kollektiv nicht angeboten, sagt Marcus vom Unterstützerkreis „Leute für die Meute“, stattdessen aber der Kauf der Räumlichkeiten.

Bürgermeisterin Michaela Schreiber

„Der niedrige Gewerbe­steuersatz hat sich vollständig bewährt“

750.000 Euro hat der Eigentümer verlangt. Nach langem Rechnen habe die Meuterei die Hälfte geboten. „Mehr geht nicht, die Bar ist ein sozialpolitisches Projekt und kann keine höheren Getränkepreise nehmen“, sagt Marcus. Für Nadic ist das zu wenig. Der taz sagt er: „Ich stehe zu meinem Kaufangebot an die bisherigen Betreiber, aber zu einem marktgerechten Preis.“ Dem Vernehmen nach immer noch 650.000 Euro. Daran konnte auch ein Brief von Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) nichts ändern. Dem „marktgerechten“ Preis wollen sich die Linken nicht fügen. Damit haben sie etwas mit ihrem Noch-Vermieter gemein. Denn auch Zelos Properties mag nicht zahlen, was üblich ist. Ihren Geschäftssitz hat die in Berlin tätige Firma deshalb im brandenburgischen Zossen.

Dass in der märkischen 17.000-Einwohner-Kleinstadt unzählige Immobilien- und andere Unternehmen registriert sind, ist kein Zufall. Denn in Zossen gibt es eine Besonderheit: Die Stadt erhebt den niedrigstmöglichen Gewerbesteuersatz. Gerade einmal die gesetzlich vorgeschriebenen 200 Prozent beträgt der Hebesatz, mit dem der Steuermessbetrag multipliziert wird. In Berlin sind es 410 Prozent. Eine Maßnahme, die die Stadt auf ihrer Internetseite explizit bewirbt: So sollen Unternehmen angelockt und der Gemeinde ein wirtschaftlicher Vorteil verschafft werden.

In anderen Kommunen in Brandenburg wird diese Praxis nicht gern gesehen. Offiziell äußern will sich zwar niemand, denn welchen Hebesatz eine Gemeinde ansetzt, ist ihre Entscheidung, und die Praxis ist nicht rechtswidrig. Doch der „Dumping-Satz“ setze andere Kommunen unter Druck und führe zu einer Verzerrung im Standortwettbewerb, heißt es. Aus Sicht der Stadt Zossen ist die Praxis hingegen eine Erfolgsgeschichte: „Der niedrige Gewerbesteuersatz hat sich vollständig bewährt“, sagt Bürgermeisterin Michaela Schreiber der taz. Die finanzielle Lage der Stadt habe sich deutlich verbessert, die Einnahmen seien stabil.

Rund um das Zossener Modell hat sich eine dubiose Geschäftspraxis entwickelt: Auf Ebay werden Geschäftsadressen in Zossen angeboten, samt Briefkasten- und Telefonservice. An manchen dieser Adressen sind so viele Firmen registriert, dass schwer vorstellbar ist, dass alle dort auch tatsächlich ein reguläres Büro besitzen.

Schlüssel nicht abgeben

So auch in dem am Zossener Marktplatz gelegenen Haus, in dem Zelos Properties seine Adresse hat. Unter den hier registrierten Unternehmen sind mehrere, die sich in Berlin ebenfalls bereits einen zweifelhaften Ruf erworben haben: Der Investor, der den Kreuzberger Gemüsehändler Bizim Bakkal herausdrängen wollte, ist ebenso dabei wie die Fortis Group, die insbesondere in Friedrichshain für Verdrängung durch Luxusmodernisierung bekannt ist.

Zu einzelnen Firmen will sich die Stadt Zossen nicht äußern. Die Frage, wie sie verhindere, dass es sich bei den in der Stadt registrierten Unternehmen um Briefkastenfirmen handele, beantwortet die Bürgermeisterin nur vage: Es werde „ein ordnungsgemäßes Verfahren nach dem Gewerberecht“ durchgeführt, man arbeite „aktiv mit anderen Behörden zusammen“.

Das für Zossen zuständige Finanzamt hat bereits über Überlastung geklagt: Mit dem ohnehin schon knapp bemessenen Personal komme man angesichts der in Zossen angesiedelten, schwer durchschaubaren internationalen Firmenkonglomerate kaum mit den Steuerbescheiden hinterher. Gegenüber der BZ äußerte Bürgermeisterin Schreiber im März selbst den Verdacht, Unternehmen könnten sich dies gezielt zu Nutze machen, um sich ihrer Steuerverpflichtung zu entziehen: Bevor der Bescheid käme, seien diese Firmen schon wieder zerschlagen oder weiterverkauft. Gegenüber der taz bestätigt Schreiber, ihr sei der Fall eines Unternehmens bekannt, „das nach meiner Einschätzung nicht aufgrund des niedrigen Gewerbesteuersatzes zu uns gekommen ist, sondern mit dem Versuch, in einer brandenburgischen Kleinstadt gar keine Steuern zahlen zu müssen“.

Angesprochen auf den Geschäftssitz Zossen sagt Goran Nenadic, die Standortwahl sei „meine Entscheidung“, dabei gehe es „nicht um die Steuersätze“.

Die Kneipe sei einst aufgemacht worden, um den Kiez zu politisieren, sagt Marcus von der Meute. Seit der Besetzung der nahe gelegenen Gerhart-Hauptmann-Schule durch Geflüchtete im Jahr 2012 sei sie von immer mehr Gruppen für ihre Treffen genutzt worden. „Der Support aus dem Kiez ist groß“, sagt Marcus. Einfach die Schlüssel für die Meuterei abgeben wollen deren Wirte am heutigen Freitag deshalb jedenfalls nicht.

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