Debatte Elternschaft und Ängste: Es muss nicht alles putzig sein

Sie verniedlichen, um sich gegenseitig zu bestätigen. Junge Eltern sollten stattdessen über Ängste sprechen – und nach dem Spielplatz Bier trinken.

Eine junge Mutter betritt mit Kindern eine Wahlkabine.

Die ganze Welt ist ein Spielplatz, warum sollten sich junge Eltern über Sandkästen unterhalten Foto: dpa

Vor einiger Zeit stellte ich ein paar Kinderklamotten meines Sohnes, die wir nicht mehr benötigten, auf der Internetplattform Mamikreisel zum Verkauf. Der für junge Väter nicht unbedingt einladende Name der Plattform war mir ziemlich egal.

Ich registrierte mich, wie meistens, unter meinem Onlinepseudonym „Maier Hans“, freute mich, dass ich bei der Registrierung kein Geschlecht angeben musste, und lud die Fotos der Kleidungsstücke hoch. Nach relativ kurzer Zeit fand sich eine Käuferin.

Ich war zufrieden und zog in Erwägung, die Plattform auch weiterhin zu nutzen. Wenig später bekam ich eine Nachricht mit der Bewertung durch die Käuferin: „Super Mami! Gerne wieder! :-):-)“ Zuerst fand ich das lustig, dann irritierend.

Weder war ich so naiv zu glauben, dass die Kommunikation auf Internetverkaufsplattformen mit einer Face-to-face-Kommunikation gleichzusetzen war, noch so verstiegen, dass mich die Missachtung meiner Vaterschaft persönlich getroffen hätte. Dennoch sollte mich diese an Hans Maier adressierte Mami-Bewertung noch länger beschäftigen.

Die Ansprache ging auf eigentümliche Weise völlig an mir vorbei. Und das lag nicht daran, dass ich als Vater nicht wahrgenommen wurde (was ich aus anderen Situationen nur zu gut kannte), sondern vielmehr an der Tatsache, dass sich erwachsene Frauen plötzlich öffentlich als Mamis bezeichneten.

Das Geblubber der Erwachsenen

Ich fühlte mich wie später in manchen Runden im Kindergarten oder auf dem Spielplatz mit den Müttern anderer Kinder: beobachtet, aber nicht gesehen. Ich stand mit im Kreis, versuchte meinen Teil zum Gespräch beizutragen, und dennoch fühlte ich mich nicht als Person adressiert. Noch nicht einmal als Vater. Ich war eben da und es war egal.

Später, als ich in solcher Gesellschaft etwas entspannter war, fragte ich mich, ob die Kommunikation tatsächlich nur an mir vorbei geführt wurde oder ob der entscheidende Punkt die Kommunikation selbst war. Kinder, auch sehr kleine Kinder, kann man wunderbar mit einer persönlichen und ernst nehmenden Sprache ansprechen.

Fragt man Experten, tut ihnen das sogar besser als die verniedlichende Pseudokindersprache, die sich vom Spielplatzrand aus trefflich betrachten lässt. Weitaus mehr beschäftigte mich jedoch meine Wahrnehmung, dass ein ähnlich beliebiges Geblubber scheinbar auch unter den Erwachsenen Einzug hielt.

Verhandeln um Einstiegsgemüse

Ich habe ein wenig gebraucht, bis ich verinnerlicht hatte, dass wenn eine Mutter „Spieli“ zu mir sagt, sie den Spielplatz meint. Da wurde verniedlicht, was das Zeug hielt. Jedes Klischee wurde gefeiert. Produkttest bestätigt. Der immer gleiche Elterndiskurs aus den einschlägigen Zeitschriften rauf und runter gedaddelt. Die Rettung des Planeten wurde an der Frage verhandelt, ob nun Pastinake oder Karotte das bessere Einstiegsgemüse sei.

Geriet versehentlich mal jemand einen Babyfinger breit abseits der mit Flatterband gesicherten Trampelpfade, wurde dies sofort identifiziert und – mit deutlichem Verständnis und noch deutlicherer Abgrenzung – wieder eingefangen: Ah, das ist ja spannend, aber also bei uns … Ein heftig zustimmendes Nicken der anderen aus der Runde beendete das Gespräch in genau dem Moment, als ich zum ersten Mal an diesem Nachmittag vergaß, warum ich überhaupt hier war.

Wenn man den Kopf aus dem Rauschen zieht

Das Verniedlichen, das ständige sich gegenseitig Bestätigen, dass man ja alles richtig mache, scheint wie ein Code zwischen Müttern und manchmal auch Vätern, um dem anderen zu sagen: Wir sind in einer gemeinsamen Peergroup, ich weiß, dass auch du alles Menschenmögliche opferst, damit unsere Kinder optimal auf dieses bedrohliche Leben vorbereitet werden, und natürlich haben wir in unserer aktuellen Lebensphase kaum Zeit für uns, und dass wir uns dann auch noch Gedanken um Politik und Gesellschaft machen sollen, das kann nun wirklich niemand erwarten, na ja, natürlich ist der Klimawandel voll schlimm und unsere Beziehung, ne, also echt alles supi :-).

Ein zuckersüßes Rauschen, in das alle hineinsprechen, um es am Rauschen zu halten, von dem jedoch niemand mehr persönlich angesprochen wird. Der Deal ist, dass niemand vom anderen zu viel wissen muss und niemand dem anderen wehtut. Das schafft Sicherheit. Aber auch eine sehr stille Leere, wenn man den Kopf aus diesem Rauschen herauszieht.

Weber-Grill und Espressomaschine

Auf gelegentlichen Gartenpartys (die wegen der Kinder immer öfter gleich nach dem Abendessen beendet wurden) oder bei Einladungen zum Pärchenessen beschlich mich ein ähnliches Gefühl wie auf dem Spielplatz. Wieder fühlte ich mich beobachtet, aber nicht gesehen.

Manche Paare waren nach Geburt des ersten Kindes schnell in die alten Muster ihrer eigenen Eltern zurückgefallen, über die sie kurz vorher noch gelacht hatten. Die Frau kümmerte sich von unserer Garderobe bis zum Pipimachen unserer Kinder um nahezu alles, der Mann gab den Gastgeber, bot uns kühle Getränke an und verbrachte ansonsten viel Zeit hinter seinem Weber-Grill oder vor der blankpolierten Espressomaschine.

Warum wir die Zweifel ausklammern

Andere Paare versuchten, ein sehr gleichberechtigtes Bild abzugeben. Wie viele Grundsatzdiskussionen und Aushandlungsmarathons einer solchen locker zur Schau getragenen Gleichberechtigung vorausgehen, das wissen meine Frau und ich aus eigener Erfahrung nur zu gut.

Ausgeklammert bleiben die ureigenen Themen, die Zweifel, Ängste und Unsicherheiten, die Hoffnungen und die Fragen, das Scheitern, die Visionen und die Träume, kurz: all die Dinge, die das Leben erst zum Leben machen.

Doch egal auf welcher Seite der Skala wir uns als Familien befinden, eines haben viele von uns gemeinsam: das angestrengte Bemühen, sich zu inszenieren. Oft als perfektionierte Hochglanzvariante der Familie, die wir offenbar gerne sein möchten, wie atemberaubend individuell auch immer. Ein Anspruch, an dem man – als Eltern wie auch als Kinder – praktisch nur scheitern kann.

Natürlich sind wir unseren Gastgebern und neuen Bekannten per se wohlgesinnt. Wir blättern also mit interessierter Miene in dem uns hingestreckten Hochglanzprospekt und suchen nach Storys, über die es zu reden lohnt. Wie das bei bunten Magazinen zu sein pflegt, führt dies in aller Regel zu ohrenbetäubendem Smalltalk und sonst wenig.

Ausgeklammert bleiben die ureigenen Themen, die Zweifel, Ängste und Unsicherheiten, die Hoffnungen und die Fragen, das Scheitern, die Visionen und die Träume, kurz: all die Dinge, die das Leben erst zum Leben machen. Und warum zum Teufel stehe ich dann am Weber-Grill und unterhalte mich artig über fucking Weber-Grills?

Spieli und Bier, bitte

Ich merke, wie nun auch ich selbst die anderen beobachte, aber niemanden sehe. Die Familie auf ihrem Ponyhof hat drei, vier, fünf Individuen zu einer Einheit verschmolzen, deren Oberfläche so glatt ist, dass man allzu leicht abrutschen kann.

Fragt man: Wie geht es dir gerade?, bekommt man als Antwort: Uns geht es gut. Fragt man: Auf was hast du mal wieder Lust?, heißt es: Die Kinder fahren gerade gern Laufrad. Fragt man: Was hältst du von diesem oder jenem Thema?, lautet die Antwort: Da habe ich vor Kurzem was dazu gelesen. Oder einfach: Mit den Kindern kommen wir echt zu gar nichts mehr. Wollt ihr noch einen alkoholfreien Caipi?

Liebe Mitmenschen gleichen Alters, vor wenigen Jahren wusste ich noch mehr von euch und euren Leidenschaften. Ich spürte eure Offenheit für Neues und eure Neugier auf das Leben. Manchmal auch dessen Gewicht.

Lasst uns wieder mehr miteinander reden, von Person zu Person. Lassen wir uns aufeinander ein, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt. Fordert mich heraus, widersprecht mir. Und dann gehen wir zusammen auf den Spieli und hinterher noch auf ein Bier. Unsere Kinder sind schon mal vorgegangen.

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