Hamas und Israel: neue Runde der Eskalation

Die Hamas schießt Raketen nach Israel. Dessen Luftwaffe bombardiert den Gazastreifen. Drei Israelis und mindestens acht Palästinenser sterben

„Es kann nicht sein, dass sie singen, während wir leiden“

Hamas-Quelle zum Eurovision Song Context in Tel Aviv

Aus Jerusalem Susanne Knaul

Zehn Tage vor Beginn des Eurovision Song Contest (ESC) in Tel Aviv kommt es erneut zu einer Eskalation zwischen Israel und dem Gazastreifen. Drei Israelis und mindestens acht Palästinenser, darunter eine schwangere Frau und ein 14 Monate altes Baby, kamen bis Sonntagnachmittag zu Tode. Israel wies die Verantwortung für den Tod der Mutter und des Kindes zurück. Die beiden seien von einer fehlgeleiteten Rakete der Hamas getötet worden, hieß es.

Die Luftwaffe griff zudem über 250 Ziele im Gazastreifen an und sprengte einen Tunnel, der offenbar vom Islamischen Dschihad angelegt worden war. Umgekehrt gab es seit Freitag mehrere hundert Raketenangriffe auf Israel, von denen das Luftabwehrsystem etwa ein Viertel abfangen konnte. Die Schulen im Süden Israels sowie die Ben-Gurion-Universität in Beerschewa blieben geschlossen. Militärsprecher Ronen Manelis rechnet damit, dass der Schlagabtausch noch „mehrere Tage“ andauern wird.

So zügig, wie sich die letzten Runden der Raketen gegen Israel und Luftangriffe auf den Gazastreifen beilegen ließen, klappt es diesmal nicht. Immer neue Tote und Verletzte melden die Rundfunkanstalten. Unter Bezugnahme auf „eine politische Quelle der Hamas“ berichtete die liberale Tageszeitung Ha’aretz über die Verbindung der neuen Raketenangriffe zum ESC, nächste Woche in Tel Aviv. „Es kann nicht sein, dass sie singen und es guthaben, während wir leiden“, zitiert die Zeitung. Israel verzögere eine Umsetzung der vor den Parlamentswahlen Anfang April erreichten Vereinbarungen, hieß es weiter. „Sie wollten Ruhe vor den Wahlen haben und kriegten, was sie wollten.“ Man könne jedoch keine Ruhe erwarten, „wenn sich an unserer Lage nichts verändert“. Siad al-Nakhalah, Generalsekretär des Islamischen Dschihad, kündigte einen Angriff auf Israels „größte Städte“ an. Mit aller Macht und „ohne rote Linien“ wollen die Islamisten auf „jeden Versuch, unserem Volk zu schaden“, reagieren.

Seit gut einem Jahr kommt es immer wieder zu Raketen- und Luftangriffen, die stets dem gleichen Muster folgen. Mal ist eine misslungene Militäroperation, mal sind Schüsse auf israelische Soldaten Auslöser für die Angriffe mit Kassam-Raketen und Mörsergranaten und umgekehrt Bombardierungen der Luftwaffe. Die EU zeigt sich schockiert, der UN-Gesandte Nikolaj Mladenow und der ägyptische Geheimdienst vermitteln, man wird sich irgendwie einig, denn keine Seite will einen weiteren Krieg – bis zum nächsten Schlagabtausch.

Zu den von Ägypten vermittelten Abmachungen gehörten Erleichterungen für die Warenlieferung, die Erweiterung der Fischereizone auf 27 Kilometer sowie Israels Zusage, Hilfszahlungen aus Katar in Höhe von 30 Millionen Dollar monatlich zuzulassen. Der Transfer der Gelder verzögerte sich offenbar. Die Hamas, die die 2 Millionen Menschen im Gazastreifen mit harter Hand kontrolliert, gerät in zunehmende Zahlungsnot, seit die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter der Führung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Gehälter einiger zigtausend Fatah-naher Beamter sowie Gelder für öffentliche Institutionen reduziert hat. Außerdem strichen die USA projektgebundene Hilfsgelder und die Zahlungen Washingtons an die UNRWA, das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge.

Israels Armee hielt am Sonntag den Grenzübergang für den Personenverkehr Erez infolge der Unruhen geschlossen und stoppte mit Ausnahme von Treibstoff auch die Warenlieferungen in den belagerten Küstenstreifen. In Ägypten verhandeln Vertreter der Hamas über die Konditionen eines Waffenstillstands. Die türkische Regierung machte Israel für den Schlagabtausch verantwortlich und kritisierte die „nicht differenzierten Angriffe Israels im Gazastreifen“, die zum Tod und zu Verletzungen „vieler unschuldiger Menschen führten“. Umgekehrt solidarisierte sich die Regierung in Washington mit Israel und betonte das „Recht zur Selbstverteidigung gegen diese abscheulichen Attacken“ aus dem Gazastreifen. Die EU forderte eine dringende „Deeskalation dieser gefährlichen Situation“.

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