In der guten, alten Zeit der knusprigsüßen Zwangsarbeit

Millionen Europäer arbeiteten als Sklaven für das nationalsozialistische Deutschland. Die Firmenerbin Verena Bahlsen behauptet, dass Zwangsarbeitergut behandelt worden seien

Für manche war alles gut, damals im Mai 1941. Zeitschriftenwerbung der H. Bahlsens Keks-Fabrik K.G. Hannover. Aus: Die neue Linie, Leipzig/ Berlin (Verlag Otto Beyer) 12. Jg., Heft 9, Mai 1941 Foto: Abb.: akg images

Von Andreas Rüttenauer

Eine merkwürdige Frage geht um in Debatten-Deutschland: Es geht um das Schicksal von Zwangsarbeitern zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Es ist die Frage danach, wie es Zwangsarbeitern auf dem Gebiet des Deutschen Reichs zwischen 1939 und 1945 wirklich gegangen ist. Was sollen sich die Nachfahren von Zwangsarbeitern in Polen, der Ukraine, Belarus oder Russland denken? Hat da das neue, freshe Deutschland gesprochen?

Die Erbin eines Lebensmittelkonzerns, der vor allem für seine Butterkekse bekannt ist, hatte in einem Interview mit der Bild-Zeitung gesagt, das Unternehmen Bahlsen habe seine Zwangsarbeiter genauso entlohnt wie die deutschen Mitarbeiter. Zudem seien sie gut behandelt worden.

Auf eine Frage, von der man glauben sollte, sie müsse gar nicht erst gestellt werden, gibt es in diesen Tagen also eine neue Antwort. Übersetzt ins Hipster-Business-Deutsch hat die 25-jährige Verena Bahlsen gesagt: Voll okay sei es den Zwangsarbeitern gegangen.

Bild fragt: „Wie ging es den Bahlsen-Zwangsarbeitern?“ Andere Medien schauen noch einmal in die Geschichte des Entschädigungsprozesses für Zwangsarbeiter, der im Jahr 2000 in einen Fonds mündete, der mit Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft ausgestattet wurde. Mit Geld aus dem Fonds wurden Zwangsarbeiter, die einen entsprechenden Antrag gestellt hatten, individuell entschädigt, man könnte auch sagen: abgespeist.

Menschen, die in Haft, unter haftähnlichen oder vergleichbar schlechten Lebensbedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, bekamen bis zu 2.560 Euro. Im Monat? Im Jahr? Nein, ein Mal.

Bei den frischen Berichten über den Bahlsen-Bullshit taucht auch die Frage auf, wie die Betroffenen damals von ihren Sklavenhaltern behandelt worden sind. Mal besser, mal schlechter? Als ob es darum ginge! Als sei nicht längst bekannt, dass das System der Zwangsarbeit, mit dem die deutsche Industrie, die Landwirtschaft und das Handwerk zu Zeiten des deutschen Vernichtungskriegs am Leben gehalten wurden, ein elementarer Baustein im System des Nationalsozialismus gewesen ist.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten auf dem Gebiet des Deutschen Reichs über 13 Millionen ausländische Arbeitskräfte und Häftlinge von Konzentrationslagern und ähnlichen Hafteinrichtungen. Darunter etwa 8 Millionen Zivilarbeiter, 5 Millionen Kriegsgefangene und 1,7 Millionen KZ-Häftlinge und „Arbeitsjuden“. Etwa 80 bis 90 Prozent dieser Menschen waren, so hat es der Sozialwissenschaftler Mark Spoerer in seinem Buch „Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz“ ausgeführt, Zwangsarbeiter. Sklavenarbeit für die Deutschen war also kein Randphänomen.

Was Spoerer auch schreibt: Zwangsarbeiter retteten unter lebensgefährlichen Umständen Produktionsanlagen, die später den westdeutschen Reichtum begründeten. Frau Bahlsen kann also auch deswegen so heiter plappern, weil Zwangsarbeiter ihre Haut riskiert haben.

Die Verwüstung des europäischen Kontinents, der Genozid an den europäischen Juden, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht basieren auf Zwangsarbeit. Und doch wird mit einem Mal über Zwangsarbeit wie über etwas gesprochen, von dem man noch nicht so genau weiß, was es war und was es zu bedeuten hat. Da fehlt fast nur noch der allseits beliebte Faktencheck: Was wir wissen und was nicht.

Angefangen hat das alles mit dem Auftritt von Verena Bahlsen auf der Digital-Konferenz Online Marketing Rockstars. Gut gelaunt hat sie dargelegt, dass sie gar nichts daran findet, reich zu sein. Dass sie sich von ihrer Dividende gerne Yachten kaufen würde, hat sie auch gesagt. Der Vorwurf, ihr Reichtum sei auch auf Zwangsarbeit aufgebaut, hat die junge Frau dann zum Social-Media-Antistar gemacht. Und jetzt diskutiert Deutschland tatsächlich darüber, wie schlimm Zwangsarbeit war.

Es ist eine beschämende Diskussion, die von einer Frau losgetreten worden ist, die sich selbst in der Rolle einer Zukunftsgestalterin sieht. Sie soll Foodtrends für ihr Unternehmen aufspüren, beschäftigt sich sorgenvoll mit der Zukunft („Total viel waste und so weiter!“) und sagt Sätze wie: „Ich scheiß auf Wirtschaft, wenn Wirtschaft nicht ein Vehikel ist, um uns als Gesellschaft nach vorn zu bringen.“ Sie bezeichnet sich in ihrem Vortrag sogar als Weltverbesserin.

So gut gelaunt und geschichtsvergessen kann man also in die Zukunft marschieren. Verena Bahlsen hat davon gesprochen, dass sie dankbar ist, eine tolle Bildung genossen zu haben. Sagen wir’s ihr!