Bilanz Caritas-Krankenstube auf St. Pauli: Obdachlose unterversorgt

Die Hamburger Krankenstube für obdachlose Menschen hat dokumentiert, wie viele Patient*innen sie ablehnen mussten.

Zwei Ärzte und ein Pfleger versorgen eine Patientin in der Krankenstube auf St. Pauli.

Voll ausgelastet: Nicht jedeR Obdachlose wird in der Krankenstube auf St. Pauli aufgenommen Foto: dpa

HAMBURG taz | Viele obdachlose Menschen, die krank und pflegebedürftig sind, können in Hamburg nicht richtig behandelt werden. Es sind Menschen, die nicht krank genug sind, um im Krankenhaus aufgenommen zu werden. Doch die einzige stationäre Einrichtung für kranke obdachlose Menschen, die Caritas-Krankenstube auf St. Pauli, kann den Bedarf nicht decken und muss immer wieder Patient*innen ablehnen. Das geht aus dem Jahresbericht der Krankenstube hervor, der der taz vorliegt.

Bisher dokumentierte die Einrichtung nur, wie viele Patient*innen nicht aufgenommen werden konnten. Seit Mitte 2018 werden auch die Gründe erfasst. Demnach konnten innerhalb eines halben Jahres sechs Menschen nicht aufgenommen werden, weil die Krankenstube voll belegt war. Sechs Personen waren zu immobil für eine Aufnahme und sieben mussten abgelehnt werden, weil ihr Pflegebedarf die Möglichkeiten der Einrichtung überstiegen hätte.

„Wir sind gut besetzt“, sagt Timo Spiewak, Sprecher der Caritas Hamburg. „Trotzdem ist nur eine gewisse Pflege leistbar und wir müssen unsere Arbeit natürlich auch verantworten können.“ So müssten sich die Patient*innen beispielsweise größtenteils selbst versorgen können. Psychische Erkrankungen können in der Krankenstube nicht behandelt werden.

Im Jahresbericht macht Krankenstubenleiter Thorsten Eikmeier darauf aufmerksam, dass die Menschen im Zweifelsfall vom Krankenhaus auf die Straße entlassen werden. Dort können sie nur die niedrigschwelligen Angebote wie Krankenmobile oder Schwerpunktpraxen nutzen. Die schlechten Lebensbedingungen auf der Straße sorgten dann wiederum dafür, dass sie erneut ins Krankenhaus eingewiesen werden müssten.

Ronald Kelm, Hamburger Gesundheitsmobil

„Die Betten der Krankenstube reichen vorne und hinten nicht“

Die Krankenstube hat 20 Betten zur Verfügung, davon sind vier reserviert für Menschen, bei denen eine geschlossene Tuberkulose behandelt wird. Damit bleiben 16 Betten. Obdachlos sind in Hamburg rund 2.000 Menschen. Diese Zahl ergab die letzte Obdachlosenbefragung in Hamburg. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich noch höher.

Genau wie bei den kranken obdachlosen Menschen, die stationäre Pflege bräuchten, aber keinen Platz finden. Denn die Zahlen, die der Jahresbericht der Krankenstube nennt, beziehen sich nur auf ein halbes Jahr und auf fast ausschließlich schriftliche Aufnahmeanfragen. „Viele Anfragen erfolgen gar nicht schriftlich“, sagt Spiewak. So meldeten sich etwa Kliniken für eine schnelle Vermittlung telefonisch. Und die Belegschaft der ambulanten Krankenmobile für obdachlose Menschen wisse oft ohnehin schon, ob gerade ein Platz frei sei oder nicht. Dementsprechend werde manchmal gar nicht erst angefragt.

Es bleibt Perspektivlosigkeit

Auch Ronald Kelm, medizinischer Koordinator vom Hamburger Gesundheitsmobil, bestätigt die problematische Lage in der Gesundheitsversorgung von Obdachlosen. Die aktuellen Zahlen offenbarten das Problem nun und zeigten, wie skandalös die Situation sei. „Die Betten der Krankenstube reichen vorne und hinten nicht“, sagt er. „Als Sofortmaßnahme bräuchten wir eine zweite Krankenstube mit mindestens 20 bis 30 Betten.“

Doch selbst dann bliebe für viele die Perspektivlosigkeit. Denn Eikmeier weist in seinem Bericht auch darauf hin, dass es für diejenigen, die in Deutschland keinen Anspruch auf Sozialleistungen und Krankenversicherung haben, nahezu unmöglich sei, die Lebensbedingungen mittel- oder langfristig zu verbessern. Es gäbe einfach kaum Angebote für sie. Die Kolleg*innen seien dazu gezwungen, diesen Menschen dabei zuzusehen, wie sie verelenden. Um die Würde der Menschen zu schützen, müsse die Politik dringend handeln.

Doch wann sich etwas tut, bleibt offen. Der Sprecher der zuständigen Sozialbehörde sagte im NDR, dass nun Daten erhoben werden, um zu klären, was kranke Menschen auf der Straße brauchen. Was und wie genau diese Daten erhoben werden und wann mit ersten Ergebnissen und Maßnahmen zu rechnen ist, ließ die Behörde bis auf Nachfrage der taz bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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