Eingesprungener Abschwung

Bei der Turn-Europameisterschaft kann nur Andreas Toba überzeugen. Das schlechte Mannschafts­ergebnis kommt nicht von ungefähr. Die deutsche Männerturnriege befindet sich im Neuaufbau

Anspannung pur: Toba schließt die Holme des Barren kurz Foto: dpa

Aus Stettin Sandra Schmidt

Wer hätte das gedacht: Andreas Toba ist schon nach der Qualifikation der beste deutsche Turner bei der gerade im polnischen Stettin stattfindenden Europameisterschaft. Als einziger DTB-Vertreter zog er in einen Endkampf ein. Am heutigen Freitag steht Toba im Finale der besten Mehrkämpfer. Doch Euphorie ist nicht die Sache des Hannoveraners, eher schon Selbstkritik: „Eigentlich ein ganz guter Wettkampf, klar“, sagt er, um dann detailreich seine kleinen Fehler zu beschreiben.

Tobas letzter Wettkampf an allen sechs Geräten liegt ziemlich genau drei Jahre zurück: Damals qualifizierte er sich mit dem Team für die Olympischen Spiele, die ihn berühmt machen sollten. Toba riss damals in Rio am ersten Gerät das rechte Kreuzband, und trotzdem turnte er noch am Pauschenpferd. Die Erzählung, er habe dem deutschen Team damit das Finale gesichert, verbreitete sich in Windeseile. Dabei hätte ein Blick auf die puren Zahlen gereicht, um zu erkennen, dass diese Geschichte nicht stimmte. Andreas Toba avancierte dennoch zum „Helden von Rio“ und begriff erst einmal gar nicht recht, was da mit ihm geschah. Wegen seiner vermeintlichen Heldenhaftigkeit wurden ihm zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen zuteil. Toba selbst betonte immer, er hätte einen guten Teamwettkampf vorgezogen, auch wenn der ihm keine einzige Schlagzeile gebracht hätte.

Toba ist nicht nur selbstkritisch und bescheiden, vor allem ist er jemand, der immer an die Mannschaft denkt, der seinen internen Mitstreitern immer positiv gesonnen ist. In Stettin feuerte er nach Ende seines Wettkampfs die Kollegen im nächsten Durchgang von der Tribüne aus lautstark an, filmte ihre Übungen und litt mit ihnen. So mit den Youngstern, mit Felix Remuta, der bei seiner ambitionierten Bodenübung stürzte, oder mit Nils Klessing, der nach seinem originellen Dreifachsalto-Abgang an den Ringen auf dem Hosenboden landete. Nils Dunkel, sieben Jahre jünger als Toba, kam als 41. der Konkurrenz nicht mal in die Nähe des Mehrkampf-Finales. Trotzdem will Andreas Toba die Bemerkung, die jüngere Generation säße ihm ja nun nicht gerade im Nacken, nicht so stehen lassen: „Nein, das würde ich so nicht sagen. Wir sind jetzt auf gar keinen Fall schlecht oder so was, ganz im Gegenteil.“ Diese Turner würden eben noch ein bisschen Zeit und Erfahrung brauchen. Auf seine Teamkameraden lässt Toba nichts kommen. Dabei hat er, schon 2012 Olympiateilnehmer, die goldenen Zeiten deutschen Männerturnens selbst miterlebt. Es sei selbstverständlich, dass es von Generation zu Generation Schwankungen gibt: „Wir hatten lange Zeit sehr starke Turner in Deutschland, und jetzt ist es halt so, dass es momentan ein bisschen schwieriger ist.“

Lukas Dauser, der 2017 EM-Silber am Barren gewonnen hatte, schaffte es nicht ins Finale an seinem Lieblingsgerät. Und auch Marcel Nguyen, zweimaliger Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele 2012, gelang kein einziger Finaleinzug, zum ersten Mal seit zwölf Jahren. Andreas Hirsch gab zu, man habe insgesamt „nicht das Erhoffte erreicht“. Der Cheftrainer hat die schwierige Aufgabe, für die Weltmeisterschaft in Stuttgart im Oktober fünf Turner auszuwählen, die sich als Team für Olympia 2020 qualifizieren sollen. Neun Plätze gibt es da noch zu verteilen und immer mehr Länder, die darum mitstreiten wollen.

So machten in Stettin zum Beispiel die Turner aus der Türkei auf sich aufmerksam, gleich mit zwei Mehrkämpfern unter den ersten fünf und weiteren fünf Einzügen in Gerätefinals, darunter zwei am Barren; das war zuletzt das deutsche Paradegerät. Spezialisten an einem oder zwei Geräten wird Andreas Hirsch in Stuttgart übrigens kaum brauchen können, sondern eben Mehrkämpfer wie Andreas Toba.