Neues Album von Weyes Blood: Mrs. Mering umschifft die Eisberge

Die US-Künstlerin Weyes Blood dockt mit ihrem tollen neuen Album „Titanic Rising“ an das goldene Zeitalter der barocken Singer-Songwriter an.

eine Frau die auf dem Boden eines kitschig möblierten Schlafzimmers und schaut in Richtung eines Fensters, durch das Licht hereinfällt

Vorwärts ins goldene Zeitalter: Weyes Blood Foto: Brett Stanley

Man muss Slavoj Žižek wirklich nicht oft zustimmen, aber seine Lesart von James Camerons „Titanic“-Film hat schon was: Er sieht darin eine bourgeoise Oberschicht am Werk, die sich am proletarischen Habitus die Krallen schärft. So gesehen wäre „Titanic“ ein Film über ein reiches Gör, das einen Arbeiter ausnutzt. Die wahre Katastrophe, so der slowenische Philosoph, wäre folglich die Ankunft des Passagierdampfers in New York gewesen.

Dass der Blockbuster noch auf einer anderen Ebene Opfer fordert, zeigt die kalifornische Singer-Songwriterin Weyes Blood. Ihr neues Album, das mittlerweile dritte, heißt „Titanic Rising“ und ist inspiriert von der Schiffstragödie am Eisberg. Natalie Mering, Weyes Bloods bürgerlicher Name, ist weniger von den Filmhelden Jack und Rose beeinflusst als durch unnatürliche Erwartungen an Romantik und Liebe, die der Film in ihr als junges Mädchen evoziert hat.

„The movies I watched when I was a kid / The ­hopes and the dreams / Don’t give ­credit to the real things“, singt sie in dem Song „Movies“. Hoffnungen und Träume sind Hindernisse, erklärt Mering: „Ich wollte mir die emotio­nal-manipulative Seite von ­Filmen anschauen – wie erfolgreich waren sie in der Verbreitung von Mythen? Was macht es mit einer Gesellschaft, die sich nur noch unter filmischen Narrativen betrachtet?“

Kampf gegen die Narrative

Für Weyes Blood scheint klar, dass dabei manches auf der Strecke bleibt. Sie kennt die Effekte von sich selbst. Dementsprechend setzt sich ihr Album mit dem Kampf gegen diese Narrative auseinander. Es geht um Trennung, aber auch um die Erfüllung von Liebe, und es geht darum, dass die Transition vom einen Zustand zum anderen auch verdammt schmerzhaft sein kann. Dem melodramatischen Brainwash setzt die 30-Jährige etwas entgegen.

Ihr Auftaktsong „A Lot’s Gonna Change“ erinnert daran, dass es genug Zeit gibt, die Uhr noch nicht tickt; derweil sich alles weiterentwickelt; und, dass an alten Gewohnheiten, Freunden, Familie hängen zu bleiben auch zu wenig führt. Musikalisch hingegen bleibt die Künstlerin sehr wohl hängen und vergreift sich lustvoll an Größen des Goldenen Zeitalters.

Weyes Blood: „Titanic Rising“ (Sub Pop/Cargo).

Live: 27. April: „Kantine am Berghain“, Berlin; 28. April: „Uebel&Gefährlich“, Hamburg.

Mit der Stimme einer Karen Carpenter und einer orchestral-pompösen Begleitung, wie sie auch Abba glücklich gemacht hätte, eröffnet sie ein Feuerwerk der Referenzen. Sie selbst ruft auch The Kinks (offensichtlich „Everyday“) und David Bowie auf. In diesem Koordinatensystem funktioniert die erste Hälfte, die sich immer wieder in psychedelische Gefilde vorwagt und Fans von „Adult Orientated Rock“ entzücken dürfte.

Die zweite Hälfte ist New Age

Für die zweite Hälfte, die eingeläutet wird durch das 90-sekündige Titelstück, steht hingegen die irische New-Age-Apologetin Enya Patin. Das oben genannte „Movies“, mit seinem dunstigen Arpeggiator, der ebenso nebligen Stimme und den dröhnenden Orgel-Synth-Sounds, hat nur noch wenig mit dem Anfang des Albums gemein; umso mehr mit seinem Nachfolger „Mirror Forever“, das als astreine Lana-Del-Rey-­Reinkarnation durchgeht und dazu eine trendige Brise Gothic einstreut.

Trotz Rückblickscharakter und Retro-Charme merkt man „Titanic Rising“ seinen die Zukunft herbeisehnenden visionären Grundton sofort an. Hier werden neue Ufer angefahren, Eisberge dagegen umschifft. Keine Panne, kein „Auf-Grund-Fahren“. Natalie Mering hat mit ihrem künstlerischen Output ordentlich Fahrt aufgenommen. Anscheinend musste hierfür so manches Herz, bisweilen gar das eigene, gebrochen werden; die Kunst heißt Weitermachen und hinterfragen, ob die Mythen des Alltags eigentlich hilfreich sind oder doch eher bremsen. „Titanic Rising“ liefert einen Soundtrack zum Überwinden.

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