Protest nach Polizeidurchsuchung: „Fernab von Recht und Gesetz“

Bei einer versuchten Abschiebung in Laatzen durchsuchten Polizisten die Wohnräume einer Flüchtlingsunterkunft ohne richterlichen Beschluss.

Ein Gebäude mit Flachdach und rotem Backstein.

Kein unverletzlicher Schutzraum: die Flüchtlingsunterkunft in Laatzen Foto: Christian Wyrwa

HAMBURG taz | Nach der Durchsuchung einer Flüchtlingsunterkunft im niedersächsischen Laatzen regt sich Protest am Vorgehen der Behörden. Ohne richterliche Genehmigung betraten und durchsuchten am Abend des 27. März Vollstreckungsbeamte die Zimmer von knapp 80 Bewohnern der Geflüchtetenunterkunft. Die Landesaufnahmebehörde hatte vor, drei Asylbewerber abzuschieben. Da die Beamten die gesuchten Personen in ihren Zimmern nicht antrafen, verschaffte der Sicherheitsdienst ihnen mithilfe eines Generalschlüssels Zugang zu den weiteren Räumen.

„Das widerspricht jeder Verhältnismäßigkeit und ist eindeutig rechtswidrig,“ kritisierte Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, den Einsatz. Die Beamten hätten sich nicht ausgewiesen und weder Auskunft über ihre Dienststelle noch über den genauen Zweck der Durchsuchung gegeben. Von allen anwesenden Personen seien die Ausweise erfragt worden.

„Das hat zu großer Unsicherheit und Verängstigung bei den Bewohnern geführt“, so Öztürkyilmaz. Die Vollzugsbeamten hätten in Schränke und unter die Betten der Bewohner geschaut. Dabei sei nicht nachvollziehbar, warum die Beamten überhaupt davon ausgegangen seien, dass sie die Abzuschiebenden in den Zimmern der übrigen Bewohner vorfinden könnten. Diese Vermutung erwies sich als Fehlannahme.

Justus Linz, Rechtsberater bei der kirchlichen Hilfestelle Fluchtpunkt in Hamburg, zeigt sich ebenfalls kritisch. „Leider hören wir häufiger von solchen razziaartigen Abschiebeversuchen – vor allem in größeren Lagern. Das ist insbesondere deshalb ein Problem, weil die Betroffenen zum Teil schwer traumatisiert sind.“

Artikel 13 des Grundgesetzes schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Über den alltagssprachlichen Wohnungsbegriff hinaus sind damit auch andere Räume, soweit sie die Privatheit der Lebensgestaltung ermöglichen, gemeint.

Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch andere Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.

Mehrere Oberverwaltungsgerichte haben dies auch für private Räume in Flüchtlingsunterkünfte entschieden. Diese dienten auch der „Entfaltung von Privatleben.“

Das Verwaltungsgericht in Hamburg hat im Februar entschieden, dass das Aufsuchen von Menschen in Flüchtlingsunterkünften zwecks Abschiebung eine Durchsuchung im Sinne von Artikel 13 des Grundgesetzes ist. Das Gericht verwies dabei auf ein Urteil des Verfassungsgerichts, nach dem auch Flüchtlingsunterkünfte als Schutzräume gedacht sind, in denen sich „Privatleben entfalten“ soll. Das unterscheidet sie von geschlossenen Unterkünften wie etwa Justizvollzugsanstalten.

„Schon das Betreten der Zimmer der Gesuchten wäre ohne richterlichen Beschluss also verfassungswidrig gewesen,“ sagt Linz. „Erst recht gilt das für die Wohnungen derjenigen, die selber gar nicht gesucht werden.“ Nach Ansicht des niedersächsischen Flüchtlingsrates hätte nicht einmal die Annahme, dass sich in einer der Räume eine Person aufhält, die abgeschoben werden soll, das Vorgehen in Laatzen gerechtfertigt.

Ausgenommen sind laut Gesetz nur Fälle, in denen Gefahr im Verzug ist. Diese Voraussetzung sei aber nicht erfüllt gewesen, erklärt Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat:

In einer Erklärung haben 18 Bewohner ihren Protest gegen das Vorgehen der Behörden formuliert. Diese hätten gegen den Willen der Betroffenen gehandelt. Teilweise seien Wertsachen der Bewohner abhandengekommen, weil die Beamten die Türen der durchsuchten Räume nicht wieder verschlossen hätten.

Das niedersächsische Sicherheits- und Ordnungsgesetz regelt, dass bei Durchsuchungen der Grund umgehend bekannt zu geben ist. Darüber hinaus ist ein Protokoll der Maßnahme von dem oder der Wohnungseigentümer*in zu unterzeichnen. Da dies nicht geschehen sei, erwecke das Vorgehen den Eindruck einer „klandestinen Aktion“, so Öztürkyilmaz, „die sich fernab von Recht und Gesetz bewegt“.

Kritik des Flüchtlingsrates

Die Polizeibehörde Hannover hat die Kritik des Flüchtlingsrates zum Anlass genommen, den Vorfall zu überprüfen. „Das Verhalten wurde umgehend selbstkritisch hinterfragt“, schreibt die Polizeidirektion Hannover in einer Mitteilung vom Freitag. Nach bisherigen Erkenntnissen könnte der „Tatbestand des Hausfriedensbruchs“ zugrunde liegen. Man wolle das Verhalten von Sicherheitsdienst, Landesaufnahmebehörde sowie der Polizei aufarbeiten. Entsprechende Ermittlungen seien eingeleitet worden.

Für den Flüchtlingsrat ist das Vorgehen der Behörden nicht neu: „In so gut wie keinem Fall werden bei Abschiebungen richterliche Genehmigungen eingeholt.“ Dabei würden Abschiebungen oft lange genug vorbereitet, um richterliche Verfügungen zu beantragen.

Das Deutsche Rote Kreuz, das die Unterkunft betreibt, beschied eine Anfrage der taz mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen.

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