Attentäter wollte noch mehr Muslime töten

Die Festnahme in Christchurch erfolgte 36 Minuten nach dem ersten Notruf. Neuseeland will als Konsequenz die Waffengesetze verschärfen

Am Samstag besuchte Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern die islamische Gemeinde in Christchurch, dem Ort der Anschläge auf die beiden Moscheen. Ein schwarzer Hi­dschab mit goldenem Rand bedeckte ihr Haar. Sie zeigte Mitgefühl, Verständnis, bedingungslose Hilfsbereitschaft. Und Entschlossenheit. Sie versprach Soforthilfe bei der Beerdigung der Opfer sowie Unterstützung für die Überlebenden.

„Ich war eine von mehr als 30 Empfängern des Manifests, das neun Minuten vor Beginn der Attacke per E-Mail gesendet wurde“, erklärte Ardern. Die E-Mail, abgesandt 9 Minuten vor Beginn der Anschläge, habe keine Ortsangabe erhalten und keine Einzelheiten.

Sie habe einige Elemente des Manifests gelesen, das der mutmaßliche Täter geschrieben hatte, sagte Ardern. In der Schrift bezeichnet sich der gebürtige Australier Brenton Tarrant als weißer Nationalist, der Einwanderer hasse. Auch erklärte er, dass er keiner Organisation angehöre und die Attacken monatelang geplant habe. Nach allen Informationen war er der einzige Täter.

Tarrant hatte seine Tat gefilmt und live im Internet gezeigt. Die Netzwerke bemühen sich seit Freitag, das Video zu entfernen, doch inzwischen kursieren bearbeitete und verfremdete Versionen, die das erschweren. Allein Face­book löschte nach eigenen Angaben von Sonntag 1,5 Millionen Videos mit Darstellungen des Anschlags – und zwar nur in den ersten 24 Stunden.

Am Samstagmorgen wurde Tarrent einem Richter vorgeführt, in Handschellen und gekleidet in einen übergroßen weißen Umhang. Der 28-Jährige zeigte das „Okay“-Zeichen in die Kameras: Daumen und Zeigefinger zusammengehalten, die anderen Finger abgespreizt. In der rechtsextremen Szene bedeutet die Geste „White power“. Tarrent wurde offiziell des Mordes angeklagt. Er verzichtete darauf, dass sein Name geheim gehalten wird. Auch eine Entlassung auf Bewährung beantragte er nicht. Am 5. April muss er erneut vor Gericht erscheinen.

Die Polizei bestätigte inzwischen, dass die Zahl der Todesopfer unter den Besuchern der beiden zweier Moscheen auf 50 gestiegen ist. Das jüngste Todesopfer war zwei Jahre alt, das älteste 77. 34 weitere Gläubige befanden sich am Sonntagabend Ortszeit noch in Krankenhäusern.

In Christchurch herrschte auch am Sonntag eine gedämpfte Stimmung. Einige Geschäfte blieben geschlossen. Viele Bewohner fragte sich, was den Täter dazu veranlasst hatte, aus seinem Wohnort 350 Kilometer nördlich zu fahren, um in der „englischsten Stadt außerhalb Englands“ seine Verbrechen zu begehen.

Tödliches Attentat in einer friedlichen Stadt

Christchurch – benannt nach Christ Church in Oxford – gilt mit seinen Gärten und der gotischen Architektur als ruhige und gerade für jüngere Besucher gelegentlich fast langweilige Stadt. Das Zentrum wurde dominiert von einer Kathedrale, die nach einem verheerenden Erdbeben 2011 abgerissen werden musste. Nur 1 bis 2 Prozent der rund 350.000 Einwohner Einwohner sind islamischen Glaubens.

Polizeichef Mike Bush sagte, vom ersten Notruf um 13.41 Uhr bis zum Eintreffen der ersten Streife in der Masjid-al-Noor-Moschee habe es nur sechs Minuten gedauert. Dort starben 42 Menschen. Nach 36 Minuten, so Bush, sei der Attentäter überwältigt worden. Dies geschah allerdings, erst nachdem er in einer zweiten Moschee acht weitere Menschen getötet hatte. Der Täter habe fünf Waffen bei sich gehabt, darunter zwei halbautomatische und zwei umgebaute Gewehre. Er sei unterwegs gewesen, um weitere Menschen zu ermorden, sagte Premierministerin Ardern. „Er hatte absolut die Absicht, seine Attacke fortzuführen“.

Zwei Moscheebesucher haben offenbar noch Schlimmeres verhindert. Alabi Lateef sagte, er sei durch Schüsse auf den Attentäter aufmerksam geworden. Zusammen mit einem Glaubensbruder habe er dann beobachtet, wie Tarrant ein leer geschossenes Sturmgewehr zu Boden geworfen habe und zu seinem Auto gegangen sei. Lateefs Mitstreiter habe danach mit diesem Gewehr die Heckscheibe des Wagens eingeschlagen. Die zertrümmerte Scheibe fiel kurz darauf zwei Polizisten auf, die den Wagen des Attentäters stoppten und ihn festnahmen.

Neuseeland will nun seine Waffengesetze verschärfen. „Allein anhand der Tatsache, dass dieser Mensch einen Waffenschein bekam und Waffen dieses Kalibers kaufen konnte, werden viele Menschen Änderungen verlangen. Ich werde mich dafür einsetzen“, meinte Premier Ardern am Wochenende. Tarrants Lizenz müsse zwar noch geprüft werden, „aber eines kann ich jetzt schon sagen: Unsere Waffengesetze werden geändert“. In Neuseeland kann bisher jeder Bürger über 16 Jahren einen Waffenschein erhalten, wenn er einen Sicherheitskurs absolviert hat.

Bewohner Christchurchs legten an den Tatorten Blumen nieder. „Neuseeland ist in Trauer vereint“, sagte Ardern. Vielerorts gab es spontane Kundgebungen der Solidarität mit Muslimen. Fremde Menschen umarmten einander und spendeten sich gegenseitig Trost.

Angehörige der Ermordeten zeigten sich am Sonntag unglücklich darüber, dass sie die Opfer noch nicht beerdigen konnten. Nach islamischer Lehre sollen Tote so rasch wie möglich bestattet werden. Nach Angaben von Polizeikommandant Bush arbeiteten Forensikexperten und Pathologen „rund um die Uhr“ daran, an den Leichen Beweismaterial zu sichern. „Wir müssen die Todesursache feststellen“, sagte der Beamte. Die ersten Opfer sollten den Angehörigen am Sonntagabend übergeben werden. Urs Wälterlin, Canberra