Großbritanniens Nordirland-Ministerin: Nur noch den Kopf schütteln

Die britische Ministerin Karen Bradley behauptet, dass fast alle Morde im Nordirlandkonflikt von Terroristen verübt wurden. Das sorgt für Aufruhr.

Karen Bradley hat eine Arbeitsmappe in der Hand und trägt ein rosafarbenes Jackett

Für Bradley ist Nordirland ein Buch mit sieben Siegeln Foto: reuters

DUBLIN taz | Karen Bradley ist immer Gesprächsthema in Irland. Doch am Mittwoch hat sich Großbritanniens Nordirland-Ministerin im Unterhaus eine besondere Entgleisung geleistet. „Über 90 Prozent der Morde im Nordirlandkonflikt sind von Terroristen verübt worden“, sagte sie. „Die restlichen knapp zehn Prozent, die auf die Kappe von Militär und Polizei gehen, waren keine Verbrechen. Das waren Leute, die auf Befehl gehandelt haben und ihre Pflichten auf würdevolle und angemessene Art ausgeübt haben.“ Kurz darauf versuchte die 48-Jährige, ein wenig zurückzurudern: Sie habe keine bestimmten Fälle gemeint, sondern nur eine allgemeine Ansicht kundgetan.

Es nützte nichts. Irland war längst in Aufruhr. Premierminister Leo Varadkar bezeichnete die Äußerungen als falsch und unsensibel. „Wir brauchen eine britische Regierung, die zumindest die Möglichkeit in Erwägung zieht, dass die Morde an Zivilisten Verbrechen gewesen sein könnten“, sagte er.

Großbritannien ist verstärkt auf gute Beziehungen zu Irland angewiesen: Drei Wochen vor dem Brexit ringt das Vereinigte Königreich mit der EU noch um das Austrittsabkommen. Am Wochenende, so wird spekuliert, könnte es noch einmal ein Treffen zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der britischen Premier May geben.

Umstritten ist in Großbritannien vor allem der Backstop, eine Art Notfalllösung für eine offene Grenze zwischen Irland und Nordirland. Irland will keine Änderungen wie etwa eine zeitliche Befristung des Backstops, die EU steht geschlossen zu dem Mitgliedsland. Bradleys Fauxpas dürfte nicht geeignet sein, die Position aufzuweichen.

Nicht nur unsensibel

Nordirlands Sinn-Féin-Chefin Michelle O’Neill meinte, Bradleys Äußerungen zeugten von Verachtung für das Rechtssystem. Schließlich seien zur Zeit mehrere Verfahren gegen die britische Regierung und ihre Sicherheitskräfte anhängig. Nächste Woche entscheidet die nordirische Staatsanwaltschaft außerdem, ob britische Soldaten für den Bloody Sunday angeklagt werden. 1972 hatte eine Fallschirmjägereinheit im nordirischen Derry das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffnet und 14 Menschen ermordet.

Für Angehörige wie Liam Wray, dessen Bruder Jim an dem Tag getötet worden war, ist Bradleys Statement eine Ohrfeige. Er verglich ihre Aussagen gegenüber der Irish Times mit einer „Erklärung von Kolonialherren aus vergangenen Zeiten“. Colum Eastwood, Chef der nordirischen Sozialdemokraten, erklärte, Bradley sei verpflichtet, sich bei den Familien der Opfer von staatlicher Gewalt zu entschuldigen.

Das tat sie denn auch. „Meine Wortwahl war falsch“, sagte sie am Donnerstag. „Auch wenn es nicht meine Absicht war, so war es doch zutiefst unsensibel denjenigen gegenüber, die ihre Lieben verloren haben.“

Es war aber nicht nur unsensibel, sondern widerspricht auch den Tatsachen. Eine Reihe britischer Soldaten sind nämlich für Morde zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Nach ihrer frühzeitigen Entlassung aufgrund der im Belfaster Abkommen von 1998 festgelegten Generalamnestie wurden sie wieder in die Armee aufgenommen.

„Regierung von Talentlosen“

Mein Nachbar in Dublin, der Gewerkschafter John Meehan, sagt, Bradley dürfe die Democratic Unionist Party (DUP), Nordirlands stärkste Partei, nicht verärgern. Deren zehn Unterhausabgeordnete stützen die Tory-Minderheitsregierung in London. „In Zeiten des Brexits muss man die DUP wie rohe Eier behandeln“, sagt Meehan. „Ohne deren Stimmen wäre der Deal mit der EU von vornherein zum Scheitern verurteilt.“

Eigentlich hätte Bradley gegen den Willen der DUP längst die Regierungsgeschäfte in Nordirland übernehmen müssen, denn die dortige Regionalregierung liegt wegen Streitigkeiten zwischen den beiden Koalitionspartnern Sinn Féin und DUP seit mehr als zwei Jahren auf Eis. „Aber alle sind froh, dass sie es nicht tut“, sagt Meehan. „Da kann sie wenigstens nicht noch mehr Unheil anrichten.“

Für Bradley ist Nordirland ein Buch mit sieben Siegeln. Als sie ihren Job antrat, gab sie freimütig zu, dass sie „keine Ahnung von den tiefsitzenden und tief verwurzelten Themen in Nordirland“ habe. „Ich verstand zum Beispiel nicht, dass bei Wahlen in Nordirland nationalistische Menschen nicht für unionistische Parteien stimmen und umgekehrt.“ Das weiß in Irland jedes Schulkind.

Die englische Kolumnistin Marina Hyde schrieb: „Bisher dachte man, dass die Konkurrenz für Tory-Fraktionschefin Andrea Leadsom als dümmstes Kabinettsmitglied aus der Welt des Gemüses kommen müsste. Bradleys Aufstieg in eine Regierung von Talentlosen zeigt, wo das Vereinigte Königreich zur Zeit steht.“

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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