berliner szenen
: Habe ich versagt oder die anderen

Ich habe mich heute bewusst auf die Suche nach einer Berliner Szene gemacht. Dafür bin ich zum Kotti gelaufen. Dorthin, wo Potenzial an jeder Ecke lauert, dachte ich – falsch. Nach zigmaligem Auf und Ab, als ob ich ein Spinner auf Speed wäre, dabei die Augen weit aufgerissen, um ja nichts Spannendes zu verpassen, stoppe ich und halte kurz inne.

Außer den aufheulenden Sirenen eines Krankenwagens, außer einem Typen, der irgendwas von „Israel gibt es als Heimat nicht“ faselt, außer Leuten, die zur U-Bahn hetzen oder einen Döner inhalieren, ist nichts passiert, was zu einer Szene reichen würde.

Ich überlege, ob ich in den Späti von Nokta gehen sollte, da werde ich womöglich eine Szene finden.

Ich gehe stattdessen zu dem Fotoautomaten am Kotti, über den ich eine meiner ersten Berliner Szenen geschrieben habe. Automatenporno hieß die, glaub ich. Aber heute wird darin kein Porno gedreht, nur zwei aufgedrehte Teenagerinnen finden ihre Fotos super lustig. Zumindest schauen sie auf den schwarz-weißen Fotostreifen und lachen dabei.

Zurück am Schreibtisch kommen die Zweifel. War ich unfähig, etwas Geeignetes zu finden, oder waren es die Passanten, die nicht in der Lage waren, zur Szene zu werden? Sollte sich nicht hinter jedem Spaziergang eine Berliner Szene verbergen, wenn man nur aufmerksam seine Umwelt wahrnimmt? Habe ich versagt oder die anderen? Sind wir vielleicht alle in einer winterlichen Lethargie gefangen, unfähig, über die Grenzen des Sag- und Machbaren zu schreiten und damit Geschichte zu schreiben?

Ich weiß es nicht. Ich weiß jetzt nur, dass Berliner Szenen nichts Selbstverständliches sind, auch wenn sie jeden Tag in der taz erscheinen. Und ich weiß jetzt: Nicht ich finde die Szene, sondern die Szene findet mich.

Eva Müller-Foell