Debatte Autoritäre Politik: Starker Mann gesucht

Der überwunden geglaubte autoritäre Charakter kehrt zurück. Liberale Gesellschaften werden sich unangenehme Fragen anhören müssen.

Der Schauspieler Heinz Schubert spiekt Alfred Tetzlaff in der ARD-Familienserie "Ein Herz und eine Seele"

Der Schauspieler Heinz Schubert als nörgeliger Alfred Tetzlaff in der ARD-Familienserie „Eine Herz und eine Seele“, deren erste Staffel 1973 bis 1974 lief. Die zweite Staffel wurde 1976 ausgestrahlt Foto: dpa

Wir haben es im vergangenen Jahr einmal wieder schwarz auf weiß gekriegt: In Europa wächst der Wunsch nach autoritären Regierungsformen. Nach einer Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ist etwa jeder dritte Deutsche der Ansicht, dass ein „starker Mann“ an der Spitze gebraucht werde, der sich nicht um Parlament oder Wahlen schert. Selbst in traditionellen Demokratien wie Großbritannien und Frankreich sind mehr als 40 Prozent dieser Ansicht. In Ländern wie Portugal oder Polen liegt dieser Anteil sogar bei mehr als 60 Prozent.

Es darf bezweifelt werden, dass der jeweilige Rest der Befragten von unerschütterlichem Glauben an die repräsentative Demokratie erfüllt ist. Eine Krise der demokratischen Legitimationen und der liberalen Gestaltung gesellschaftlicher Praxis wird seit geraumer Zeit mehr erahnt als verstanden. Es ist wohl nicht nur die „abgehobene“ Elite, der allfällige Opportunismus und der strukturelle Mangel an Charisma und Sympathie, was allzu viel Hoffnung nicht mehr zulässt, diese Demokratie habe stets die Kraft der Selbstreinigung und Erneuerung.

Was indes noch lange nicht erklärt, warum man, statt neue Formen von Freiheit und Gerechtigkeit zu fordern, so widerstandslos in die alten, rechten, illiberalen und unterdrückenden Regierungs- und Repräsentationsformen zurückdrängt. So als wäre es „natürlich“, dass soziale Unsicherheit, Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit postwendend aus jedem besorgten Bürger einen Rechtsextremen mit nationalistisch-rassistischer Gesinnung und einer Sehnsucht nach dem „starken Mann“ machen würde.

Aber diese Denkfigur des „starken Mannes“ schien doch wahrhaft passé, als politische Herrschaftsform ebenso wie in den mikrosozialen Lebensumständen. Die letzten der starken Männer waren Witzfiguren wie „Ekel Alfred“ im Fernsehen, oder furchtbare Diktatoren in weit entfernten Ländern.

Wir lauschen Nana Mouskouri

Als man dich vor etlichen Jahren im Nana Mouskouri-Konzert erwischt hat, hast du da nicht auch andächtig dem Lied gelauscht:

Du bist der starke MannDen niemand ändern kannDu glaubst mich gut versorgtUnd das sei genugNun halt ich nicht mehr stillWeil ich frei atmen willUnd ich will endlich wieder leben.

Der Wunsch, sich von einem solchen tyrannischen Ekel zu befreien, war jahrzehntelang auch in der Mitte der Gesellschaft verankert. Jetzt kommt er, als merkwürdige Mischung aus Phantasma, Farce und postdemokratische Medieninstallation, zurück. Dass er immer noch Züge der Witzfigur trägt, scheint seine Anhänger nicht zu beirren.

In den Halbnazi-Ideologien unserer Rechtspopulisten wird offensichtlich erneut an einer Zusammenführung von „starkem Mann“ aus der Alltags- und der Politik-Sphäre gewerkelt. Da soll wohl der Kerl sein, der uns zugleich vor „Flüchtlingsströmen“, vor „Verschwulung“ und vor „Umvolkung“ bewahrt. Der wieder Ordnung schafft. Der Entlastung bringt. Der wieder sagt, wo es langgeht.

Negativ der demokratischen Zivilgesellschaft

Zweifellos lässt sich die doppelte Sehnsucht nach dem „starken Mann“ als Projektion von Menschen sehen, die Erich Fromm einst als „autoritäre Charaktere“ bezeichnet hatte. Zu den Haupteigenschaften dieses Charakters zählte er die Pflege von Vorurteilen und Stereotypen, die Sehnsucht nach Konformität, nach Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, eine besondere Form von Destruktivität (Faschismus als „erlaubte“ Kriminalität), der Glaube an absolute Autoritäten, die Lust an extremen Gehorsam bei gleichzeitiger Gier an Machtausübung „nach unten“, rassistischen Überlegenheitswahn und narzisstische Kränkung, Angst und Hass gegenüber allem Fremden und „anderen“.

Jeder dritte Deutsche ist der Ansicht, dass ein „starker Mann“ an der Spitze gebraucht werde

Der „starke Mann“ ist die Figur, in der all das zusammengeführt wird, von der sado-masochistischen Lust an Gehorsam und Macht über die Auserwähltheit („im Blick des Führers“) bis hin zur Erlaubnis, ja Forderung nach dem Ausagieren der Destruktion. Die Figur des autoritären Charakters steht seit dem Beginn der europäischen Aufklärung in der Kritik und wurde bis zu Adornos bedeutender Darstellung gleichsam als das Negativ der demokratischen Zivilgesellschaft geführt.

Und dann, in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, verloren wir ihn einfach aus den Augen, den autoritären Charakter und seine Projektion des „starken Manns“. Er wurde nicht mehr gebraucht, er wurde nicht mehr produziert, er passte nicht mehr ins Bild. Denn was ihn, sagen wir als Heinrich Manns „Untertan“, einst erzeugte, der starke Staat, der Militarismus, die schwarze Pädagogik, die strikte Klassentrennung, der religiöse wie materielle Sexismus, der bürgerliche Maskenzwang – all das war ja verschwunden, überwunden, zumindest in Arbeit. Was sollte eine nicht-autoritäre Gesellschaft, eine Gesellschaft, der kaum etwas heilig war außer der subjektiven Freiheit und die Disziplin durch Kontrolle ersetzt hatte, noch mit einem autoritären Charakter anfangen?

Vom Anwachsen der Sehnsucht

Umso erstaunlicher nun dieses massenhafte, toxische, gierige Anwachsen der Sehnsucht nach dem „starken Mann“, der seinerseits ja nur die Rückkehr des autoritären Charakters an seinen Platz in Gesellschaft, Staat und Alltag anordnen kann. Dieser neue autoritäre Charakter, der sich in rechtspopulistischen Bewegungen, in vernetzten Gruppen der Hasser und Hetzer, im Kampf gegen die „grünlinksversiffte“ Republik verbindet, wurde offensichtlich nicht mehr von gesellschaftlichen Institutionen erzeugt, sondern eher von ihrem Fehlen.

Aber ist er wirklich aus einem Nichts erstanden, aus den Leerstellen der Krisen, aus den Verlust- und Versagungsängsten des globalen Finanzkapitalismus?

Vielleicht wird es Zeit für eine neue Theorie des autoritären Charakters und seiner Projektion vom „starken Mann“. Unsere Kultur und unsere Gesellschaft werden sich dabei ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.

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Georg Seeßlen geboren 1948 in München, ist freier Journalist und Autor. Vergangenen April veröffentlichte er zusammen mit Markus Metz „Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels“ bei Bertz + Fischer, Berlin.

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