Irans kurzer Frühling

Vor 40 Jahren stürzten die Iraner den Schah von Persien. Der Schriftsteller Bahman Nirumand wollte dabei sein und reiste voller Erwartungen aus seinem Berliner Exil nach Teheran. Erinnerungen eines Zeitzeugen

Studenten oder Geistliche: Im Januar 1979 demonstrierten die Iraner gemeinsam gegen den Schah

Bahman Nirumand

Wenn ich in Berlin Freunde und Verwandte, die in meine Heimatstadt, nach Teheran, flogen, zum Flughafen begleitete, packte mich jedes Mal eine große Sehnsucht. Sechs Stunden Flugzeit, und ich wäre da. Es war 1978, und ich lebte seit 15 Jahren im Exil, träumte oft von der Rückkehr.

Die Aussichten darauf schienen sehr gering. Der Pfauenthron schien so unverrückbar wie die Berge im Norden von Teheran. Der Schah rühmte sich 1971 bei einem Fest in Anwesenheit zahlreicher Staatsoberhäupter, das 2.500-jährige Erbe des iranischen Kaiserreichs erhalten zu haben. In Persepolis am Grab des Großen Kyros hatte er gerufen: „Ruhe sanft, denn wir halten Wache.“

Unsere Proteste im Ausland und die Klagerufe aus den Gefängnissen und den Vorstadtslums wurden von Pauken und Trompeten der Feierlichkeiten übertönt. Auch der Westen, allen voran die USA, schien mit ihrem Zögling, dem sie 1953 durch einen Putsch gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh zur Rückkehr an die Macht verholfen hatten, zufrieden zu sein.

Noch in der Silvesternacht 1978 hob US-Präsident Jimmy Carter in Teheran sein Glas und sprach: „Wir befinden uns hier auf einer schönen und ruhigen Insel inmitten eines stürmischen Ozeans. (…) Wir kennen in der ganzen Welt kein Land, das uns so nahesteht, und keinen Führer, dem wir ein solch tiefes Gefühl der Dankbarkeit und Freundschaft entgegenbringen.“ Ein Jahr später verweigerten die USA dem flüchtenden Monarchen die Aufenthaltserlaubnis.

Im Inland war kaum Widerstand spürbar. Zwar wurde mal eine Gendarmeriestation entwaffnet, mal ein Anschlag auf amerikanische Militärberater verübt. In den Gefängnissen gab es von Zeit zu Zeit Hungerstreiks – ansonsten herrschte Friedhofsruhe. Auch im Ausland machte sich Resignation breit. Doch gerade in der Zeit, als mir die Lage ausweglos schien, entstand wie aus heiterem Himmel eine Bewegung, die sich innerhalb eines Jahres zu einem der größten Massenaufstände der Geschichte überhaupt entwickelte.

Es begann im Juni 1977 mit einem Protestschreiben des iranischen Schriftstellerverbands gegen die Zensur. Den Autoren folgten Rechtsanwälte, Lehrer, Studenten. Die Lage wurde richtig ernst, als zwei Monate später bei einer großen Demonstration der Basarhändler die Parole: „Nieder mit dem Schahregime“ laut wurde.

Bis dahin wurde die Bewegung von säkularen Kräften geführt. Doch dann geschah etwas, was die bisherigen Ereignisse überschattete und für den weiteren Verlauf der Revolution ausschlaggebend sein sollte. Ganz unerwartet und ohne ersichtlichen Anlass erschien im Januar 1978 in der größten Tageszeitung Ettelaat ein Schmähartikel gegen den im irakischen Exil lebenden Ajatollah Chomeini.

Unmittelbar danach gingen in der Pilgerstadt Ghom Zehntausende auf die Straße und forderten die Rücknahme der Beleidigungen, die sie auch als Angriffe gegen den Islam deuteten. Die Polizei griff ein, es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Das Ereignis gab der gesamten Bewegung nicht nur einen erheblichen Aufschwung, sondern auch eine entscheidende Wende. Der Aufstand breitete sich über das ganze Land aus, jetzt mehr und mehr unter der Führung der Geistlichkeit.

Mit der Übersiedlung von Chomeini nach Paris im Oktober 78 übernahmen die Islamisten endgültig die Führung der Revolution. Während die Demokraten und Liberalen im Land zu Kompromissen mit dem Schah bereit waren – er hatte inzwischen erklärt, den Ruf der Revolution gehört zu haben –, forderte Chomeini das bedingungslose Ende der Monarchie.

Durch den Aufenthalt in Paris stieg seine Popularität im In- und Ausland. Aus aller Welt pilgerten Iraner und andere Muslime nach Neauphle-le-Château, um den Verkünder einer neuen Menschheitsepoche zu sehen, seinen Worten zu lauschen und seine Befehle entgegenzunehmen. Dem iranischen Volk versprach der Ajatollah den Himmel auf Erden. Es sollte die Hölle werden.

Juni 1963

Der schiitische Geistliche Ruhollah Chomeini hält eine Rede gegen Schah Reza Pahlavi, wird verhaftet und landesweit bekannt.

November 1964

Chomeini, zwischenzeitlich wieder frei, wird ins Exil gezwungen.

7. Januar 1978

Ein Zeitungsartikel mit Beschimpfungen gegen Chomeini. Proteste.

August/September 1978

Kinos werden in Brand gesteckt. Hunderte Menschen sterben. Dutzende Tote bei Demo.

2. Dezember 1978

Hunderttausende demonstrieren für die Rückkehr Chomeinis.

16. Januar 1979

Der Schah verlässt das Land.

1. Februar 1979

Chomeini kehrt aus dem Exil zurück und kündigt islamische Regierung an.

1. April 1979

Nach Referendum ruft Chomeini die „Islamische Republik“ aus.

4. November 1979

Studenten besetzen US-Botschaft in Teheran, nehmen 52 Diplomaten als Geiseln. Sie fürchten eine US-Intervention.

3. Dezember 1979

Per Referendum wird eine neue Verfassung mit theokratischen und republikanischen Elementen angenommen. Das Volk wählt Parlament, Präsident und Expertenrat, aber weite Machtbefugnisse gehen an den Wächterrat und den „Führer“.

Meine Freude über die Erfolge des Volksaufstands war so groß, dass ich, wie viele andere meiner Landsleute, die Schattenseiten der Revolution und die überraschende Dominanz der islamischen Gruppen übersah oder unbewusst verdrängte. Ich wagte nicht, mir die Frage zu stellen, wie sich meine Vorstellung von einem demokratischen Sozialstaat mit dem Weltbild der Islamisten vereinbaren ließe. Mir war klar, dass wir ohne Chomeini und die Mullahs, die überall bis in die entlegensten Dörfer präsent waren, diese unvorstellbare Massenmobilisierung nicht erreichen könnten. Aber wenn der Schah einmal weg ist, wird es leicht sein, mit Chomeini fertig zu werden, dachte ich.

Für mich wurde es allmählich Zeit, die Koffer zu packen. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich wollte dabei sein. Jetzt, da meine Träume Wirklichkeit zu werden versprachen, konnte ich mich doch nicht in Berlin aufhalten und den Volksaufstand über Fernsehen und Zeitungen verfolgen.

Anfang Januar 1979 saß ich endlich in der Maschine nach Teheran. Die meisten Passagiere – es waren alles Iraner – Oppositionelle, die wie ich den letzten Akt zum Sturz des 2.500-jährigen Königreichs miterleben wollten. Wir sangen gemeinsam Revolutionslieder und riefen nach jedem Lied: „Begu marg bar Schah“ – Tod dem Schah. Als der Pilot ankündigte, dass wir die iranische Grenzen überflogen haben, ging ein Jubelruf durch die ganze Maschine: „Begu marg bar Schah.“

Je mehr wir uns Teheran näherten, desto größer wurde meine Aufregung. Ich habe mich selten im Leben so glücklich gefühlt. Nach fünfzehn Jahren betrat ich zum ersten Mal iranischen Boden. Der Himmel war wolkenlos. Die Nachmittagssonne warf ihren Schein auf den glitzernden Schnee.

Was mir am ersten Tag bei einem Bummel durch die Stadt auffiel, war eine Fröhlichkeit und Solidarität, die ich bis dahin weder in Iran noch in einem anderen Land erlebt hatte. Es gab zahlreiche Initiativen zur Unterstützung von Streikenden, bedürftigen Kindern und Alten. Zwar war die Lage noch unsicher, es gab immer wieder Schießereien, man fürchtete, es könnte zu einem Militärputsch kommen. Dennoch schienen alle glücklich.

Die erste Kundgebung, die ich miterlebte, war überwältigend. Wie ein schwarzer Teppich mit kleinen Kuppeln sahen die Köpfe der Hunderttausenden Teilnehmer aus. Sichtbar war, dass sich unter ihnen auch viele aus den südlichen Teilen der Stadt befanden, aus den Blechbaracken und den Slums. Ich fragte mich, was sich in deren Köpfen abspielt, welches Weltbild, welche Ideale sie hatten und wie sie sich die Zukunft des Landes vorstellten.

Ein Militärhubschrauber überflog die Kundgebung kurz auf ziemlich niedriger Höhe. Schon als man ihn fliegen hörte, wurden Hunderttausende Arme mit geballten Fäusten zum Himmel gestreckt. Und der Ruf „marg bar Schah“ hallte so laut, dass er auch von den Piloten gehört werden konnte. Beängstigend war die Aggression, die sich in den Gesichtern abzeichnete, eine Aggression, die sich über Jahre aufgestaut hatte und nun freigesetzt werden konnte.

Im Januar gab Chomeini aus dem Exil die Bildung eines Revolutionsrats bekannt. Er forderte das Volk auf, bis zur Erfüllung seiner Ziele den Kampf fortzusetzen. „Die Streiks und Demonstrationen müssen fortgesetzt werden, und falls sich euch einer in den Weg stellen sollte, habt ihr das Recht, ihn zu töten“, schrieb er.

Für mich wurde es Zeit, die Koffer zu packen. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich wollte dabei sein

Bahman Nirumand, seit 55 Jahren im Exil

Der letzte Satz passte trotz der zugespitzten Lage nicht so recht zu der Sanftmut, die der Gottesmann auszustrahlen bemüht war, wie auch die Aufforderung an das Volk, „die Hände so lange an die Gurgel des Schahs zu drücken, bis die letzten Zuckungen aufhören“, eine Formulierung war, die man eher von einem Henker erwartete als von einem Heiligen.

Der vom Schah ernannte Ministerpräsident Schapur Bachtiar bemühte sich, die Lage in den Griff zu bekommen. Doch er war machtlos. Am 16. Januar befand ich mich mittags auf dem Gelände der Teheraner Universität. Plötzlich rief jemand mit einem Transistorradio in der Hand: „Der Schah ist weg, der Schah ist weg“.

Jubel und Freude brachen aus: Wir liefen auf die Straße. Autos hupten im Takt, manche Autofahrer hielten mitten auf der Straße an, kletterten auf das Dach ihres Autos und begannen zu tanzen. Blumenhändler schenkten den Passanten Blumen, vor vielen Häusern wurden Süßigkeiten ausgeteilt, es wurde laute Musik gemacht. Schah-Statuen wurden von den Podesten heruntergerissen, seine Bilder verbrannt. Alle gratulierten sich gegenseitig. Innerhalb weniger Minuten entstand das größte Fest, das Teheran erlebt hatte.

Drei Tage später, am 19. Januar, fand eine Demonstration für die Abschaffung der Monarchie statt. In Wirklichkeit war diese Demonstration ein Plebiszit für Ruhollah Chomeini und für eine ­Islamische Republik. Es war die größte Demonstration in der iranischen Geschichte. Sie war die erste, die gänzlich von den Mullahs beherrscht wurde.

Millionen in schwarze Schleier gehüllte Frauen und bärtige Männer trugen Chomeini-Bilder in verschiedener Positur, mal mit einem Säbel in der Hand wie der Prophetennachfolger Imam Ali, mal mit Heiligenschein wie der Prophet Mohammed. Auf dem Ferdosi-Platz wurden weiße Tauben, an deren Beinen Fähnchen mit der Aufschrift: „Unabhängigkeit, Freiheit, Islamische Republik“ gebunden waren, zum Flug über den Demonstrationszug geschickt. Doch manche von ihnen zogen es vor, auf einem Dach zu sitzen und von dort aus die Massen zu betrachten.

Es gab natürlich auch größere Blöcke der Linken. Ich reihte mich in einem dieser Blöcke ein. Wir trugen Bilder von Mossadegh. Kurz vor der Universität stürzten sich ein paar hundert, meist junge Typen auf uns, zerrissen die Mossadegh-Bilder und riefen: „Hesb faghat hesollah, Rahbar faghat Ruhollah – Partei nur Partei Gottes, Führer nur Ruhollah“.

Am 1. Februar war es endlich so weit. Der Gottgesandte, Auserwählte, Schutzengel der Barfüßigen und Habenichtse, der Führer der Revolution kehrte in die Heimat zurück. Es war ein schöner Tag. Eine hellblaue Kuppel überragte die Hauptstadt. Im Norden standen die schneebedeckten Berge und schauten herab auf die ungeheuren Massen, die sich schon teilweise am Vorabend oder während der Nacht auf den Weg gemacht hatten, um auf der 40 Kilometer langen Route vom Flughafen zum Friedhof Beheschte Sahra, einen günstigen Platz zu finden.

Sommer 1979: Der Schah ist tot, es lebe der Ajatollah. Kinder schießen auf ein Bild der abgesetzten Königin Farah Pahlavi Fotos: Abbas/Magnum Photos/Agentur Focus

Kurz vor der Landung stellte ein Journalist Chomeini die Frage, was er in diesen historischen Augenblicken, in denen Millionen seiner Landsleute ihn erwarten, empfinde. „Nichts“, antwortete er.

In Beheschte Sahra angekommen, wo die Opfer, „Märtyrer“, der Revolution begraben waren, schritt der Ajatollah würdevoll zum Podium. Sein Gesicht verriet keinerlei Regung. Seine strengen Augen blickten niemanden an, er schaute über die Köpfe der Massen hinweg. Je ruhiger und unbeteiligter er sich verhielt, desto mehr gerieten die Massen außer sich. „Du bist meine Seele, Chomeini“, riefen sie.

Zunächst rechnete er in einem historischen Rückblick mit der Monarchie ab, mit den Lakaien der Amerikaner, die korrupt seien und das Land kulturell und wirtschaftlich zerstört hätten. Dann kam die noch amtierende Regierung Bachtiar an die Reihe. „Diese Regierung ist illegitim, sie muss verschwinden. Ich werde die legitime Regierung ernennen. Ich werde dieser Regierung auf den Mund schlagen. Ich genieße die Anerkennung des Volkes. „Allah’o akbar, Chomeinei Rahbar“ – Gott ist groß, Chomeini unser Führer –, skandierten die Massen.

Bachtiar unternahm einen letzten Versuch, das Land unter Kontrolle zu bekommen, kündigte eine Ausgangssperre an, doch die meisten ignorierten sie. Überall auf den Straßen wurden Barrikaden gebaut, viele verbrachten die Nacht auf den Straßen. Am Morgen des 12. Februar stürmten Demonstranten das militärische Hauptquartier. Jeder nahm, was er tragen konnte, Maschinengewehre, Munition, Handgranaten, Kanonen, Panzerfäuste. Viele Soldaten liefen zu den Demonstranten über.

Ich schloss mich einer Menschenmenge an, die zum berüchtigten Evin-Gefängnis zog. Als ich ankam, hatten andere bereits das Gefängnis erobert und die Gefangenen befreit. Überwältigt von gemischten Gefühlen, lief ich durch die Gänge. Wie viele Menschen waren in diesen Räumen gefoltert und ermordet worden, dachte ich. Jetzt waren alle Gefangenen frei, das stimmte mich so glücklich wie selten in meinem Leben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Räume bald wieder überfüllt sein würden, dass in wenigen Jahren hier mehrere Tausend Menschen hingerichtet werden sollten.

Unterstützt von Millionen eroberte Chomeini in schnellen Schritten die Macht. Gegen diese Wucht war jeder Widerstand sinnlos. Die Streitkräfte kapitulierten, Bachtiar ergriff die Flucht. Bei einer Volksbefragung stimmten 98 Prozent für die Islamische Republik. Allerdings wusste kaum jemand, was damit gemeint war.

„Ich werde dieser Regierung auf den Mund schlagen. Ich genieße die Anerkennung des Volkes“

Ajatollah Chomeini, Revolutionsführer

Dennoch waren die ersten Monate vom Siegesglück erfüllt. Wir genossen den Frühling der Freiheit, jeder erwartete die Erfüllung seiner Träume und Wünsche. Das Land befand sich an einem Scheideweg: Islamischer Staat oder Fortsetzung des demokratischen Wegs, den Mossadegh begonnen hatte, waren die Alternativen.

Je klarer es wurde, was die Islamisten vorhatten, desto mehr wuchs der Widerstand. Es kam sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Meine Freunde und ich hatten unter Berufung auf Mossadegh die Nationaldemokratische Front gegründet. Bei der Gründungsversammlung erschienen mehr als eine Million Menschen – ein Indiz für die große Basis der säkularen Kräfte.

Die Entscheidung über das Schicksal des Landes brachte der Iran-Irak-Krieg, der im September 1980 begann. Er lieferte für die neuen Machthaber einen willkommenen Vorwand, um jede Opposition im Keim zu ersticken und die schiitische Märtyrerideologie zu verbreiten. Auch unsere Organisation wurde verboten. Ich musste in den Untergrund und schließlich nach anderthalb Jahren wieder ins Ausland flüchten.

Nach einer abenteuerlichen Flucht in der Nacht durch die Wüste setzte ich mich jenseits der Grenze zu Pakistan auf einen Felsen. Die unzähligen Sterne am Himmel schienen so nah, dass ich glaubte, sie mit ausgestreckter Hand greifen zu können.

Mir fiel das Gedicht von Ahmad Schamlu ein: „Erbarmungslos kurz war die Gelegenheit, unerwartet das Geschehen. Von dem Frühling habe ich den Genuss des Schauens nicht verspürt, denn hinter den Gittern verdorren die Blumen.“